Freaken & Shoppen

Kleideranprobe Einige Randalierer in London haben Läden der Kette H&M nicht nur geplündert, sondern vorher die Klamotten anprobiert. Warum empfinden das alle als besonderen Affront?

Drei Tote in Birmingham – spätestens wenn Menschen sterben, darf man sich doch nicht mehr mit so banalen Dingen wie einer Kleideranprobe bei einer Günstig-Modekette namens H befassen? Stimmt. Man darf nicht, man muss sich unter anderem auch mit diesen Alltagsbanalitäten befassen.

Denn nicht die Tatsache, dass einige der Plünderer in der ersten Nacht in London eine Filiale von H gestürmt haben und Kleidungsstücke anprobiert haben, bevor sie sie mitgehen ließen, ist erschütternd, wie nun viele finden – weil es sich um eine besonders kaltschnäuzige Provokation handele. Irritierend ist vielmehr, dass jetzt der Blick zurückgespiegelt wird auf die alltäglichen Shopper bei H Denn die Umkleidekabine dort ist Schauplatz eines jener popkonsumistischen Rituale, das sich in den Neunziger Jahren fest im Alltag von Jugendlichen etabliert hat. Ein vermeintlich komplett unpolitisches spaßiges Ritual, in einer sich für jeden Geldbeutel öffnenden Modewelt. Plötzlich war gutaussehende Mode erschwinglich und Klamottenshoppen ein täglich zu praktizierendes Hobby. Style für alle. Nachhaltigkeits- und Produktionsbedingungsfragen kamen erst sehr viel später auf. Verhandelt wurden vielmehr Themen wie:

- Wie grottenschlecht doch dieses Licht in diesen Kabinen aber auch ist!

- Warum Mädels immer zu zweit in diesen Kabinen verschwinden? Und über welchen Schwachsinn sie da drin doch so reden!

- Warum das Schlange-Stehen plötzlich cool ist, solange es vor einer H Kabine stattfindet!

- Warum Jungs nie dort standen, sondern gleich so schlau waren, die Sachen mit nach Hause gebracht haben, dort anprobiert und gegebenenfalls dann von ihrem Umtauschrecht Gebrauch gemacht hatten.

Da ist es doch tatsächlich mehr als erschütternd, wenn randalierende, ob der sozialen Schieflage gefrustete Jugendliche in London ihre Ware in passender Größe mitnehmen wollen! Und wie antiquiert doch andererseits auch wieder. Denn das Konsumverhalten jener, besser oder gut gestellten Jugendlichen, die sich ihren täglichen H leisten können oder wollen, hat sich längst progressiv verändert. Heute shoppt die H webbasiert und computergerüstet auf der Homepage in einem virtuellen "Ankleideraum", der verschiedene Models zur Auswahl stellt, an die man die Kleidungsstücke per Drag and Drop hängen, sprich: anprobieren kann. Parallel wandern sie in den Einkaufskorb, zwischendurch lässt sich das Model drehen, so dass die Rückenansicht zu begutachten ist. Per Klick wird dann bestellt. Anprobiert zu Hause.

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Geschrieben von

Susanne Lang

Freie Redakteurin und Autorin.Zuvor Besondere Aufgaben/Ressortleitung Alltag beim Freitag

Susanne Lang

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