Den zweiten Notstand verhindern

Klima Im Corona-Krisenmodus ist plötzlich vieles möglich. Das ist eine Chance, neu zu denken: Denn die Klimakatastrophe kann noch abgewendet werden, wenn wir frühzeitig handeln
Wuhan im Februar
Wuhan im Februar

Foto: Getty Images

Seit zwei Wochen fühlt es sich an, als wären wir alle Teil einer mittelprächtigen Netflix-Serie mit dystopischem Plot: Ein Virus, das von einer chinesischen Stadt aus dank Globalisierung in Windeseile in alle Welt getragen wird. Es folgen Grenzschließungen, der Shut-Down öffentlichen Lebens, leere Flughäfen und Bahnhöfe. Durch Quarantäne-Androhung und Ausgangssperren kommen viele Menschen schnell in den Krisenmodus: Panische Hamsterkäufe, Misstrauen, Angst um Angehörige. Das letzte Mal, das Menschen hierzulande so kollektiv und brutal aus ihrem Alltag gerissen wurden, ist 80 Jahre her und nannte sich Zweiter Weltkrieg. Selbst in den Zeiten massiver atomarer Aufrüstung Anfang der 1980er Jahre oder zur Wende gab es solche klaren Ansagen und solch ein rigoroses Eingreifen von staatlichen Behörden nicht. Auch die Angst vor Mangel ist neu für uns.

Corona könnte eine Urerfahrung für uns werden, die uns für den Rest des Lebens prägen dürfte. Denn das Virus katapultiert uns aus unserer alltäglichen Routine. Die Krise könnte uns dabei einige Lektionen mitgeben, die uns auf das vorbereiten, was wir im 21. Jahrhundert laut Klimaforscherinnen noch erleben werden: permanente Ausnahmezustände durch Dürren, Überflutungen, Flüchtlingsströme und soziale Konflikte.

Aber im Gegensatz zu der Bedrohung durch Corona sind das für die meisten Deutschen noch immer nur Worthülsen oder apokalyptische Übertreibungen von Extinction Rebellion. Eben noch haben wir diesen „Spielverderbern“ jugendlichen Endzeitwahn unterstellt. Auch den Fridays for Future wird gern die Übertreibung und ein gewisses Elfenbeinturm-Denken anheimgestellt. Gerade könnte man auf die Idee kommen, dass sie keine Visionäre, sondern die eigentlichen Realistinnen sind.

Dass wir beim Virus so schnell handeln, liegt auch am „Jäger-Bär“-Prinzip: Laut dem britischen Kommunikationsforscher George Marshall reagiert ein Mensch nur auf Gefahren, wenn sie unmittelbar auftreten und in Persona vor ihm stehen. Damit bedienen wir unsere Urinstinkte, die uns als Jäger und Sammler vor wilden Tieren geschützt haben: Taucht ein Bär auf, muss die Jägerin angreifen oder weglaufen – und damit eine radikale Entscheidung treffen. Beim Virus ist das gegeben. Das kugelfisch-artige Ding mit den Noppen gereicht als Feindbild. Es hat das Potenzial, ikonisiert zu werden. Es wurde sichtbar gemacht. Jeder erkennt es nun und hat ein Bild im Kopf. Es ist: der Bär.

Von der Utopie zur Realität in wenigen Wochen

Das Problem beim Klima: Die Erderwärmung ist kein wildes Tier, ein böser Terrorist oder ein fieses Noppen-Virus, das uns alle unmittelbar attackiert. Komplexe klimatologische Prozesse lassen sich nicht annähernd so gut ikonisieren.
Doch für beide Krisen gilt gleichermaßen: Nur, weil ich die Gefahr nicht sehen kann, heißt es nicht, dass es nicht da ist. Nur weil der Klimawandel nicht jeden Tag in Persona an meine Tür klopft, heißt es nicht, dass er nicht da ist. Und nur weil ich schon "immer so gelebt habe“, heißt es nicht, dass sich diese Realität nicht ändern kann.

