Globamigos unter sich

Gefährten Wie entstehen heute Freundschaften? Online oder offline? Ein Auszug aus dem Buch der „Freitag“-Redakteurin Susanne Lang
Ausgabe 21/2014

Eine Pinnwand einer Untergruppe in einem großen sozialen Netzwerk. Jeder, der möchte, kann der Gruppe beitreten. Viele sind bereits Mitglieder. Sie alle pflegen intensiv ihre Kontakte.

KENIA YVONNE: Hilfe, ich brauche neue Freundinnen ;), denn meine sind schwanger, verliebt, verlobt verheiratet... :) „NEU IN BERLIN“-STAMMTISCH: Schlimm ;) Ich kann Dir versichern, dass beim Stammtisch sicherlich nicht alle von diesen „Einschränkungen“ betroffen sind VG Flo KENIA YVONNE: :) sehr gut... MANUELA RAECK: Ich bin denn eine Deiner neuen Freundinnen... ;))

Manchmal kann Freundschaft so einfach sein! Auf der Pinnwand der Facebook-Gruppe „Neu In Berlin“-Stammtisch liest es sich jedenfalls ganz so. Wie fast alle Großstädte bietet auch Berlin seinen Neueinwohnern digitale Angebote, um sich kennenzulernen. Die Gruppe auf Facebook organisiert Stammtische in Kneipen, Grillabende und Ähnliches. Wer gerade umgezogen ist und sich in der neuen Stadt einsam fühlt, kann sich über das Netz mit anderen treffen. Wenn es gut läuft, freundet man sich an.

http://imagizer.imageshack.us/v2/640x480q90/844/rtu8.jpgSollte ich mich eines Tages doch aus familiären Gründen für einen Umzug nach Hamburg entscheiden, wäre dies eine Chance. Dort gibt es auch eine Facebook-Gruppe für Neulinge. Dieses Angebot sprach eindeutig für Hamburg. Insgeheim zweifelte ich dennoch an dem Konzept. Es war eine seltsame Vorstellung, sich auf diese Weise sozialen Anschluss, Freunde gar organisieren zu müssen. Ganz so, als fehle einem eine entscheidende soziale Kompetenz. Als sei man ein Außenseiter, der sich mit anderen Außenseitern trifft, um seine Einsamkeit zu teilen.

Dabei zerstreut unsere Realität diese Zweifel von selbst: So wie mir geht es vielen. Es handelt sich nicht mehr um den einen Außenseiter oder die eine Außenseiterin, die auf dem Online-Weg Bekannte, Freunde oder schlicht Geselligkeit suchen. So auch Annika. Sie hat keine Lust, den Sommer alleine auf ihrem Balkon zu verbringen, und findet, es sei Zeit für „1001 Nacht in Berlin“. Unter diesem Motto will sie einen veganen Kochabend veranstalten. „Wenn das Menü steht, kaufe ich alles ein, wir kochen alle gemeinsam und verspeisen das Ganze im Schneidersitz auf dem Balkon, Hugo und Sprizz inklusive“, verkündet sie in ihrer Einladung. Als Vorgeschmack zeigt ein Foto neben dem Text einen Balkon mit einem Tischchen, Teppich sowie einigen großen Kissen.

Adressiert ist die Einladung an alle, die in der Online-Community Yumwe Mitglied sind oder es werden wollen. Wer bei Annika gemeinsam mit anderen vegan kochen und essen möchte, muss sich dort registrieren und bei ihr anmelden. Wenn die Einladung bestätigt wird, erfährt der Gast ihre Adresse. Yumwe gibt es seit Juni 2012. Das Motto lautet: „Kochen macht Freunde.“ Es ist ein großer Erfolg. Bereits nach einem Jahr haben hundert dieser sogenannten Koch-Sessions in 15 Städten stattgefunden, die meisten in den Großstädten Berlin, Hamburg, München, Köln, Leipzig und Frankfurt am Main. Täglich melden sich nach eigener Auskunft neue Mitglieder an.

