Im Gebäude von Universal Music in Berlin. 8. Stock. Dieter Meier sitzt in einem der vielen Konferenzräume und ist vom Flur aus zu sehen. Der Raum hat eine halbverglaste Außenwand. Der Aktionskünstler und Musiker Meier spricht diesmal als Stimme des Elektro-Duos Yello mit der Presse. Ein neues Album erscheint. Die Türe öffnet sich, ein Kollege von DPA verlässt den Raum. Fliegender Wechsel. Meier, der als „Vater des Techno“ gehandelt wird, steht auf, blickt neugierig zur Tür und lächelt. „Ach, endlich mal eine Frau,“ ruft er. Von denen scheint es in der Musikbranche wohl nicht so viele zu geben. Dann hat Meier, gebürtiger Schweizer, erstmal Fragen: Wie es in Berlin so gehe, woher die Redakteurin komme, ah, Bayern, warum man keinen Dialekt höre…
Dieter Meier: …aber gut, legen wir los.
Der Freitag: Ja, eigentlich wollen wir über Sie reden.
Eine Frage ist im Grunde auch nichts anderes als eine Antwort.
Sie können auch gerne mit einer Frage beginnen, welche würden Sie gerne beantworten?
Schwierig. Das kann ich nur allgemein formulieren. Ich würde gerne etwas gefragt werden, das es mir ermöglicht, an diesem Montagmittag meinen Zustand auszuloten. Ein Interview ist immer eine Momentaufnahme. Man hat bestimmte Ansichten, die man nicht ständig erneuert, aber jedes Gespräch ist anders.
Ich würde gerne mit Ihnen über Avantgarde reden.
Ah, interessant!
Mit Ihrem neuen Album
Das Vorgehen von Yello war immer anarchistisch: sich treiben lassen vom ersten Klang, der den zweiten hervorbringt. Boris Blank, der diese Klangwelten kreiert, hatte nie ein kompositorisches Prinzip, der malt ein Blümchen, dann macht er noch eines und am Ende hat er eine große Rose, die sich in eine Giraffe verwandelt. Diesmal sind ganz normale Songs entstanden, wir sind gegenständlicher geworden, ein bisschen braver. Vielleicht ist das gerade anarchistisch, weil man es von uns nicht erwartet hat.
Das Album klingt zufällig so?
Absolut. Sicher hängt es auch damit zusammen, dass Boris Blank ein unglaublicher Perfektionist ist. Mit den technischen Möglichkeiten von heute sind diesem Perfektionswillen keine Grenzen mehr gesetzt, was die Gefahr birgt, dass es zu poliert wird. Es wäre eigentlich meine Aufgabe, Boris wieder an die Wurzeln seines anarchistischen Vorgehens zu erinnern.
War Yello Avantgarde?
Wir waren radikale Dilettanten, die wie Kinder in einem Sandhaufen ohne eine Ahnung von Statik oder Architektur unsere Sandburgen gebaut haben. Mal sind die zusammen gefallen, mal waren sie lustig, mal weniger. Boris Blank ist ein Ur-Musiker, der als Kind aber kein Instrument lernen durfte. Also hat er sich selber welche gebaut, mit den einfachsten Mitteln.
Welche waren das?
Zum Beispiel hat er mit einer Zeitung raschelnd auf dem Küchentisch diese „krchkrch“-Besengeräusche imitiert. Mit einem kleinen Mikrofon hat er sie auf Kassette aufgenommen, wieder abgespielt und ein neues Geräusch dazu gefügt. Da hat man dann gedacht, ah, das war ein Avantgardist! War er nicht. Genauso wenig war ich es. Unser erster Erfolg in den USA war ein Lied, das ich auf einer einzigen Note singe, „standing at the maschine every day of my life“ – damit wollte ich nicht etwa eine Frühform des Rap erfinden. Ich kann einfach nicht singen.
Das sagen Sie als Sänger? Bisschen kokett ist das schon, oder?
Nein. Mein Rhythmusgefühl ist okay, aber ich bin weiß Gott kein Sänger – im Unterschied zu meinen Kindern, die das von meiner sehr musikalischen Frau Gemahlin geerbt haben. Ich treffe die Töne nicht. Das ist kein Kokettieren.