Das gilt auch für die Politik. Sprachen einige Linke in der Vergangenheit über Verstaatlichungen von Schlüsselindustrien, um Klimaschutz zu beschleunigen, brachte ihnen das nicht viel mehr als ein müdes Lächeln und hämische Sprüche in den Kommentarspalten ein. Beispiel Lufthansa: Erst vor wenigen Monaten erklärte Linken-Chef Bernd Riexinger, dass im Kampf gegen die Klimakrise die Fluggesellschaften verstaatlicht werden sollten. Sein Argument: Was so dramatische gesellschaftliche Folgen habe, dürfe nicht marktwirtschaftlich und damit unreguliert bleiben. Dumpinglöhne und klimaschädliche Billigflüge gehörten abgeschafft. Dieser Vorschlag wurde damals nicht wirklich ernst genommen.

Nun bleiben die Flugzeuge in der Corona-Krise am Boden, die Aktienkurse brechen dramatisch ein. Grünen-Chef Robert Habeck fordert einen Einstieg des Staates bei "systemrelevanten Konzernen" wie der Lufthansa – und Finanzminister Olaf Scholz hält das ebenfalls für "ein geeignetes Mittel", selbst für CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier ist die Idee kein Teufelszeug mehr, auch wenn das "nur in Ausnahmesituationen" eintreten dürfe.

Die Chance, neu zu denken

Was sagt uns das? Die Klimakrise – so mediatisiert sie mittlerweile auch ist – wirkte nie "schlimm" oder "bedrohlich" genug, um Verhalten oder politische Prinzipien zu verändern. Dabei gilt das Axiom: Erst wenn es wehtut, bewegt sich der Mensch. Alle scheinbar so schlauen Sachdiskussionen gegen angeblich teure Prävention und staatliche Regulierung, sei es in Sachen Gesundheit oder Klima, sind Ablenkungsmanöver, um kurzfristig betriebswirtschaftliche Bilanzen aufzupeppen.

Das sollte Klimaschützer nicht dazu verleiten, den derzeitigen Notstand hämisch zu feiern. Weniger Konsum, weniger Flugzeuge am Himmel und weniger CO2 aus Fabrikschloten ist zwar erfreulich, doch hat nichts mit nachhaltigem Umsteuern zu tun. Zwar erlebt die Menschheit, dass es "auch mal ohne“ geht. Aber nur, um danach mit genau den gleichen Mitteln weiter zu verschmutzen.

Die Corona-Krise ist eine schreckliche Krise. Viele Menschen haben bereits ihr Leben gelassen und in vielen Ländern zahlen Patientinnen nun den Preis dafür, dass das öffentliche Gesundheitssystem zusammengespart wurde. Die Moral der Geschichte kann deshalb kein Wunschdenken sein, das der Verarmungstheorie folgt: Erst wenn alle den Notstand spüren, dann gelingt die Revolution. Im Gegenteil. Wenn uns die Urerfahrung von Corona eines lehrt, dann ist es das, was den Menschen in Zeiten des Klimawandels besonders schwerfällt: Präventiv zu denken, nicht erst zu handeln, wenn es zu spät ist. Widerstandskraft in der Gesellschaft zu stärken, Solidarität zu üben und zu lernen, über seinen eigenen Alltagstellerrand hinauszuschauen. Und eine Offenheit für neue Ideen zu entwickeln. Man mag es heutzutage kaum hören, das fade Sprichtwort: Krise ist auch immer Chance. In diesem Fall eine Chance zum Neudenken jenseits der trügerischen Normalität.

Susanne Götze ist promovierte Historikerin und erkundet als Journalistin seit 15 Jahren eine Zivilisation, die an ihre ökologischen Grenzen gestoßen ist. Im April erscheint ihr neues Buch „Die Klimaschmutzlobby“ im Piper-Verlag

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