Gipfelsturm und Lømmelpakke

Proteste Zehn Jahre nach Seattle erlebt die globale Protestszene eine Wiedergeburt in Kopenhagen – als Klimabewegung

Der Klimaaktivist ist eine ziemlich neue Erfindung. Man könnte sagen: Er ist mehr als ein Öko – aber weniger als ein linker Revolutionär. Er fliegt nicht gern, isst meist vegetarisch und ist global vernetzt. Wenn jetzt in Kopenhagen „das wichtigste internationale Treffen seit dem Zweiten Weltkrieg“ stattfindet, wie es der Klimaökonom Nicholas Stern nennt, dann werden auch viele Klimaaktivisten in die dänische Hauptstadt reisen.

Sie tun sich spontan zusammen, dringen in Konferenzräume ein und machen den offiziellen Delegationen Druck. Mit ihren Flashmobs, symbolischen Aktionen und Appellen sind Klimaaktivisten so etwas wie die Kassandra des 21. Jahrhunderts. „Tut etwas“, ruft es aus ihren Reihen, „sonst drohen Hunger, Vertreibung, Seuchen und Krieg“. In hunderten Ländern gibt es inzwischen außerparlamentarische Initiativen. Traditionelle Öko- und linke Gruppen nehmen sich des Kampfes gegen den Klimawandel genauso an wie neugegründete Netzwerke. Während vor kurzem noch alle Welt von „globalisierungskritischen Gipfelstürmern“ sprach, macht nun die Klimabewegung vor Kopenhagen von sich reden.

Doch gibt es sie wirklich, diese neue Bewegung? Wo sind die Massendemos, die Straßenschlachten, die Blockaden? Oder wenigstens eine mahnende, sichtbare Präsenz? Außer einzelnen symbolischen Aktionen ist in Deutschland jedenfalls kaum etwas von den Klimaaktivisten zu sehen.

Glaubt man der Szene, täuscht hier der Eindruck. Kopenhagen werde zum „Come-Out“, ist etwa der Politikwissenschaftler und Umweltaktivist Tadzio Müller überzeugt. „Die Klimabewegung ist heute da, wo die globalisierungskritische Bewegung vor Seattle war“, sagt der 33-Jährige. Müller ist seit über einem Jahr im Netzwerk Climate Justice Action organisiert, das gemeinsam mit Leuten aus aller Welt die Proteste in Kopenhagen vorbereitet. Der Politikwissenschaftler hat vor einiger Zeit die Idee der Klimacamps nach Deutschland geholt. Bei den großen Gipfelprotesten der vergangenen Jahre war Müller mit dabei.

Fortschreibung der Kämpfe

Das zentrale Argument ist geblieben: Es geht um Gerechtigkeit – um Klimagerechtigkeit eben. „Jetzt reicht es nicht mehr, einfach gegen Neoliberalismus zu sein, sondern wir stellen konkrete Forderungen“, sagt Müller. „Wir kämpfen gezielt gegen Intensivlandwirtschaft, Landraub, für Reparationszahlungen an den Süden und dafür, dass fossile Ressourcen im Boden gelassen werden.“ Von einer ganz neuen Erscheinung will er deshalb nicht sprechen. Die Klimabewegung sei die „Fortschreibung der globalen Kämpfe“. Seattle, Prag, Heiligendamm – und jetzt Kopenhagen.

So sieht es auch eine Ikone der Altermondialisten: „Seattle quality“ habe die Mobilisierung zur Klimakonferenz, sagt Naomi Klein. Die globalisierungskritische Bewegung habe sich transformiert, es sind oft sogar die dieselben Aktivisten, die 1999 gegen die Politik von WTO, Weltbank und Währungsfonds zu Felde zogen und heute in Kopenhagen für Klimagerechtigkeit CO2-freien Dampf machen wollen. David Solnit zum Beispiel, der damals zum Showdown von Seattle beigetragen hat und heute kräftig am Gelingen der Proteste in Kopenhagen bastelt. „Die Geschichte zeigt, dass Staatschefs erst dann handeln, wenn die Leute auf der Straße es verlangen“, sagt der Mann von der Umweltschutzorganisation Mobilization for Climate Justice West. „Und das muss jetzt passieren.“

Trotz aller personeller Kontinuität: Die Klimabewegung ist doch aus anderem Holz geschnitzt. In Deutschland haben 2008 zum ersten Klimacamp so unterschiedliche Gruppen wie die BUND-Jugend, Attac und Teile der radikalen Linken kooperiert. „Durch die bunte Mischung leben natürlich auch wieder traditionelle Differenzen zwischen Ökos und linken Gruppen auf“, meint Müller. Auch deshalb schwächelt die Bewegung hierzulande gerade ein wenig. Ein für dieses Jahr geplantes Protestcamp musste abgeblasen werden. Auf diversen Treffen zur Vorbereitung von Aktionen in Kopenhagen wollte nicht recht Stimmung aufkommen. Und in der Linken heißt es bisweilen, man erwarte keine Massenmobilisierung in die dänische Metropole.

Wecksignale für Verhandler

Vielleicht ist das aber ein typisch deutsches Problem. International sieht man die Entwicklung so euphorisch wie Naomi Klein: „Die weltweite Bewegung zur Rettung des Klimas wächst unglaublich schnell“, sagt Ben Wikler, US-Kampagnenkoordinator des Netzwerkes Avaaz. Im September klingelten an hunderten Plätzen auf der Erde symbolisch die Wecker, um die Verhandlungsführer aus ihrem „Dornröschenschlaf“ zu wecken. Und im Oktober gingen Bilder von Tausenden Menschen um die Welt, die in zig Ländern ein rasches Handeln gegen die CO2-Konzentration in der Atmosphäre forderten. Man zählte 350 Menschenketten – die Aktion wurde ein globaler Medienrenner.

Aufmerksamkeit ist den Klimaaktivisten auch rund um den Kopenhagen-Gipfel sicher. Während radikale Linke die internationalen Verhandlungen schlicht ablehnen, wollen andere „mehr Druck“ auf die Verhandlungsführer machen. Zurzeit streuen Polizei und Medien ähnliche Bedenken, wie sie vor Anti-G8-Protesten immer wieder in den Medien herumgeisterten: Es gebe bei den Klimaaktivisten einen Schwarzen Block und Gewalttäter, die es nur auf Gewalt abgesehen hätten. Die dänische Polizei rüstet schon seit Monaten auf. Mehr noch: Dem Parlament liegt ein Gesetzentwurf vor, mit dem das Demonstrationsrecht massiv eingeschränkt werden soll. Selbst friedliche Sitzblockierer müssten mit 40 Tagen Knast rechnen. „Unruhestifter“, forderte ein Sprecher der regierenden rechtsliberalen Partei Venstre, sollten „eins auf die Nase bekommen“. Genannt wird das Gesetz „Lømmelpakke“ – Lümmelpaket.

Kopenhagen-Special Kommentare zumUN-Gipfel sowie Analysen zur Klimapolitikund ihre Folgen finden sie auf freitag.de

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