Meistens leben Sie sich auch als Aktionskünstler aus. Mit welchem Anliegen?
Meine artistischen Dinge in dieser sogenannten Konzeptkunstwelt entspringen eher Hirnvorgängen als der Intuition. Parallel dazu habe ich aber immer schon kleine, spontane Zeichnungen gemacht. Mit sehr beschränkten Mitteln, Kugelschreiber oder Filzstift, habe ich innerhalb von drei Sekunden Gesichter gemalt. Wenn sie mir etwas sagen, schreibe ich einen Dialog dazu oder einen Satz. Es entstehen zufällig Kreaturen. Manchmal sehen sie allerdings aus wie echte Leute, ich habe zum Beispiel ein unglaubliches Porträt von Egon Schiele, dem Maler, gemacht. Mit Filzstift. Aber nicht mit der Absicht, eine Bildidee umzusetzen.
Wen haben Sie denn noch so zufällig gezeichnet?
Tausende, ich mache das seit 1980. Ein Kerl heißt James van Dango, der sieht sehr brutal aus, hat aber auch etwas Weiches. Ich habe ihn zum berühmtesten homosexuellen Catcher der Welt erklärt. Oder der französische Schriftsteller André Gide, der passiert mir auch oft.
Passiert Ihnen auch das Leben?
Ja sicher. Ihnen doch auch.
Ist das Ihr Geheimnis von Glück: keinen Plan haben, keine Absicht, es passieren lassen?
Mein Leben ist extrem zufällig verlaufen. Oftmals folge ich aber auch etwas anderem, wie mein Freund Stephan Remmler, der Sänger von Trio sagt: „Da kommt der Rhythmus, wo ich mit muss“.
Welcher fällt Ihnen da ein?
Normalerweise plant jemand zum Beispiel, einen Spielfilm zu machen. Bei mir war es so: Immer wenn ich die allergrößte Langeweile hatte, habe ich ein Drehbuch geschrieben. Drehbücher zu schreiben ist irrsinnig einfach, also schlechte Drehbücher. Kann jeder. Aus Witz habe ich meinen dann großspurige Titel gegeben, weil sie so unbedeutend waren. Eines hieß „Sehnsucht nach allem“. Ein Kerl hat es in meinem Atelier gefunden, es einem Filmproduzenten gegeben, der es interessant fand.
Worum ging es?
Es war ein Thriller, an der Oberfläche aber nur, im Grunde ging es um einen Kerl, der kriminell wird, aber nur aus Langeweile, wie ja auch viele Terroristen nur Terroristen aus einer existentiellen Not heraus wurden, um sich zu spüren. Ein sehr pervertierter Existentialismus, diese Art von Terror.
Sie sprechen von der RAF?
Absolut, das waren ja Romantiker, ich könnte da ein paar Beispiele erzählen, aber das ist eine andere Geschichte.
Ist doch interessant, Sie kannten RAF Mitglieder?
Meine Freundin damals hatte in Frankfurt Psychologie studiert, und da ich philosophische Vor- lesungen immer gerne gehört habe, bin ich auch hingegangen. Sigmund Freud Institut, Mitscherlich und so, in diesem Umfeld sind die Leute auch aufgetaucht. Es gibt ein paar ganz wüste Geschichten, die unterstreichen, dass sie nie ernsthaft den Staat aus den Angeln heben wollten. Der Terror war die verzweifelte Rationalisierung dieses Existentialismus, der andere Gründe hatte. Aber das ist wirklich eine andere Geschichte. Meinen Thriller jedenfalls hat der Produzent dann bei der Deutschen Filmförderung eingereicht.
Und, hat es geklappt?
Naja, die Geschichte klingt jetzt ein bisschen angeberisch, aber es war wirklich so. Ich hatte die Einreichung schon längst vergessen, als ich in Sizilien in einem kleinen Dorf eine FAZ gelesen habe, die schon zwei Wochen am Ständer hing, aber egal, Aktualität ist ja sowieso eine Illusion. Dort fand ich die Meldung, dass ich Preisträger des Deutschen Drehbuchpreises bin. Ich wollte das nie, im Gegenteil habe ich eher geschimpft gegen diesen Industrieprozess, in dem die kreative Idee untergeht.