Kochen als Eisbrecher

Aurel Bantzer, einer der Gründer der Plattform, lag mit seiner Idee goldrichtig. Er war gerade auf dem Weg in ein Restaurant, als er zum ersten Mal an diese Art von Kochevents dachte. Ein Küchenfenster im Erdgeschoss stand offen, es duftete bis auf die Straße nach Mango-Huhn und Jasminreis. Plötzlich fand er es schade, in ein Restaurant zu gehen. „Es wäre doch viel netter, den Menschen kennenzulernen und mit ihm zu essen, der so gut kochen kann“, erzählt er. Das Internet macht auch das möglich. „Nun kann man mühelos einen Bewohner einer Stadt kulinarisch kennenlernen“, sagt Bantzer, „das gemeinsame Kochen in einer privaten Küche ist ein Eisbrecher.“

Für Anja und Mareike war es sogar mehr als das. Die beiden steckten ihre Köpfe zum ersten Mal über einer grünen Sushi-Rollmatte zusammen und bekamen den ersten ihrer gemeinsamen Lachanfälle. Der Gastgeber hatte in Köln zum Sushi-Selbermachen eingeladen. Die Röllchen von Anja und Mareike waren am Ende des Abends eher Häufchen, die sie schließlich mit etwas Wasabi-Paste auf dem Tellerboden anklebten, damit sie halbwegs in Form blieben. Schon eine Woche später veranstalteten die beiden eine gemeinsame Session bei Anja zu Hause. Heute sagen beide, sie seien seitdem beste Freundinnen.

Das verwundert eigentlich auch nicht. Gemeinsames Kochen zählt zu den beliebtesten Aktivitäten unter Freunden. Und das nicht erst, seit Kochen schick ist. Es steht für eine der schönsten Formen von Geselligkeit. Während meines Studiums lud jede Woche mindestens einer aus dem Bekanntenkreis zum Essen und Kochen ein, gerne auch in die Gruppenküche im Studentenwohnheim, die wenig anheimelnd war. Es störte niemanden. Manchmal zogen wir danach weiter. Oft beließen wir es dabei, zu kochen, zu essen und zu reden. Gute zehn Jahre später kann ich mir nicht mehr vorstellen, neue Bekannte ganz selbstverständlich einmal die Woche zum Kochen nach Hause einzuladen. Es fehlt schlicht die Zeit. Wie bitte sollte man dann in einer neuen Stadt zwischen Familie und neuem Job bei aller Eingewöhnung noch Zeit finden, Leute einzuladen, ja überhaupt näher kennenzulernen?

Die Mitkoch-Plattform Yumwe bietet genau dafür eine Lösung. Zuerst dachten die Gründer, dass vor allem Studierende ihre Zielgruppe werden würden. Sie täuschten sich. Die meisten Mitglieder sind zwischen 30 und 45 Jahre alt, berichtet Bantzer. „Für uns interessieren sich Menschen in einer Umbruchsituation, Menschen, die neu in eine Stadt kommen oder einfach offen sind für Neues.“ 70 Prozent der Mitglieder sind Frauen. Diese Zahl passt gut zu den Erfahrungen, die die Soziologin Marla Paul gemacht hat. Als sie in ihrer Zeitungskolumne gestand, dass sie oft einsam sei und nur schwer neue Freunde in ihrer neuen Gegend finde, schrieben ihr vor allem Frauen von ähnlichem Leid.

Oftmals besteht das Problem nicht darin, die Einzige zu sein, die sich einsam fühlt. Meist wissen die Menschen nur nicht, dass es den anderen genauso geht und wo sie sich aufhalten. Als in New York eine der ersten Freundschafts-Online-Börsen gegründet war, stellten einige Mitglieder fest, dass sie sogar im gleichen Wohnblock lebten, quasi in direkter Nachbarschaft. Das Internet mit seinen sozialen Netzwerken und Interessengruppen mag selbst ein anonymer Raum sein. Es hilft aber gleichzeitig, die Distanz zu überwinden.

Mein Bekannter Paul hat seinen besten Freund auch über das Netz kennengelernt. Er war lange Mitglied auf MySpace, einem ehemals sehr angesagten Portal, in dem vor allem Bands und DJs aktiv waren. Als Paul eines Tages für eine Party nach einem DJ suchte, stieß er dort auf Fred. Der sagte zu und machte an jenem Abend wunderbare Musik. Danach sahen sich die beiden öfter auf anderen Partys. Im Gespräch blieben sie über das Netzwerk und per Mail. Alles andere wäre auch schwierig gewesen, meinte Paul, als er im Freundeskreis einmal die Geschichte ihres Kennenlernens erzählte. „Oder habt ihr mal versucht, mit einem DJ abends auf einer Party länger zu reden?“ Nach etlichen durchtanzten Abenden und diversen Mixtapes, die sie auf MySpace getauscht hatten, verabredeten sich die beiden schließlich bei Paul zu Hause. Sie legten Musik zum Chillen auf und unterhielten sich zum ersten Mal länger Face to Face. Dennoch hatten sie das Gefühl, sich schon ewig zu kennen.

