Die DDR - nicht schick, aber kreativ

Sibylle Bergemann Sibylle Bergemann hat schon in der DDR Mode fotografiert. Um Kleidung ging es ihr nicht nur, sie hat den Ost-Alltag versponnen inszeniert. Wie sieht sie diese Welt heute?

Der Freitag: Frau Bergemann, welche Bilder der DDR sind Ihnen persönlich geblieben?

Sibylle Bergemann: Unsere erste Wohnung, in der wir zehn Jahre lang jeden Abend Besuch hatten von Freunden und Kollegen. Wir waren fast so etwas wie eine Familie. Zu fotografieren habe ich erst 1966 angefangen. Wenn ich mir die Aufnahmen heute ansehe, von meiner Tochter zum Beispiel, wie sie mit ihren zwei Jahren auf dem Hof spielt – das sieht aus wie im Krieg. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Aber es gibt kein einzelnes Bild, das für mich die DDR repräsentierte.

Seltsam nicht, dass die DDR im kollektiven (West-)Gedächtnis auf ein einziges Bild zusammengeschrumpft ist: den grauen, verfallenen Osten? Ihre Bilder erzählen etwas anderes.

Ich habe das fotografiert, was mich umgeben hat, ohne es schöner oder schlechter machen zu wollen. Porträts haben mich von Anfang an interessiert. Und Berlin, weil ich hier gelebt habe. Ich bin einfach fotografieren gegangen, in der ersten Zeit hatte ich noch keine Aufträge. Die ersten erwähnenswerten Veröffentlichungen gab es im Sonntag, zu einem Stück von Jutta Vogt über Fenster.

Worum ging es da?

Da ich mich nicht getraut habe, Menschen zu fotografieren, habe ich Fenster fotografiert. Wenn man sich die anguckt, hat man eine Vorstellung von den Bewohnern dahinter: Sehe ich Rüschen? Oder gar keine Gardinen? Fenster sind auch Menschen. Das war die Idee.

Sie haben sich nicht getraut Menschen zu fotografieren?

Ich hatte Angst davor.

Warum?

Es war mir einfach peinlich. Leute anzusprechen habe ich mich sowieso nicht getraut. Das kam erst viel später. Zwar habe ich sie auch ohne ihr Wissen fotografiert, aber eher selten. Eigentlich finde ich das unanständig, als wäre ich ein Voyeur. Diese Hemmungen haben sich auch nie gegeben, sie sind heute schlimmer denn je.

Die meisten ihrer DDR-Modestrecken sind in alltäglichen Situationen fotografiert. Wieso nicht in Studios?

Es gab natürlich auch Atelier-Serien, die habe ich auch ab und an gemacht. Aber eher, weil ich mich dem Magazin Sibylle verpflichtet gefühlt habe. Jeder von uns arbeitete eng mit einem Redakteur oder einer Redakteurin, in meinem Fall Claudia Engelbrecht. Im Gegensatz zu heute kümmerte sie sich um alles: Sie schminkte die Mädels, besorgte die Kleidung oder entwarf sie zum Teil selbst. Ich persönlich habe aber immer nach einer besonderen Atmosphäre gesucht, auf der Straße oder sonst wo. Modefotografie hängt immer vom Hintergrund ab, in der sie inszeniert wird. Wir haben auf unsere Umwelt zurückgegriffen, weil wir nichts anderes zeigen konnten.

Wie war die DDR-Mode?

Sehr unterschiedlich. Es gab die Marken-Kleidung von „Exquisit“, die zum Teil sogar importiert und in eigenen Läden zu kaufen waren. Eigentlich auch ganz schön, aber wesentlich teurer. Ganz schrecklich sahen dagegen die Klamotten der Vereinigung Volkseigener Betriebe, VEB, aus. Die waren zum Teil so grauenhaft, dass wir sie zum Spaß selbst angezogen und uns darin fotografiert haben.

Was war so grauenhaft?

Na, zum Beispiel die Sommerkleider. Nicht alles war so schlimm, aber die haben keinen Spaß gemacht, sie waren aus Plastik.

Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie Mode fotografiert haben?

Mein Mann, Arno Fischer, hat Mode fotografiert, darüber bin ich hineingerutscht. Meine Katharina-Thalbach-Serie war die erste größere Arbeit.

Weshalb wollten Sie eine Modestrecke mit der Schauspielerin machen?

Ich war so fasziniert von ihr, die hatte ja nur Mund und Augen, sie war damals 19. Schwierig war nur ihre Größe: Sie ist sehr klein. Wir haben alles von privaten Leuten zusammen getragen, zum Teil hat sie meine Sachen an. Diese Tricks haben wir öfter angewandt, was nur Ärger gab, weil es die Kleidung nicht in Läden zu kaufen gab.

Das hat schon etwas von absurdem Theater, oder?

