Slam-Poetry statt Rilke?

Deutschunterricht Bas Böttcher und Wolf Hogekamp haben eine Poetry-Slam-Fibel herausgegeben. Kann das gesprochene Wort die SchülerInnen von morgen vielleicht wieder für Lyrik begeistern?

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Dienstag, 20. Januar 2015: Auf dem DozentInnenpult steht heute ein mittelgroßer Verstärker, direkt davor ein Mikrofonständer. Soweit die Räumlichkeiten das atmosphärisch zulassen, wird der Seminarraum für anderthalb Stunden zur Bühne. Die Slam-Poeten Bas Böttcher und Wolf Hogekamp stellen angehenden LehrerInnen neue Formate der Literaturvermittlung und ihre Poetry-Slam-Fibel vor. Das Lyriklehrwerk der Zukunft?

„Falls ihr euch wundert, warum hier ein Mikrofon steht und ich gerade trotzdem ohne Mikro spreche: Das Mikrofon ist nur für die Kunst.“ (Bas Böttcher)

Bevor es losgeht, fragt einer der beiden schwarzbekleideten und -bemützten Herren in die Runde, wer das Format Poetry Slam noch nicht kenne. Zwei Arme heben sich zögerlich. Schön, dass so viele Eingeweihte hier säßen, aber eine Zusammenfassung schade ja nicht: Poetry Slam ist ein Dichterwettbewerb mit eigenen Texten, Hilfsmittel sind nicht erlaubt – also weder Kostüme noch Requisiten. Das Wichtigste sei eigentlich das Publikum; nur wer das Publikum für sich gewinnt, kann den Abend für sich entscheiden.

Seit den 90er Jahren gibt es das Format in Deutschland, die erste deutschsprachige Meisterschaft wurde 1997 von Hogekamp ins Leben gerufen, um fortan jährlich stattzufinden. Neben ihm steht der erste Sieger dieser Meisterschaft: Bas Böttcher. Kurzum, die erste Generation deutschsprachiger Slam-Poeten stellt sich persönlich vor. Da sich Poeten am liebsten mit Texten präsentieren und Texte besser vorgetragen, als zu lange eingeleitet und beschrieben werden sollen, nutzen beide alsbald das (nur-für-die-Kunst-)Mikrofon, um eine Kostprobe zu geben.

Die Verse-Sager

Souverän leiten die beiden Herren von dem performativen Teil der Veranstaltung über in allgemeine Reflexionen über Poetry Slam, verwandte Formate und deren Beitrag zur Literaturvermittlung. Bas Böttcher erklärt, dass Bühnendichtung prinzipiell auf drei Ebenen funktioniert, um Text zu transportieren. Zum einen die inhaltliche Ebene des Textes, dann dessen formale Struktur und schließlich die audiovisuelle Umsetzung auf der Bühne. Die über die Medialität traditioneller Gedichte hinausgehende dritte Ebene ermöglicht das Spiel mit den beiden anderen. Ein Beispiel: Während sich in Böttchers Syntax Error ein Wortdreher (Strukturebene) an den nächsten reiht, letztendlich Fehler an sich thematisiert werden (Inhaltsebene), trägt er uns diesen Text nämlich fehlerfrei vor (Performanceebene). Aber was passiert, wenn die Bühnenebene wieder wegfällt? Schließlich sind die beiden hier, um ihre Anthologie Die Poetry Slam – Fibel vorzustellen.

„Nenn mich Versager. Ich nenn mich Verse-Sager“
(Bas Böttcher, Syntax Error)

Dazu ein kleiner Exkurs: Poetry Slam ist als eine Form des Genres Spoken Word Teil der sogenannten oralture-Tradition. Wie der Name es vermuten lässt, handelt es sich hierbei um literarische Formen die, in Abgrenzung zur literature, an mündliche Ausdrucksformen gebunden sind. Die Slam-Poetry bezeichnet dabei nicht den Text, sondern den Wettbewerb, bei dem dieser in Interaktion mit einem Publikum präsentiert wird. Seit den Anfängen des Formats ist viel passiert. Aus der einstigen Untergrundbewegung sind regelrecht institutionalisierte Literatur-Events hervorgegangen.

