Der Freitag: Frau Stein, in der Öffentlichkeit spielen Adoptivkinder kaum eine Rolle, eine wohltätige Super-Adoptivmutter wie Schauspielerin Angelina Jolie um so mehr. Wenn Sie ihr drei Fragen stellen könnten, welche wären das?
: Ich würde sie fragen, was Ihrer Meinung nach mit den Kindern wird, die sie nicht adoptiert und zurücklässt, wenn sie in Kambodscha oder Vietnam ein Waisenhaus besucht. Ich würde sie fragen, wie sie sich fühlt, wenn sie im Namen der UN Flüchtlingslager in Darfur besucht, anschließend in ihr Fünf-Sterne-Hotel zurückkehrt und sich mit sauberem Wasser für fünf Euro die Flasche die Zähne putzt. Und ich würde sie fragen, welches Leben sie als schützenswert empfindet, wo sie doch mit Filmen berühmt wurde, in denen der Bodycount namenloser Gesichter in die vier- bis fünfstellige Zahl geht.
Sind Sie wütend über diese medienwirksame Inszenierung?
Der Person Angelina Jolie, soweit sie überhaupt noch trennbar ist von der Medienfigur, mache ich wenig Vorwürfe. Aber die Art und Weise, wie das Thema kommuniziert wird, stört mich enorm. Es kann doch nicht sein, dass sie unreflektiert als guter Mensch dasteht. Die Sehnsucht nach einer neuen Heiligen muss groß sein. Dabei hat sie bei ihrem Image am meisten von der Rolle in Lara Croft profitiert, das toughe Babe, das aber ganz klar die Männer sehen wollen.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihren eigenen Adoptiv-Eltern heute?
Die Adoption habe ich für mich und auch für meine Adoptiv-Eltern geklärt. Die Wut ist abgearbeitet. Zwar stelle ich ihre Entscheidung immer noch stark in Frage und würde gerne mit ihnen darüber diskutieren, aber es ist nun mal passiert. Und mein Leben, so wie es jetzt ist, ist gut.
Wenn Sie die Entscheidung in Frage stellen, dann geht der Vorwurf des Gutmenschentums an Ihre Adoptiv-Eltern?
Problematisch ist nicht die Absicht, etwas Gutes tun zu wollen, sondern die Motivation dahinter. Einen gewissen Ungerechtigkeitssinn haben wir alle, aber warum geht man soweit, wirklich ein Kind aus dem Ausland zu adoptieren? Macht man diesen Schritt für die Kinder oder für sich selbst?
Hat es für Sie nichts Gutes bedeutet, aus der Militärdiktatur im Korea der 70er Jahre nach Deutschland geholt zu werden?
Da genau liegt der Hund begraben: Ich muss mich fragen, was aus mir geworden wäre. Es zerreißt einen total, dass man sich in seinem Leben nie zu Hause fühlt, weil immer eine alternative Realität vorstellbar ist. Selbstverständlich war die Lage damals in Korea katastrophal. Neulich erst hat mir ein Adoptivvater geschrieben, dass sie ihre Kinder mit Hungerbeulen bekommen hätten. Aber ich kenne mittlerweile viele Koreaner aus meiner Generation, die zwar auch gehungert, aber überlebt haben.
Sie haben sich in Korea auf die Suche nach Ihren Wurzeln gemacht. Wie haben Sie es erlebt?
Ich hatte ja das große Vergnügen mit einer Koreanerin dorthin zu reisen, die mir eine Art gesellschaftliches Wunschkonzert ermöglicht hat. Ich konnte auswählen, wen ich treffen wollte, von der ganz gewöhnlichen Familie über Leute, die im Waisenhaus groß geworden sind bis hin zu Musikern. Dadurch habe ich wunderbare Menschen in ihrem koreanischen Alltag kennen gelernt, die genauso modern leben wie wir auch, die sich genauso hinterfragen und versuchen, sich ihre Wünsche im Leben zu erfüllen. Das fand ich toll.
Sie haben keine Unterschiede zu Europa festgestellt?
Doch, das Spannungsverhältnis, in dem sich die koreanische Kultur befindet. Auf der einen Seite gibt es diesen enormen, technischen Fortschritt und das unglaublich schnelle Wirtschaftswachstum in den 80er und 90er Jahren, gefolgt von der jetzigen Rezession. Andererseits dieses starre Festhalten an Traditionen. Da fand eine völlige Abkoppelung von der eigenen Geschichte vor dem Koreakrieg statt, die Entwicklung ist so schnell verlaufen, dass viele gar nicht mehr wissen, wo sie stehen. Viele junge Menschen sind sehr politisch.