Das war völlig schizophren! Aber für mich war es ein schönes Spiel. Sicher musste ich manche Geschichten machen, die keinen Spaß gemacht haben. Und was haben wir damals immer geschimpft, dass wir nicht machen können, was wir wollen. Im Rückblick muss ich sagen, dass die meisten Fotos gedruckt wurden. Wir waren als Modefotografen bei Sibylle in einer privilegierten Situation.

Zufall oder haben Sie sich geschickt verhalten?

Manchmal war es Zufall. Manches ging auch nicht, da gab es Ärger. Oft jedoch haben wir versucht, die Vorgaben zu unterlaufen und gehofft, dass es keiner merkt.

Welche Vorgaben?

Direkte Vorgaben gab es nicht. Aber wir sollten immer so fotografieren, als könnte es überall auf der Welt sein – nur nicht im Osten. Keine ollen Häuser. Keine maroden Hinterhöfe. Nicht im Prenzlauer Berg. Deshalb wählten wir oft den Bebelplatz mit der Kathedrale als Hintergrund. Und fast in jedem Heft findet sich eine Serie aus dem Lustgarten. Mit dem alten Museum, den Säulen, den roten Marmorwänden und dem Kies konnte man nicht viel falsch machen.

Wie ist es für Sie heute Modestrecken zu fotografieren?

Nicht sehr anders. Die Modelle sind bei manchen Geschichten schöner und teurer geworden. Ab gesehen davon mache ich, was wir immer gemacht haben. Ich brauche Raum für Versponnenes, ich will Theater spielen.

Models sollen doch nur noch die Kleider zur Geltung bringen.

Ja, Models müssen die Mode verkaufen. Das mussten wir damals nicht. Es stand keine Firma hinter der Kleidung. Heute stellen viele teure Firmen ihre Sachen gar nicht mehr zur Verfügung.

Dafür sollten die Fotos das schöne Leben im Sozialismus zeigen. Ihre Aufnahme von zwei Mädchen am Ostseestrand wurde sogar retuschiert.

Als dieses Bild auf der Rotpause, einem Zwischenprodukt des Magazins, aus der Druckerei zurückkam, zeigten die Mundwinkel plötzlich nach oben. Ich hatte sie schlecht gelaunt fotografiert. Die Redakteurin hat dagegen protestiert, woraufhin die Mundwinkel gerade gezogen wurden.

Man hat sich sozusagen in der Mitte getroffen, ja?

Am Ende sahen die Mädchen aus, als hätten sie Kartoffeln im Mund.

Ist trotzdem ein tolles Bild.

Wir wollten einfach nicht die übliche langweilige Geschichte, Mädchen am Strand, erzählen. Mit dem schlechten Wetter an dem Tag hatte das gar nichts zu tun. Wir wollten dagegen halten.

Ist Ihnen die Welt, die Sie jetzt fotografieren, vertraut geworden?

Nach dem Mauerfall dachte ich: Mein ganzes Leben lang habe ich den Osten fotografiert, jetzt ist der Westen dran. Klappt aber nicht. Den Ku‘damm finde ich spannend, er hat noch etwas von den 70er Jahren. Aber sonst interessiert mich Westberlin einfach nicht.

Vor der Wende haben Sie in einer außergewöhnlichen Umgebung gelebt: der Wohnung am Schiffbauerdamm, an der Grenze.

Die Wohnung habe ich geliebt, sie war unsere Oase. Nur die Grenzsituation war ein Alptraum, wir haben im zweiten Stock gewohnt und konnten deshalb zusehen, wie die Grenzer Schiffe kontrollierten, ob sich dort jemand versteckt hatte. Von unten hat niemand was gesehen, weil die Wellblechhütte der Grenzer den Blick versperrt hat. Im Winter haben ständig die Hunde in der Kälte gejault und immer Sonntags wurde mit ihnen Angriff geübt. Vom Bahnhof Friedrichstraße aus wurden wir selbst durch das Fenster beobachtet. Man gewöhnt sich daran, aber es ist nicht so, dass man die Situation vergessen könnte.

Erinnern Sie, was Sie in der Nacht des Mauerfalls vor dem Fenster gesehen haben?

Sehr gut, ja. Zunächst bin ich losgezogen. Einen Pass hatte ja schon wegen meiner Arbeit und kannte das Gefühl: zum ersten Mal am Bahnhof Friedrichstraße durch die Kontrolle gehen und wissen, jetzt darf man in den Westen! Als ich all die Leute gesehen habe, wie sie taumelnd vor Glück da standen – das hat mir das Herz zerbrochen.

Das hat sie nicht gefreut?