Gegen die Kulturindustrie – klingt da doch der kulturkritische Avantgarde-Künstler durch?
Ich glaube, das eigentliche Infragestellen dieser Gesellschaft funktioniert anders. Dieser Kapitalismus, wie Marx ja richtig gesagt hat, ist keine vom Menschen geschaffene, zweite Natur, der er ausgeliefert ist. Er ist kein vom bösen Menschen betriebenes System, denn der Kapitalist, der scheinbar die Entscheidungen trifft, ist ja auch ein System-Sklave, er wohnt vielleicht anders und häuft Zahlen an auf seinem Bankkonto, aber er ist genauso ausgeliefert. Ich glaube, wenn man das kritisch ansieht, was ich tue, dann ist Dagegen-Sein ein explizit langweiliges Verfahren. Das ist das Privileg der Jugend.
Was schlagen Sie vor?
Man muss für sich selber sein, im Sinne des Entdeckens seiner Selbst. Ich sehe mein Tun nicht als ein angestrebtes Erstellen von Produkten, sondern als eine Bewegung, die während dieser paar zehntausend Tage, die mir in dieser zufälligen, lächerlichen Erscheinungsform des Herrn Meier gegeben sind, Spuren hinterlässt. Anarchistisch im guten Sinn des Wortes: ein Stück Welt für sich entdecken, auch gegen die Religion.
Sie mögen Religion nicht?
Ich bin ein ganz großer Gegner davon, jede Gottesidee ist etwas absolut Irrsinniges. Nichtsdestotrotz enthält dieses Konglomerat zusammengestohlener Ideen, das da Bibel heißt, ein paar schlaue Sätze, die jenem jüdischen Wanderprediger zugeschrieben werden. Dieser Herr Jesus hat angeblich gesagt: ‚Werdet wie die Kinder‘. So wie das damals schon gemeint war, bedeutet das im Grunde ein Sich-Entziehen, und zwar den Bedingungen dieser Gesellschaft, indem man sich in Frage stellt. Oft sind es Künstler, die das praktizieren.
Deshalb werden die oft für durchgeknallt erklärt?
Deshalb hat diese Gesellschaft ein so gestörtes Verhältnis zu Artisten, ja. Das sind entweder Leute, die dem Herrgott die Tage stehlen oder es sind die Götter, die verherrlicht werden. Eine Avantgarde im eigentlichen Sinne gibt es ja gar nicht mehr. Was in den vergangenen 20 Jahren unter dem Label Avantgarde lief, ist eine kleinbürgerliche Kunstgattung, die als soziales Spiel zwischen den Messen, Museen und Kuratoren stattfindet. Unglaublich viele, auch sehr lustige Spekulanten wie Herr Hirst sind in das Spiel eingetreten. Wenn er seinen Diamantkopf mit einem tiefsinnigen Spruch versieht und dann selber kauft, um das teuerste Kunstwerk der Welt zu produzieren, ist das unglaublich lustig. Aber das sind Fußnoten am Rande, selbst Jeff Koons ist eine Fußnote verglichen mit Andy Warhol.
Ist nicht das Problem, dass heute viel zu viele Stars sein wollen?
Klar.
War das früher auch so?
Ich glaube, das ändert sich immer, je nach Mode. Als ich acht Jahre alt war, wollte ich Elvis sein. Aber eigentlich wollte ich immer Schriftsteller werden. Ich dachte, an der Schreibmaschine rumhantieren, das kann man schnell lernen.
Mechanisch betrachtet, sicher.
Mich trieb die Vorstellung um, wie man aus seinem Dasein als Taugenichts irgendetwas machen kann. Im Grunde bin ich ein sehr ernsthafter Mensch.
Warum betonen Sie das?
Ich selbst habe lange gebraucht, um mir zu erklären, warum ich das eigentlich machen muss.
Und warum?
Bei meiner ersten Aktion habe ich hunderttausende Metallstücke auf einen Platz schütten lassen und sie eine Woche lang abgezählt, jeweils tausend in eine Tüte. Das war eigentlich das absolute Nichts, es war dumm, langweilig, jeder kann es. Heute denke ich, der Sinn lag darin, als absoluter Taugenichts etwas zu tun, was sich der utilitaristischen Verwertbarkeit sogar auch in diesem Kunstbereich entzieht.
