Hoch die Flagge!

Einheitsdenkmal Die Jury konnte sich nicht auf 20 Entwürfe für ein Einheitsdenkmal auf dem Berliner Schlossplatz einigen. Ein Teilnehmer-Team setzt ihren dennoch um - und hisst die Fahne

Die Einigkeit mag zwar in Deutschland in schöner Regelmäßigkeit besungen werden, von Jurys ist sie neuerdings nicht zwingend zu erwarten. Insbesondere dann nicht, wenn eine politisch-kulturelle Prominentenrunde (aber ja, Herr Thierse war auch dabei) aus 532 eingereichten Entwürfen für das geplante Freiheits- und Einheitsdenkmal auf dem Berliner Schlossplatz zu entscheiden hat. Nach noch nicht mal einer Nachtsitzung bließ die Jury das Ganze erstmal ab, weil keine der Einreichungen "die besonderen und hohen Ansprüche an ein solches Denkmal erfüllen kann."

Inwieweit diese Feststellung denn mit der Wirklichkeit übereinstimmt, lässt sich für den Rest Deutschlands, der sich für Denkmäler auf Berliner Schlossplätzen dann doch interessiert, leider erst ab Dienstag, den 5. Mai überprüfen, wenn die Entwürfe im Kronprinzenpalast ausgestellt werden. Einer wollte jedoch nicht bis dahin warten und stand pünktlich wie auf der Homepage zum Entwurf angekündigt am Montag zuvor um 11 Uhr auf dem Sockel des alten Kaiser-Wilhelm-Reiterbildes und schraubte und knotete und richtete schließlich seine Idee auf: den "größten beflaggten Mast Deutschlands".

Der Schriftsteller und Künstler Ingo Niermann wollte sich, völlig überrascht vom urplötzlichen Ende der Ausschreibungsrunde, irgendwie dann doch nicht mit Qualitätsgründen abspeisen lassen. "Geärgert habe ich mich gar nicht so," sagt er, während die Flagge tatsächlich zwischen zukünftiger Schloss-Ruine, Bertelsmannresidenz und denkmalgeschütztem, Sozialismus-Prachtwerk im kalten Wind flattert. "Ich war richtig zornig". Vielleicht ja ein wirklich passender Anfang für eine Debatte, die immer so schön begleitend zu Denkmals-Wettbewerben gefordert wird: nicht alles schicksalsergeben hinzunehmen. Schließlich geht es doch insbesondere bei diesem um die Wirkungsmacht des Volkes. Hätten man immerhin denken können – warum sonst war den Wettbewerb ganz demokratisch für alle zur Einsendung freigegeben?

Auch deshalb hisst Niermann an diesem Montag seine Flagge. An jene 50 Meter Höhe, die der Entwurf eigentlich für den Mast vorsieht, kommt das Provisorium zwar nicht heran, aber vom Boulevard Unter den Linden ist es dennoch zu sehen. Die Flagge haben Niermann und seine Projekt-Kollegen Ralf Pflugfelder und Erik Niedling ausgeliehen, den genauen Stellplatz auf dem Sockel orientieren sie an den Lücken, die diverse Absperrgitter lassen und die Fahne selbst lassen sie erstmal aus Versehen verkehrt herum wehen: Gold, Rot, Schwarz – was "wir jetzt auch mal kurz so lassen." Denn die Idee basiert weniger auf einem Fahnen-Weltmeister-Patriotismus als auf der schlichten Überzeugung, dass ein zeitgemäßes Denkmal, zumal an einem so besonderen und historisch erdrückenden Platz, nutzbar für Menschen sein müsse.

Nicht Mast und Fahne sollen zu denken geben, der Ort selbst soll zum Denken und Demonstrieren genutzt werden. "Unser Denkmal der Freiheit und Einheit kann nicht nur betrachtet werden, sondern jeder kann auf den Sockel treten und es gemäß dem Motto der Leipziger Montagsdemonstrationen komplettieren: 'Wir sind das Volk'. Unser Denkmal soll ein Ort der Bürger werden," so heißt es in der Beschreibung. Wahrscheinlich bringen unspektakuläre, aber um so klügere Ansätze wie dieser den Staatsminister Bernd Neumann zu staatsministrigen Statements wie jenem aus dem aktuellen Spiegel, dass es "sicher viele schlichte Entwürfe gegeben habe, aber auch spannende". Dazu fällt einem als wie auch immer denkender Bürger dann wirklich nichts mehr ein.

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Geschrieben von

Susanne Lang

Freie Redakteurin und Autorin.Zuvor Besondere Aufgaben/Ressortleitung Alltag beim Freitag

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