Weshalb ist das so?
Das nationale Trauma ist noch sehr in Erinnerung: 1980 das große Massaker in Gwangju und die Teilung, die niemand thematisieren möchte, die aber existiert. Da wächst eine Generation heran, die sich fragt: Wollen wir wirklich in den Turbokapitalismus, unter dessen Zeichen Südkorea momentan steht oder gibt es ein anderes Leben. Gleichzeitig steht vielen die Tradition im Weg. Junge Frauen machen ihre Ausbildung und das ist auch erwünscht. Sobald sie aber heiraten und Kinder bekommen, wechselt ihre Rolle in die der Hausfrau. Alleinerziehende Mütter sind immer noch unvorstellbar. Da habe ich mich schon gefragt: Wie würde ich dort wohl leben?
Ihre Mutter hatte Sie damals in Korea weggegeben. Können Sie Ihr verzeihen?
Das ist schwer zu beantworten, da ich Sie ja nicht kenne beziehungsweise nichts über ihre damalige Situation weiß. Das hat meine Reise auch so schwierig gemacht. Ich habe mir viel ausgemalt, aber am Ende bleibt die Ungewissheit.
Stehen Sie auch deshalb Super-Müttern wie Angelina Jolie skeptisch gegenüber?
Ich bin grundsätzlich eine extreme Kritikerin der Auffassung, dass der höchste gesellschaftliche Stellenwert einer Frau die Mutter ist. Wenn man das erwartet, was muss das Kind da ausbaden? Und wenn es nicht super wird, hat die Mutter versagt.
Hat es da auch in Deutschland einen Backlash gegeben?
Nach meinem Gefühl wirkt sich die neue Familienpolitik negativ aus. Dass sie sich modernisieren musste, war klar. Aber die Richtung, die Ursula von der Leyen eingeschlagen hat, zielt klar auf die traditionelle Familie.
Sie sagt, sie will Frauen ja nur Kinder und Job ermöglichen.
Und was ist etwa mit einem homosexuellen Paar? Das steht schon wieder auf einem anderen Blatt. Wirklich progressiv wären alternative Familienmodelle. Außerdem müsste man sicher stellen, dass jedes Kind aus jeder Familie die gleichen Voraussetzungen hat, in Kindergarten, Schule und Ausbildung. Aber stattdessen reden lieber alle von der Work-Life-Balance – da werde ich immer richtig sauer.
Das Schlagwort für Vereinbarkeit von Kindern, Arbeit, Beziehung und persönlichem Glück.
Für mich ist die Frage: Was will eigentlich das Individuum, von dem immer die Rede ist? Es ist ein Teil der Gesellschaft, aber doch nicht von ihr bestimmbar.
In Ihrem Leben war diese Frage ‚Will ich das wirklich‘ schon einmal sehr wichtig: Sie hatten gerade mit Regisseur Roman Coppola in Hollywood gearbeitet, waren aber unglücklich?
Ich war damals Texterin einer Werbekampagne für Coca Cola. Wir haben zuerst mit Roman Coppola fünf Wochen in Argentinien gedreht und anschließend den Spot in Los Angeles fertig gestellt. Das mag aufregend klingen, aber die Aufgabe von Werbeagenturen besteht darin, die Arbeit des Regisseurs zu überprüfen. Werbung ist ja keine freie Kunst, sondern eine klare Auftragsarbeit. Das ist in Ordnung, nur nicht sehr kreativ.
Sie wollten Filme machen?
Klar! Die Filme von Wes Anderson und Sofia Coppola haben mich fasziniert, ich mag die Filmsprache und ihre Art, Geschichten zu erzählen. Mit diesen Regisseuren wollte ich arbeiten. Motto: Darunter mache ich es nicht.
Heute lachen Sie darüber?
Die Leute haben mir damals den Vogel gezeigt. Von daher war die Zusammenarbeit mit Coppola auch ein Moment der Verwirklichung. Aber in Los Angeles gab es einen Schlüsselmoment: Ich stand draußen vor dem Gebäude und habe geraucht, mit Blick auf den Parkplatz. Wie jede Woche kam ein Mitarbeiter eines Serviceunternehmens vorbei, klar war er schwarz, und hat die Autos gewaschen. Auch einen Porsche Carrera, der seit Ewigkeiten dort stand, mit einer Plane abgedeckt.
Obwohl er unbenutzt war?