Es tat mir furchtbar weh, dass Menschen überhaupt in die Situation gebracht wurden, ein Leben lang nicht ausreisen zu dürfen. Plötzlich dürfen sie und stehen da wie die kleinen Kinder, das konnte ich nicht ertragen. Später nachts bin ich zurück nach Hause gegangen und alle 20 Minuten ans Fenster gelaufen, um zu gucken, ob die Züge zurück aus dem Westen voll waren. Und sie waren es. Das fand ich ganz toll.

Sie hatten in Ihrer Wohnung oft prominenten, internationalen Besuch, von Helmut Newton bis Josef Koudelka. War das nicht seltsam, wenn man selbst eingeschlossen ist?

Naja, wir kannten es ja nicht anders. Helmut Newton und seine Frau June kannten einen Freund von uns in Westberlin, so entstand der Kontakt. Als sie uns Anfang der 80er besuchten, sind wir den ganzen Tag mit unserem Ostauto herumgefahren, abends saßen wir mit Kollegen zusammen und haben uns unsere Arbeiten gezeigt. Es war ein toller Tag.

Hat es nicht die Sehnsucht nach der fernen Welt verstärkt?

Natürlich, klar, die gab es immer.

In der Nacht des Mauerfalls, haben Sie da fotografiert?

Ich habe ein bisschen rumgeknipst, aber nicht wirklich Fotos gemacht.

Was hat Sie abgehalten?

Mich hat alles zu sehr überwältigt. Die nächsten Tage bin ich wieder losgegangen, aber ich habe kein Foto gemacht, das die Maueröffnung bezeichnen würde. Selbst an Silvester ist mir das nicht gelungen. Wir haben gefeiert, um Mitternacht sind wir zum Brandenburger Tor gegangen, wo ich auch fotografiert habe. Aber das Tor ist gar nicht zu sehen. Ich war zu klein, man sieht nur das Feuerwerk. Und wie alle war ich auch zu betrunken.

Wie haben Sie die Monate vor der Maueröffnung erlebt?

Eine spannende Zeit. Es lag etwas in der Luft, das war allen klar. Die meisten hatten nur Angst, dass mit Gewalt darauf reagiert wird.

Welchen Einfluss hatte die Stimmung auf Ihre Arbeit?

1989 habe ich viele Modefotos auf Hinterhöfen gemacht, es war ja ein heißer Sommer. Sie wurden alle ohne Probleme gedruckt. In den Jahren davor hätten wir bestimmt diskutieren müssen.

Weswegen?

Wir haben nicht nur olle Hintergründe gezeigt, sondern auch schräge Klamotten. Eine Gruppe von Jugendlichen hatte einmal Entwürfe aus Lederresten hergestellt. Sie nannte sich „Allerleirauh“ nach dem Märchen der Gebrüder Grimm und hatte eine Werkstatt im Prenzlauer Berg. Die haben verrückte Sachen gemacht. Nach dem Mauerfall hat sie sich aufgelöst, weil alle eine andere Vorstellung vom Leben hatten.

War die DDR schick?

Ne, die war nicht schick. Aber die Leute waren kreativ und individueller angezogen. Wir haben als Eltern ja auch die Punkzeit meiner Tochter voll miterlebt, man kann ja nicht klagen. Mal waren die Haare grün, dann schwarz-rot-gold aus Versehen. Am Bahnhof Friedrichstraße wurde sie jedesmal von der Polizei kontrolliert, auch wegen ihrer Klamotten. Viele kombinierten Gebrauchtwaren mit neuen Sachen. In der Greifswalderstraße gab es den Laden „Lumpen-Exquisit“, da bin ich eine zeitlang jeden Tag um zwei Uhr hingegangen, weil sie Fundsachen verkauften. Meine Lieblingsschals stammen heute noch daher, für 50 Pfennige.

Worum ging es in einem Frauenmagazin wie Sibylle außer Mode?

Sie hieß ja „Zeitschrift für Mode und Kultur“ und in ihrer großen Zeit fanden sich auch viele kulturelle Stücke. Natürlich gab es aber auch Kosmetiktipps oder Frisuren, aber eigentlich ging es darum, Frauen zu zeigen, was zur Zeit angesagt ist. Wir haben uns immer mit Händen und Füßen gegen den Vergleich mit der Brigitte gewehrt, so hausbacken waren wir lange nicht. Unsere Vorbilder waren Marie Claire und Elle.

Klingt nach einer bunten Seite der DDR?

Ich fand die DDR auch nicht grau. Vor allem innen drin nicht.

Sibylle Bergemann, geb. 1941 in Berlin, arbeitet seit 1967 als Fotografin. Sie war im Verband Bildender Künstler der DDR und . 1990 gründete sie die Agentur Ostkreuz und ist seit 94 Mitglied der Akademie der Künste in Berlin.dokumentierte u.a. die Entstehung des Marx-Engels-Denkmals

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Geschrieben von

Susanne Lang

Freie Redakteurin und Autorin.Zuvor Besondere Aufgaben/Ressortleitung Alltag beim Freitag

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