Netzwerke wie Facebook, MySpace, Yumwe, Pinterest und andere Communitys vermitteln schneller Vertrautheit, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Paradoxerweise bedienen sie gleichzeitig ein Bedürfnis, das die distanzierte Welt mit all ihren Wahlmöglichkeiten im Internetzeitalter erst hervorruft: das nach Nähe und sozialer Sicherheit. Der NSA-Überwachungsskandal hat daran kaum etwas geändert. Menschen reagieren nicht zum ersten Mal auf einen gesellschaftlichen Umbruch, indem sie sich zu Gruppen zusammenschließen und Freundschaften einen größeren Wert beimessen.

Interessanterweise fällt die Geburtsstunde der Freundschaft als Quelle von Glück und Selbstsicherheit ins 18. Jahrhundert. Oft wird es sogar als Zeitalter der Freundschaft beschrieben. Überliefert ist dies vor allem in den zahlreichen flammenden Lobliedern auf das hohe Gut der Freundschaft: Schiller, Goethe, Gleim, Hölderlin oder Schleiermacher, um nur die bekanntesten zu nennen, waren glühende Verfechter dieser neuartigen Beziehungsform. Dieser literarisch gepflegte Freundschaftskult entstand aufgrund sozialer Veränderungen, wie der Germanist Friedrich Tenbruck festgestellt hat.

Frei gewählte Beziehungen

Die bislang starre Ständeordnung des Barock befand sich in Auflösung. Zum ersten Mal in der Geschichte traten Menschen als individuelle Wesen aus dem sozialen Ge- füge heraus. Sie durften und mussten sich ihren Platz in der Gesellschaft suchen, er war nicht mehr von Geburt an festgelegt. Im Vergleich zu heute waren die Wahlmöglichkeiten noch gering. Aber der Prozess der Individualisierung setzte damals ein. In der Folge stieg auch das Bedürfnis nach persönlichen Beziehungen, die frei gewählt werden konnten und dennoch emotionale Sicherheit boten.

Mit der Kehrseite dieser Entwicklung kämpfen wir bis heute: Freunde zu finden und zu behalten bedeutet eine Anstrengung, die nicht immer belohnt wird. Die neue Freiheit kann auch Einsamkeit mit sich bringen. Es überrascht nicht, dass sich der Arzt und Philosoph Johann Georg Zimmermann Mitte des 18. Jahrhunderts zum ersten Mal mit diesem Phänomen auseinandersetzte. Seine Schrift Ueber die Einsamkeit erlangte europaweite Beachtung. Als Reaktion auf dieses neuartige Gefühl gründeten sich zahlreiche Vereine, Kreise und Gruppen. „Der Vereinsreichtum des 18. Jahrhunderts macht darauf aufmerksam, wie Menschen damals mit Institutionen experimentierten, um dem gesellschaftlichen Wandel gerecht werden zu können“, schreibt Tenbruck. Etwas Ähnliches erleben wir gerade in der digitalen Welt.

Wir zelebrieren heute vielleicht keinen neuen Freundschaftskult. Aber wir experimentieren mit neuen Formen des sozialen Zusammenschlusses. Und dies weltweit. Noch nie zuvor waren Menschen unabhängig von geografischen Grenzen miteinander vernetzt. Oft tun sie es in ganz traditionellen Gruppen, die auf neuem Wege zusammenfinden. In Berlin und Hamburg haben sich zum Beispiel Kneipenchöre über das Internet gegründet. Die Teilnehmer treffen sich abends, trinken und singen im Chor. Wer mitmachen möchte, muss sich online bewerben. Nicht immer, aber manchmal entstehen in diesen Gruppen auch gute Freundschaften zwischen einzelnen Mitgliedern. Grundsätzlich aber folgen all diese Zusammenschlüsse einem freundschaftlichen Prinzip.

Ziemlich feste Freunde. Warum der Freundeskreis heute die bessere Familie ist Susanne Lang Blanvalet 2014, 192 S., 16,99 €

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Susanne Lang

Freie Redakteurin und Autorin.Zuvor Besondere Aufgaben/Ressortleitung Alltag beim Freitag

Susanne Lang

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