Bodenständige wie wir

Deutsches Selbstbild Mittwoch Abend wurde der deutsche Fernsehpreis verliehen. Ein schöner Anlass, sich über die TV-Landschaft zu ärgern. Man kann dabei auch einiges über dieses Land lernen

Die einen beißen morgens in ihrer Stammbäckerei ins Brötchen, und schon ist was passiert: Innen steckt ein Finger, sauber von einer Hand abgetrennt. Andere sitzen abends am Bett ihres Kindes und beichten, was passiert ist: Man hat einen neuen Sexualpartner. Wiederum andere stehen im Bad vor dem Spiegel und wünschen sich, dass endlich was passiert: dass das Glück wieder zurückkomme – es wisse schließlich, wo sie wohnten.

Zugegeben: Man kann sich aufregendere Typen vorstellen, Chemielehrer zum Beispiel, die nach einer Krebsdiagnose auf Crystal-Meth-Dealer umsatteln. Aber wir befinden uns nun mal nicht in den USA, wir sind alle gut oder besser krankenversichert und uns droht kein Staatsbankrott. Das verdanken wir bei Weitem nicht nur Angela Merkel, die letztlich auch nur ein etwas privilegiertes deutsches Exemplar darstellt. Das verdanken wir all jenen eben nicht so aufregenden Protagonisten dieses Deutschlands im Jahr 2013, die für Sta­bilität sorgen und eines beherzigen: keine Experimente. Nicht nur, aber auch aus historischen Gründen.

Es folgt also durchaus einer gewissen Logik, dass einige dieser Prototypen nun für den Deutschen Fernsehpreis nominiert sind. Ja, die oft gescholtenen Fernsehredakteure trauen sich viel zu selten, ein künstlerisches Risiko einzugehen. Aber ihre bevorzugten Figuren sind auch ein verführerisch perfektes Abbild der deutschen Milieus und seiner Befindlichkeiten. Das wollen die Leute im Fernsehen gespiegelt, so sehen sie sich.
Wer sich die Schmunzelfolgen der ARD-Serie Hubert und Staller oder der RTL-Comedy Christine! Perfekt war gestern, aber auch des gelungenen SWR/arte-Projekts Zeit der Helden über das Jahr hinweg angesehen hat, hätte das Ergebnis der Bundestagswahl im Grunde besser vorhersagen können als alle Meinungsinstitute zusammen.

Eine knapp verfehlte absolute Mehrheit identifiziert sich am Feierabend mit den beiden Streifenpolizisten Hansi
und Hubsi, die mit ausgeprägtem Idiom in der bayerischen Provinz ihren Dienst leisten. Sie tun das nicht immer nach Vorschrift, was man in diesem Fall unbürokratisch nennen soll. Beide stolpern Folge für Folge über eine Leiche, sollen den Fall professionellen Technokraten überlassen, fassen die Mörder am Ende dann doch schneller. Botschaft: Bodenständigkeit zahlt sich aus. Unterschätzte kommen weiter im Leben als all die arroganten Schlaumeier ohne Idiom.

Was den weiblichen Teil der Mehrheit angeht, so lacht er mit Christine-Ausru­fezeichen-unperfekt nicht etwa über sich selbst, sondern all die anderen Frauen und Mütter, die doof ergo perfekt sind. Hier braucht es keine Krimihandlung. Frauen an sich sind schließlich spannend und irgendwie zum Lachen genug. Und Frauen sowie Selbstständige und Rentner gehören ja, wie man rasch nach der Wahl wusste, zur konservativen Kernwählerschaft.

Bleibt die fast ebenso große, als links bezeichnete Restmehrheit. Sie lässt sich nicht so richtig auf einen Nenner bringen. Ein kleiner Teil aber guckt arte und identifiziert sich mit jenen Helden, die in Einfamilienhäusern in der Provinz wohnen und die Midlife-Krise besser meistern wollen als ihre Eltern. Ihnen sieht die Serie Zeit der Helden an neun Abenden zu, wie sie mit ihren Idealen einer anderen Bürgerlichkeit hadern. Mögen sie dabei auch scheitern, die Serie selbst, ausgestrahlt an Ostern, wagte immerhin ein Experiment: Sie erzählte von ihren Protagonisten multimedial und in Echtzeit. Sie hätte einen Preis verdient. Aber wie war das? Hätte, hätte ...

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Geschrieben von

Susanne Lang

Freie Redakteurin und Autorin.Zuvor Besondere Aufgaben/Ressortleitung Alltag beim Freitag

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