Ungeliebtes Stiefkind

Seit man hierzulande des Schreibens mächtig ist, wird jedoch im Reich des Wortes auf alle mündlichen Kunstformen mit hochgezogenen Brauen geblickt. Slampoeten werden häufig gefragt, ob sie denn schon veröffentlicht hätten. Also: Gedruckt hätten. Auch wenn schon tausende Male selbstgeschriebene Texte vor Publikum vorgetragen wurden: Als AutorIn gilt, wer schreibt und sich somit auf eine Textfassung festlegt. Und so ist der Poetry Slam, der die Säle wieder mit sprachinteressierten Massen füllt, das ungeliebte Stiefkind des Literaturbetriebs. Während die LiteraturkritikerInnen die Nase rümpfen und mit FeuilletonredakteurInnen um die Wette schweigen, schimpfen SlammerInnen über die sich ausbreitende Langeweile im Elfenbeinturm und rufen: „Wir holen den Ingeborg Bachmann-Preis und scheißen auf die Metrik!“

Zum zwanzigjährigen Geburtstag der deutschen Slam-Gemeinde haben sich die Herren Böttcher und Hogekamp etwas Besonderes überlegt. In einer Anthologie sammelten sie Texte zahlreicher aktiver oder ehemaliger Slam-PerformerInnen und stellten sich so ihre eigene Wunschbesetzung eines fiktiven Slam-Abends zusammen. Die im Oktober letzten Jahres erschienene Poetry-Slam-Fibel (Satyr Verlag) ist der Sprache selbst gewidmet. Unter Kapiteltiteln wie „Sagenhören“, „Antikommunikation“ sowie „Verbalschlacht“, „Explizitizität“ und „Wörterschlussverkauf“ finden sich Texte zahlreicher VertreterInnen der Spoken-Word Szene. Die Texte wollen bitte alle laut gelesen werden, erklären sie.

Die Fibel schafft hier gewissermaßen einen medialen Durchbruch. Texte, die sich vor allem über ihren Klang, ihre Präsentation auf der Bühne und über den Einbezug des Publikums definieren, werden durch den Druck auf Papier zu dem, was sie eben eigentlich nicht sind: unverrückbar, manifestiert, schriftlich. Das bleibt in einer Fibel, die sich die Sprache selbst zum Schwerpunkt erwählt hat, natürlich nicht unkommentiert. In Pauline Fügs „sprech-akt“ heißt es:

ich will
jedes mal neu sein, das mikrofon sei mein transmitter
hier kommt mein botenstoff für euch

doch: ich will nicht auf druck ausdrücken müssen
was mir so schwer im magen liegt

will nicht
auf fetzenpapier meine gedanken hetzen müssen
ich will kein papiertiger sein
hinter gitterstäben
will ich nicht in dreckigen käfigecken verrecken
kein müder krieger sein […]

(Die Poetry-Slam-Fibel, S. 156)

Obwohl hier von einem Tiger die Rede ist, denkt man unwillkürlich an Rilkes Panther. Pauline Füg spricht hier einen elementaren Unterschied der konventionellen Dichtung im Gegensatz zur Bühnendichtung an: Einmal gedruckt, steht bzw. steckt das Raubtier Wort im Käfig. Papier ist eben nicht Mikrofon. Wie lässt sich Bühnendichtung zwischen zwei Deckel pressen? Um die Audiovisualität des Slams nicht außer Acht zu lassen, haben Böttcher und Hogekamp QR-Codes und Links unter einigen Texten platziert. So lässt sich Pauline Fügs „sprech-akt“ nicht nur lesen, sondern auch anhören. Die Schriftgestaltung soll Klangliches optisch darstellen, Fettgedrucktes soll zum Beispiel laut gelesen werden. Um selbst die Überraschungseffekte, von denen so ein Slam-Abend lebt, nicht missen zu müssen, gibt es im Buch auch einen QR-Code zum monatlich wechselnden Überraschungstrack.

Sprache als Waffe, Sprache als Spielzeug

Mitte des Monats trat die Schülerin Naina via Twitter eine Debatte über das deutsche Bildungssystem los. Die Vermittlung alltagsrelevanter Inhalte würde im Unterricht ihrer Meinung nach fehlen. Als Aufhänger dienten ihr dabei die verhassten Gedichtanalysen: Was hätten die schon mit ihrem Leben zu tun?

