Ich brauche keine Bombe

Im Gespräch Der Stauffenberg-Enkel Philipp von Schulthess über seinen Weg vom Investmentbanker zum Schauspieler, seinen berühmten Großvater und über den Mut zum Neuanfang

Der Freitag: Herr von Schulthess, gefallen Sie sich in der Rolle des Adjutanten eines Widerstandskämpfers?


Philipp von Schulthess: Es war für mich die erste Rolle in einem Kinofilm. Das allein war toll. Dass ich zu den „Guten“ gehöre, war das Tüpfelchen auf dem „i“.

Diese Gruppe deckte ja das politische Spektrum von links bis ganz rechts ab, mit Ausnahme von Kommunisten waren aus allen Lagern Leute dabei. Auf eine politische Ausrichtung lässt das aber nicht schließen. Bis heute ist die Frage offen, wohin die Verschwörer das Land gesteuert hätten. Sozialdemokraten wie Julius Leber und konservative Militärs hatten sich zusammengefunden, weil sie einen gemeinsamen Feind hatten: Adolf Hitler.

Die Öffentlichkeit hat sich bisher für eine andere Rolle von Ihnen interessiert – die des Enkels des Oberst Stauffenberg. Gefällt Ihnen die?


Diese biografische Tatsache hat keine Bedeutung in sich selbst, ich habe weder eine Verantwortung noch ein Nutzungsrecht. Andererseits kann ich nicht ausblenden, dass ich der Enkel bin. Ich möchte als Schauspieler weiterkommen und mit der Rolle in „Operation Wallküre“ hat sich meine Biografie mit meiner Filmografie zufällig überschnitten.

Zufällig? Haben Sie sich nicht in Hollywood bei der Produktionsfirma um die Rolle bemüht?


Doch, ich meine damit aber die Möglichkeit an sich: Da gibt es einen Schauspieler, der gerne in einer internationalen Kinoproduktion dabei wäre. Und dann bietet das Universum diesem Schauspieler einen Hollywood-Film über seinen Großvater. Das passiert nicht jedem, schon klar. Ich wäre doch schön blöd, wenn ich das nicht als Chance nutzen würde.

Hat Sie Ihre Familiengeschichte geprägt?


Bestimmt. Jeder ist das Produkt seiner Gene und seiner Erziehung. Ein pragmatisches Beispiel: Meine Großmutter legte großen Wert auf Tischmanieren. Ich bin da total indoktriniert. Wenn jemand isst wie ein Schwein, finde ich das unappetitlich. Zu diesen Prägungen, die sicher eher konservativ sind, kommt die Berühmtheit meines Großvaters. Über ihn sind viele Bücher geschrieben worden, die ich auch gelesen habe. Das beeinflusst mein Verständnis von Geschichte.

Sie meinen, Sie haben manchmal das Gefühl, Widerstand leisten zu müssen?


Widerstand ist nicht der treffende Begriff, da wir heute in einer anderen Zeit und in einem anderen System leben. Für mich lautet das Schlüsselwort Verantwortung. Sie zu verspüren und zu übernehmen. Den Widerstand der Verschwörer begreife ich als Resultat ihres Verantwortungsbewusstseins und ihres Gewissens. Unter diesen moralischen Gesichtspunkten müssen auch wir uns Gedanken machen, in welchem Staat wir leben.

Und wenn unser Gewissen ein Problem damit hat?


Müssen wir Widerstand leisten, aber zeitgemäß. Wir leben in einer Demokratie. Die Brieftasche mit Sprengstoff brauche ich nicht mehr.

Ich will nicht ausschließen, dass Widerstand physischer Natur nie mehr nötig sein wird. Ich glaube nur, dass wir im Moment nicht in einer derartigen Situation leben. Mich stört vielmehr, dass die Wahlbeteiligung in Deutschland Jahr für Jahr sinkt. In der Schweiz, wo ich aufgewachsen bin, existiert eine völlig andere Abstimmungskultur. Wählen ist die legitime Chance, etwas zu den Geschicken der Gesellschaft beizutragen.

Weil Bürger mehr gestalten können?


