Ups, das wollten wir nicht

Umwelt Eine Ölkatastrophe wie die vor der Küste von Mauritius ist kein Unfall, sondern im fossilen Zeitalter mit eingepreist
Ausgabe 33/2020
Ein Umweltschützer schöpft Öl aus dem Wasser vor der Küste von Mauritius
Ein Umweltschützer schöpft Öl aus dem Wasser vor der Küste von Mauritius

Foto: Jean Aurelio Prudence/L'Express Maurice/AFP/Getty Images

Um es gleich vorwegzunehmen: Die Ölpest vor der Küste von Mauritius im Indischen Ozean ist kein Zufall nach dem Motto „Ups, das wollten wir nicht“. Nein, diese Katastrophen haben System. Wenn wir zur Tanke fahren, unsere Ölheizung anschmeißen oder den Plastebecher unter die Kaffeemaschine stellen, wissen wir längst, dass Delfine oder süße Krabben sterben können. Dass Ölteppiche auf dem Meer treiben, Küsten verdrecken und Meerestiere an dem giftigen Schlamm verenden, ist bei der Entscheidung, auf diese Energieform zu setzen, mit eingepreist. Zumindest bei allen, die die vergangenen zehn Jahre nicht verschlafen haben – denn allein in dieser Zeitspanne gab es über 80 größere Unfälle, bei denen Millionen Liter Öl in die Umwelt gelangten. Und in diesem Jahr waren es bereits acht, vier davon in den USA.

Derzeit droht neben der Katastrophe in Mauritius ein weiteres Ölunglück vor der Küste des Jemen. Dort könnte bald ein alter Tanker zerbrechen und eine Million Barrel Öl – das sind rund 160 Millionen Liter – ins Rote Meer auslaufen. Seit einem Jahr versuchen UNO-Inspekteure, auf das Schiff vor der Küste des Bürgerkriegslandes zu gelangen. Vergeblich. Das Schiff rostet weiter.

Erst im April jährte sich der Untergang der Ölplattform „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko zum zehnten Mal. 2010 traten rund 800 Millionen Liter Öl aus und verseuchten den Golf von Mexiko – die Folgen sind bis heute sichtbar.

Bei keinem Energieträger gibt es so viele verheerende Unfälle. Wer angesichts dieser Desaster noch einmal von einer angeblichen Verschandelung von Landschaften durch Windräder oder Solardächer spricht, kann einem leidtun. Wer für eine Weile täglich ein Elektroauto oder Pedelec auflädt, statt Diesel zu saugen oder Motorroller zu betanken, wird schnell feststellen, wie rückständig eine normale Tankstelle ist: Aus den tropfenden Tankrüsseln sabbert gern mal ein Tropfen Benzin oder Diesel auf den Schuh, und auch der beißende Geruch ungesättigter Kohlenwasserstoffe lädt nicht gerade zum Verweilen ein.

Trotzdem ist ein Ende des Ölzeitalters zwar auf dem Papier (des Pariser Weltklimavertrags), kaum aber in der Praxis abzusehen – obwohl das Ende des Öls nicht nur aus Klima-, sondern auch aus Umweltsicht notwendig ist. Die Internationale Energieagentur (IEA) spricht von einem leichten „Rückgang des Wachstums“ bei der Ölförderung. Von einem Rückgang in Verbrauch und Förderung sind wir noch weit entfernt – Corona-Zeiten einmal ausgenommen. Weltweit werden ungebremst neue Ölfelder erschlossen, und die Konzerne dringen in ökologisch sensible Gebiete vor, wie beispielsweise in die Arktis. Vor wenigen Tagen sprach ich mit einem Manager eines großen Ölkonzerns in Norwegen: Er war überzeugt, dass mit Hilfe von Technik zur Einsparung von CO₂ auch in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts noch weiter Öl gefördert werden kann.

Das funktioniert so lange, wie wir die dunkle Schlammbrühe nachfragen. Allein in Deutschland hängen wir noch zu 80 Prozent von fossilen Rohstoffen ab: Kein Flieger steigt ohne Öl in den Himmel, die meisten Autos und Busse bewegen sich nicht, schöne Tupperdosen gibt es ohne den Stoff auch nicht.

Fossile Infrastruktur braucht fossile Nahrung. Deshalb produziert das Ölunglück in Mauritius nicht nur hässliche Bilder und einen medialen Seufzer, sondern es erinnert uns daran, dass wir nur mit einem radikalen Umbau die Ölförderung überflüssig machen.

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