Diesmal braucht er gut drei Stunden bis es raucht. Die Stühle im Saal mit den hohen Fensterflügeltüren werden längst zur Seite geschoben sein, runde weiße Stehtische ihren Platz im Raum eingenommen haben. Auf ihnen wird Wein in Gläsern stehen, rot samtig oder golden klar, bei manchen sind sie halb voll, bei anderen halb leer – je nachdem, wer sich jeweils an den Stehtischen eingefunden hat und an seinem Glas nippt, Diplomatin, Arzt, Unternehmer oder Journalist.
Gut drei Stunden nach Beginn der Veranstaltung wird sich über einem der Tische endlich der Rauch kringeln. In dicken Wolken werden ihn die Herren mit ihren Zigarren in die Luft paffen. Er, so heißt es in der Begrüßung des Abends, war immer dort, wo es am stärksten geraucht hat. Wolfgang Clement lächelt bei Sätzen wie diesem ein schulterzuckendes Lächeln, er nimmt sie als Kompliment. Wer kann, der kann nun mal. Und manche können einfach nicht anders.
Sozialliberaler Missionar
Wolfgang Clement, Bundeswirtschaftsminister a.D., NRW-Ministerpräsident a.D., Chefredakteur a.D., SPD-Mitglied a.D.; Architekt der Agenda 2010, Lobbyist für die Energiewirtschaft (RWE) und Leiharbeitsfirmen wie Adecco, Mitglied im „Konvent für Deutschland“ – nicht außer, sondern im Dienst. Mit sozialliberaler Mission.
Auch an diesem Abend im Großen Saal der Berliner Repräsentanz der Würth-Gruppe, einem der größten deutschen Unternehmen, die international agieren, jedoch nicht börsennotiert sind. Das Licht im Saal ist warm. Draußen vor den Fenstern schläft die Villennachbarschaft in der stillen Dunkelheit der Insel Schwanenwerder, einen kleinen Fußmarsch entfernt vom Strandbad Wannsee, am Stadtrand von Berlin. Würth gilt als Familienunternehmen gerade als guter Player in der bösen Wirtschaftswelt, nachdem das Börsen- und Finanzwesen mit seinen Maßstäben des virtuellen Immer-Mehr gar nicht so viele Wände finden hätte können, gegen die es hätte krachen müssen.
Würth verkauft Schrauben. Seit 1945. Würth, ansässig im schwäbischen Künzelsau, baut seinen Erfolg auf umtriebigen Außendienstmitarbeitern, die über die Lande ziehen, von Haustüre zu Firmentor, um ihre Produkte abzusetzen. Und weil ein so erfolgreiches, gutes Unternehmen sich heute selbstverständlich als ein Akteur begreift, der gesellschaftliche Verantwortung übernimmt, zahlte Würth 2008 eine Strafe wegen Steuerhinterziehung und lädt Handlungsreisende wie Wolfgang Clement in seine Hauptstadt-Repräsentanz zu einem „Presse Jour Fix“, um vor geladenen Teilen dieser Gesellschaft deren weitere Geschicke zu diskutieren.
Im Superwahljahr 2009 bestimmten die Agenda der Jour Fixe die „ordnungspolitischen Handlungsmaximen“ und, klar, die Wirtschaftspolitik, wie es in der Begrüßung des Abends, gut zwei Stunden vor der Zigarrenzeit, heißt. Wahlkampf werde aber keiner geführt, von Interesse seien die Stimmen der Ehemaligen und der Externen, der politischen a.D.s und wirtschaftlichen i.D.s. Diejenigen also, die Macht nicht öffentlich repräsentieren, sondern im Stillen ausüben. Und ausgewählt auftreten.
Wolfgang Clement steht an seinem Rednerpult, im Saal kehrt Ruhe ein. Nur aus der letzten Reihe ist ab und an ein unwirsches Brummen zu hören. Es gehört zu Rezzo Schlauch (Die Grünen), Staatssekretär a.D. im damaligen Clement’schen Superministerium für Arbeit und Wirtschaft. In der Eingangshalle balancieren die Servicekräfte letzte Tabletts mit Appetizern zurück in Richtung Küche, einige der weißen Schälchen sind noch gefüllt. Die Zitate von Fleischbällchen auf Kartoffelsalätchen und Jakobsmuschel mit Zuckerschötchen nebst Champagnergläschen haben ihren Auftritt hinter sich. Die Türen des Saals schließen. Und Clement holt Luft.
„Ich fahre gerne Zug und neulich saß ich im Speisewagen. Als ich zahlte, sagte die Servicekraft zu mir: Alle hier im Wagen reden übrigens über Sie“ – Clement hält die Luft kurz an – „Herr Seehofer.“ Die Pointe sitzt. Ebenso wie das Selbstbild des Redners, der als überaus klug-witziger Zeitgenosse bekannt ist, wenn er nicht gerade zündelt. Die Anekdote aus dem Zug wollte er Herrn Seehofer dann aber nicht erzählen, alles habe ja ein Ende, und er wolle Seehofer nicht gleich alle Illusionen nehmen. Viel lieber zeichnet er seine Visionen auf, und die haben sich wenig verändert, seit er sich 2008 von der SPD nicht ausschließen lassen wollte, sondern lieber im Alter von 68 nach 38 Jahren Mitgliedschaft selbst austrat. In Hessen hielt er sie zuletzt für unwählbar, die regenerative Energiepolitik hat ihm, nun ja, nicht gefallen. Also, los:
Atomkraft über alles
„Rund um die Wirtschaftskrise bin ich selbst ein Suchender,“ sagt Clement, aber der Staat dürfe nicht in dem Ausmaß in die Wirtschaft eingreifen, das habe man doch historisch gelernt. Dafür müssen: die Banken stabilisiert, die gewaltige Schuldensumme auf den Schultern unserer Enkel reduziert, die berühmt berüchtigten Rahmenbedingungen verändert werden. Dafür müsse: der unsinnige Gesundheitsfond zurükgenommen, in den öffentlichen Bereich investiert, die Bürokratie abgebaut, die Öffentlichkeit medial nicht mehr nur mit schlechten Nachrichten versorgt, die Zeitarbeit von ihren bürokratischen Fesseln befreit werden. Es geht Schlag auf Schlag und dann zündet es: „Der Ausstieg aus der Atomenergie muss rückgängig gemacht werden.“ Brummen in der letzten Reihe, aber kein Widerspruch. Clement nimmt sich Zeit. Er bleibt sich treu. Auch wenn Gastgeber Würth mittlerweile neben Schrauben auch Solarzellen produziert.
Seit 2005 ist Clement nicht mehr im Amt. Manche abgewählte Politiker gehen wie Günter Beckstein bei Aldi einkaufen, wie er kürzlich dem SZ-Magazin erzählte. Andere machen einfach weiter Politik.
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