In dieser Gestaltungsmacht liegt auch ein Missverständnis: Wer an die Demokratie glaubt, darf keine radikalen Veränderungen erwarten. Dennoch: Wer mit der Regierung nicht einverstanden ist, sollte wählen. Wer die Gesellschaft verändern möchte, sollte das durch mehr eigenes Engagement anstreben. Leider nimmt die Bereitschaft für nachbarschaftliche und ehrenamtliche Tätigkeiten ab, mit Ausnahme von Fußball vielleicht. Man bekommt kein Geld, und es kostet Zeit. Schade, denn ich halte es mit dem Slogan: Global denken, lokal handeln. Niemand muss die Probleme der Welt oder ganz Deutschlands alleine lösen. Aber an die vor der Haustüre sollte man sich wagen.

Haben Sie etwas initiiert?


Nein, das Komitee für mehr Wahlbeteiligung in Deutschland muss ich noch gründen. In die Richtung sollte es aber gehen.

Sie haben lange Zeit als Investmentbanker in London gearbeitet. Hatten Sie da schon diese Einstellung? Oder hätten Sie sich mit ihr für diesen Beruf nie entschieden?


Da spielt meine familiäre und soziale Prägung eine große Rolle. Ich komme aus einer konservativen Familie, mein Vater ist Rechtsanwalt, sein Vater war Anwalt, meine Großonkel waren Unternehmer. Wirtschaft zu studieren, war für mich ein logischer Schritt. Ich bin nach London gegangen, und viele meiner Freunde dort wollten nur eines: in der City ihr Geld verdienen durch Investmentbanking. Das war auch für mich attraktiv: Geld, Luxus, ein gewisser Lebensstandard. Luxuriös war mein Leben dann auch, aber alles andere als unkompliziert. Du verkaufst Dich mit Leib und Seele an die Organisation, für die Du 16, 17 Stunden am Tag arbeitest.

Was genau haben Sie gemacht?


Analysen und Firmenpräsentationen für die Kunden der Bank produziert. Das bedeutete zum einen Recherche und Programmierung von mehr oder weniger komplizierten Excel-Dateien und zum anderen, die Resultate den Kunden zu präsentieren. Wurde daraus ein Auftrag, kam die Abwicklungsarbeit dazu, Vertragsverhandlungen mit Anwälten und Finanzbehörden. Manchmal war das ganz interessant, auf meiner Stufe aber hauptsächlich mechanische Arbeitsausführung.

Daher Ihr Wechsel ins Schauspielfach?


Eigentlich ist das Schauspiel eine alte Leidenschaft von mir. Irgendwann ging mir in London ein Licht auf: Wie idiotisch ist es eigentlich, den größten Teil seiner Zeit mit einer Tätigkeit zu verbringen, die zwar einen gewissen Luxus bietet, die aber keine Erfüllung mit sich bringt? Auf der Bühne, bei den Proben, vor der Kamera bin ich glücklich. Das kann genauso für Banker gelten: Wenn einer damit glücklich ist, soll er es halt machen. Das hat erstmal nichts mit Ethik zu tun, wie ja zur Zeit stark diskutiert wird. Was immer man macht, kann man ethisch korrekt oder inkorrekt ausführen.

Auch ein Banker im entfesselten, unregulierten Kapitalismus?


Möglicherweise gibt es ein systemisches Problem. Interessant bleibt die Frage, wo eine Lösung anzusetzen hat. Man sollte Investmentbanking nicht einfach abschaffen, es bietet einen Service, der die Wirtschaft stützt. Sicher lässt sich eine Misere wie die aktuelle mit Regulierungen bekämpfen. Niemand aber wird die Menschen dadurch zu besseren Menschen machen. Unsere Gesellschaft befördert alles Handeln, das den Gewinn maximiert. Nicht nur in Form von Geldwerten, sondern auch in Form von Macht. Das Bedürfnis, etwas zurückzugeben, existiert dagegen fast gar nicht.

Brauchen wir dann nicht einen Systemwechsel, muss der Kapitalismus nicht abgeschafft werden?


Das kann auch schief gehen, ist es in der Vergangenheit ja schon. Das Grundproblem beginnt, wenn Systemen die Menschen egal sind, sie nur als Funktionsträger innerhalb des Systems begreifen. Nehmen Sie meinen Schreibfüller. Ich liebe ihn heiß und innig, ich habe Stunden damit verbracht, ihn mir in einem schönen Laden auszusuchen. Wenn mir nun jemand sagt: Du musst Deinen Füller aber mit all Deinen Freunden teilen, dann finde ich das überhaupt nicht komisch. Es ist nämlich mein Füller. Dieser krasse Antikapitalismus ohne Anspruch auf Privateigentum geht genauso gegen die Natur des Menschen wie der selbstbezogene, Gewinn maximierende Kapitalismus, in dem es nur noch um Materielles geht. Es muss einen Mittelweg geben. Die Tatsache, dass wir in einer Demokratie leben, lässt mich darauf hoffen.