Wie passt zu dieser Anarchie die andere Seite Ihres Lebens? Der eher bürgerliche Unternehmer, Landwirt und Restaurantbesitzer, verheiratet, fünf Kinder?
Die Landwirtschaft besteht auch aus einem stetigen Suchen. Und zwar im Dialog mit der Natur. Die konventionelle Landwirtschaft baut dagegen darauf, die Natur zu vergewaltigen. Ich schaue an einem Ort, was die Natur hergibt. Sie ist auch eine Form der Anarchie.
Und die Familie?
Familie, wie wir sie leben, ist auch kein Erziehungsprogramm, sondern ein Wanderzirkus, alle sind immer unterwegs. Wir haben an allen Orten Häuser, aber keine Luxusbauten zu Repräsentations-zwecken. Ich sage immer, Einbrecher haben einen sehr schwierigen Beruf, man sollte sie alleine lassen, wenn sie ihn ausüben. Deshalb ist bei uns immer alles offen, wenn sie da was stehlen wollen, sollen sie es tun. Einzig wichtig ist mir ein Bild meiner Großmutter.
Gut, aber das ist doch eine Frage der Absicherung – Sie müssen nun nicht die Armut fürchten…
Nein, das ist eine Frage des Besitzes. Ich habe keine Beziehung dazu, ich verliere auch alles. Es geht um die ständige Eroberung der Freiheit im Kopf. Leute fragen mich oft, was passieren würde, wenn ich plötzlich arm wäre. Gut, für einen Augenblick scheint das schmerzhaft. Aber ich weiß nicht, ob die Größe des Zirkus, den ich betreibe, eigentlich gut ist für mich. Vielleicht wäre es besser, ich würde in einem Wohnwagen leben und Geschichten schreiben. Das sind doch keine wirklichen Gegensätze: Es gibt nicht den liebenden Vater auf der einen Seite und auf der anderen den Kerl, der in einer Aktion goldene Kugeln unsinnig rollen lässt. Das ist der gleiche.
Das Gespräch führte Susanne Lang
Dieter Meier und das Musikprojekt "Yello"
Dieter Meier, geboren am 4. März 1945 in Zürich, hatte aus finanzieller Sicht einen fantastischen Start ins Leben: Sein Vater war Bankier. Aus sozialer Sicht lief die Kindheit nicht ganz so fantastisch, da Reiche auch damals nicht unbedingt nur gemocht wurden. Um so stärker betont Meier heute, dass er nicht von seinem Erbe lebe, sondern von seinen eigenen Tätigkeiten. Er betreibt zum Beispiel eine Bio-Farm in Argentinien, züchtet Rinder und baut Gemüse sowie Rotwein an. In Zürich hat er jüngst sein eigenes Restaurant eröffnet. Als Unternehmer ist er an einer Firma für digitale Mischpulte im Silicon Valley beteiligt.
Begonnen hat er seine zufällige Karriere allerdings mit einer Ausbildung zum Juristen, machte aber bald seinem Dasein als Individual-Anarchist (Meier) alle Ehre und hielt sich mit Pokerspielen über Wasser. Seit Ende der sechziger Jahre verstört er mit Aktionskunst die Öffentlichkeit. 1971 gab er in New York jedem Passanten, der ihm mit Ja oder Nein antwortete, einen Dollar. Auf der documenta5 ließ er 1972 beim Kasseler Hauptbahnhof eine Metalltafel einbetonieren, mit der Aufschrift: Am 23. März 1994 von 15.00-16.00 Uhr wird Dieter Meier auf dieser Platte stehen.
Und stand da dann auch 22 Jahre später. Sein aktuelles Projekt ist eine vergoldete Kugel Le Rien en Or: In den nächsten 100 Jahren wird sie an acht festgelegten Tagen zwölf Meter auf einer Holzbahn rollen, der Start war im Mai 2008.
Das neue Album von Yello, Touch Yello, erscheint an diesem Freitag. Blank und Meier machen seit 1979 gemeinsam Musik. Einer ihrer populärsten Songs, The Race, wurde 1988 Titelmelodie der beliebten Musikvideo-Sendung Formel Eins. SL
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