Ja, ich dachte, das ist doch bescheuert! Als ich nachfragte, erklärte man mir, dass er Sofia Coppola gehöre und die sei gerade in Europa und drehe in Versaille
Die Kehrtwende hat Sie zurück nach Südkorea geführt, von wo Sie als Kind nach Deutschland adoptiert wurden.
Meine damaligen Fragen führten zwingend dorthin. Ich sehe eben nicht aus wie die typische Deutsche, worunter ich sehr gelitten habe. Grundsätzlich aber denke ich, dass es vielen anderen mit Anfang 30 ähnlich geht. Wir haben das Erwachsenenleben kurz ausprobiert und fragen uns: Das soll ich nun mein ganzes Leben lang machen? Die Freude und Aufregung über ein endlich unabhängiges Leben gehen schnell vorbei, die Frage, was man wirklich will, bleibt.
Wissen Sie nun besser, was Sie wollen?
Ja, ein freischaffendes Leben. Ich bin sehr viel glücklicher, wenn ich keine festen Arbeitszeiten habe. Und sehr viel glücklicher ohne dieses Jet-Set-Leben. Als Assistentin eines sehr erfolgreichen Werbefotografen fliegt man um die Welt und übernachtet in tollen Hotels. Von der Welt aber sieht man gar nichts, es bleibt noch nicht mal die Zeit, sich mit Leuten zu unterhalten. Ich war oft müde und gereizt, wollte nur noch nach Hause und habe mich dabei schuldig gefühlt, weil ich doch dieses Luxus-Leben hatte. Deshalb ist es dann ja so schön, sich mit Lifestyle-Dingen zu entlasten.
Worin besteht die Entlastung?
All die Accessoires, dieser schicke Koffer, jenes tolle Reisehandy, sind Symbole, mit denen man der Welt und sich selber signalisiert: Hey, ich bin ein total cooler, internationaler Jetsetter. Die persönliche Innenwelt wird nach und nach aus einem herausgesogen. Man hat kein Zuhause mit einer klaren Struktur, und da beginnt ein wildes, wüstes Rennen nach Dingen, die man in der Hand halten kann.
Haben Sie von Ihrer Reise nach Korea etwas mitgebracht?
Klar, aber aus anderen Gründen. Ich wollte etwas in den Händen halten, das mich an die besonderen Momente der Reise erinnert.
Was kam in den Koffer?
Ich habe sehr viel Essen mitgebracht. In einem Supermarkt habe ich alles eingepackt, was irgendwie haltbar war, um den Geschmack von Korea ein bisschen zu konservieren. Das war kein wahlloser Kauf, sondern sehr genau überlegt. Und darin besteht der größte Unterschied zum Jet-Setting: Anstatt sich selbst bewusst zu werden, macht man sich dabei nur bewusst, wie leer das Leben ist.
Sie haben diesen Weg in Ihrem Buch
Es gab keinen Auftrag, allerdings war ich mit einem Literaturagenten in Kontakt, der die Idee gut fand. Aber das hat die Reise nicht verändert. Später war es für mich auch erleichternd, dieser Erfahrung eine Stimme zu geben. Nach Gesprächen mit Freundinnen und anderen Adoptierten hatte ich auch das Gefühl, dass es dafür einen Bedarf gibt.
Die schönen, prominenten Super-Adoptivmütter
Angelina Jolie
Die US-amerikanische Schauspielerin darf sich seit Mitte März mit einer weiteren, tollen Auszeichnung schmücken: Yummy Mummy, was in Boulevard-Sprache soviel bedeutet wie heißeste Promi-Mami. 29 Prozent des britischen Portals MSN.co.uk haben Jolie auf Platz eins der Super-Mütter gewählt. Die Anzahl der Kinder, die sie seit zwei Jahren nun mit Brad Pitt groß zieht, ist in jedem Fall beeindruckend: drei leibliche und drei adoptierte. 2001 nahm sie Maddox Chivan aus Kambodscha zu sich; 2005 Zahara Marley; 2007 Pham Quang aus Vietnam.
Madonna
Die US-amerikanische Musikerin schneidet im Vergleich zu Jolie nicht ganz so toll ab. Zwar adoptierte sie 2006 David aus Malawi. Aktuell stehen ihr bei ihrem neuerlichen Adoptionswunsch (ein Geschwisterchen für David aus Malawi) ihre Familienverhältnisse im Weg: Sie ist geschieden und fällt mit Affären auf.
Mia Farrow
Der Ex-Frau von Woody Allen wuchs das Adoptiv-Muttersein mit zehn Kindern unschön über den Kopf. Nach der Trennung heiratete Allen die Adoptivtocher Soon-Yi Previn.
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