Haben Sie noch Freunde, die im Investmentbanking tätig sind? Oder haben Sie diesen Lebensabschnitt völlig abgeschlossen?


Nein, nein, ich habe noch ganz viele Freunde, die nach wie vor in Banken arbeiten. Zum Glück hat niemand von ihnen bisher seinen Arbeitsplatz verloren. Aber Sorgen machen sich trotzdem viele.

Nehmen Sie auch eine veränderte Haltung wahr?


Eher einen beginnenden Reflexionsprozess. Allerdings dominiert noch das Jammern, weniger das Handeln. Aber das ist das Vertrackte: Welche Möglichkeiten bleiben einem Investmentbanker, der feststellt, dass er Teil eines Systems ist, dessen Regeln er nicht vertritt? Er kann kündigen und Maler werden.

Oder Schauspieler.


Sie meinten vorhin, Sie wären in einer konservativen Familie aufgewachsen. Sind Sie selbst konservativ?


In vielem ja. Aber ich tue mich schwer mit politischen Einordnungen. Vielleicht bin ich politisch auch einfach noch nicht erwachsen. Sie können mich in fünf Jahren nochmal fragen. Jedenfalls möchte ich den Kapitalismus gerade nicht abschaffen, und trotzdem stört es mich sehr, dass alles aufs Geld fixiert ist und kein Raum bleibt für andere Formen der Anerkennung, auch des Zurückgebens an die Gesellschaft. Wahrscheinlich bin ich im liberalen Bereich ganz gut anzusiedeln. Den Begriff konservativ mag ich jedenfalls nicht, er beinhaltet die Idee des Konservierens, das halte ich nicht für richtig.

Ihr Großvater wird oft als politisch konservativ beschrieben.


Nach meinem Bild war er ein moderner und liberal denkender Mensch. Vielleicht entspricht diese Vorstellung von meinem Großvater nicht der Person, die er war, mag sein. Aber man muss diese Zuschreibungen in seiner Zeit denken. Nationalstaatlichkeit und Patriotismus hatten damals einen anderen Stellenwert als heute. Mein Großvater war bestimmt patriotisch, aber er konnte einen europäischen Gedanken spinnen. Er konnte sich ein Europa vorstellen, das als politische Einheit funktioniert.

Und nicht deutsch regiert wird?


Wie das ausgesehen hätte, lässt sich nicht sagen. Zumal er gern den Advocatus Diaboli gespielt hat, nach allem, was man weiß. Er hat auch einmal ein Argument um des Argument willens geführt. Es gibt Zeitzeugen, die ihn als absolut überzeugten Nazi erlebt haben. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass er auch so argumentiert hat. Andererseits hat er sich bei den Verschwörern zu Hause gefühlt. Aber das Bild, das ich mir von meinem Großvater gebastelt habe, ist auch ein Wunschbild – das will ich überhaupt nicht abstreiten.

Bleibt die Verantwortung für andere Taten neben dem Attentat: Er hat mit Krieg geführt. Er hat KZs und Judenverfolgung geduldet.


Was den Krieg angeht, muss man bedenken, dass diese Generation ein ganz anderes Verhältnis dazu hatte: Krieg war moralisch nicht richtiger oder falscher als heute. Aber er war selbstverständlicher. Und klar bleibt ein Punkt: Mein Großvater war Offizier in einem kriminellen System. Und obwohl er früher oder später erkannt hat, dass es kriminell war, ist er geblieben. Was mich persönlich angeht, halte ich mich daran fest, dass er sich im Bleiben die Möglichkeit erhalten hat, das System zu verändern. Wer wegläuft, verliert auch jeglichen Einfluss. Jeder aber, der in einem System arbeitet, muss Dinge erledigen, die das System stützen.

Philipp von Schulthess, geboren 1973 in Zürich, studierte in London Volkswirtschaft und arbeitete als Investmentbanker. Anschließend absolvierte er eine Ausbildung zum Schauspieler am City Literary Institute. Einer seiner Schwerpunkte ist Shakespeare. Zu seinen Lieblingsstücken zählt Julius Caesar. Er lebt in Berlin.

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Geschrieben von

Susanne Lang

Freie Redakteurin und Autorin.Zuvor Besondere Aufgaben/Ressortleitung Alltag beim Freitag

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