Die hätte mal zu einem Slam-Workshop gehen sollen! Slam-PoetInnen sind immer auch LiteraturvermittlerInnen. Das bringt zum einen der Ethos des Bühnendichters mit sich, zum anderen unterstützen diverse Kulturfonds KünstlerInnen, die sich auch in Schulen engagieren und ihr Wissen weitergeben. Beide, Böttcher und Hogekamp und auch viele andere SlammerInnen, geben regelmäßig Workshops in Schulen. Den Unwillen der Schüler und SchülerInnen gegenüber Lyrik zu mindern, gelinge in diesem Rahmen anscheinend ganz gut. Das bezeugt zumindest die Tonaufnahme eines Achtklässlers, der sein Ergebnis eines solchen Workshops vor der Klasse präsentiert. Deshalb wird zu Beginn eines solchen Workshops auch immer betont, „[…]dass es hier um dich und deine Sprache geht – nicht um den Deutschunterricht“, so Hogekamp. Die SchülerInnen könnten häufig einfach mehr mit der Gegenwartssprache von Slam-Texten, als mit Goethe und Rilke anfangen. Zugegebenermaßen stellen sich mir da erst einmal die Nackenhaare auf. Wie viel Dichtung erlaubt solch ein Wettstreitformat denn überhaupt? Zu komplizierte und eben dichtere Texte haben es von vornherein schwerer. Schließlich soll das Publikum nach dem Vortrag klatschen – nicht in stilles Nachdenken verfallen. Allerdings betonen die beiden sogleich, dass Lyrikunterricht nicht durch Poetry Slam ersetzt, sondern eher ergänzt werden soll. Sowohl die Workshops, die Slam-Texte und deren filmisches Pendant Poetry Clips können hierbei als „Rutsche“ direkt in Rilkes Pantherkäfig dienen, sozusagen.

Ohne das Eine kann das Andere nicht

Ursprünglich sei auch darüber nachgedacht worden, die Slam-Fibel in einem Schulbuchverlag zu publizieren, dagegen sprachen aber zum Beispiel die höheren Verkaufspreise. Ein paar Texte kann man sich tatsächlich ganz gut im Deutschunterricht vorstellen. Zum Beispiel Sulaiman Masomis „Am Grab der Sprache“. Der in fünf Akte aufgeteilte Text versammelt sämtliche Gattungen, Fälle, Klang- und Wortfiguren der deutschen Literatur und Sprache zu einem Begräbnis. Gewissermaßen ein modernes Lehrgedicht:

3. Akt Peripetie

[…] „Der Tote ist gestorben“, jammerte die Tautologie auf ihre redundante Art und Weise.
„Lieber Genitiv, dank dir machen wir einen Satz über den Ab-
grund der Sprache“, verkündete die Metapher gemeinsam mit dem Zeilensprung.
Der Dativ küsste den Genitiv auf die Wange und flüsterte ihm dabei ins Ohr: „Ein Glück, dass du tot bist, denn du warst sowieso nie mein Fall.“ […]

(Die Poetry-Slam-Fibel, S. 264)

Hier sieht man ganz wunderbar, dass das Eine ja gar nicht ohne das Andere kann. Wenn das Nachempfinden und Nachdenken über klangorientierte Poesie das Tor für Goethe, Trakl und Domin öffnet, ist das ja nicht das Schlechteste. Der Poetry Slam ist sicherlich nicht schuld daran, dass sich Lyrik im Deutschunterricht zunehmend schlechter behaupten kann.

Dazu eine interessante Stimme aus der literature: Auf einer Lesung derselben Woche sprach sich die Dichterin Monika Rinck dafür aus, dass man Lyrik ihretwegen gerne aus dem Rahmenplan streichen könne. Dann würde vielleicht der in langwierigen Gedichtanalysen entstandene Unmut gegenüber der Lyrik abnehmen. Und nur jene sich mit Lyrik auseinandersetzen, denen das Freude bereitet.

Ohne an dieser Stelle von Poetry Slam, Slam-Fibeln über Rilke große Grundsatzfragen der Bildung vertiefen zu wollen: Wo kämen wir denn dahin? Lyrik gehört, im Sinne einer kulturellen und sprachlichen Bildung, in den Deutschunterricht. Problematisch ist hier nicht der Gegenstand, sondern der Zugang zu diesem. Mehr Gedicht und weniger Analysen, die den fälschlichen Standpunkt vermitteln, es gäbe diese eine richtige Lesart. In jedem Falle ist es wichtig, den Lyrikunterricht mit handlungs- und produktionsorientierten Phasen zu verbinden. Gedichte lassen sich besser verstehen, wenn man selbst welche schreibt.

Zunächst erschienen auf http://www.doktorpeng.de/slam-poetry-statt-rilke-wettbewerbsdichtung-und-die-zukunft-des-deutschunterrichts/

Zunächst erschienen auf doktorpeng.de
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Geschrieben von

Susanne Klimroth

Studentin und Schreibende

Susanne Klimroth

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