Frauen Klar sind wir emanzipiert, danke dafür wem auch immer. Aber was heißt das eigentlich? Aus dem Alltag einer Mutter in Führungsposition, unter der Woche alleine betreuend
Die gute Nachricht dieses Morgens: Der Müllsack ist draußen. Das Kind auch, und es ist nur einmal über seine Füßchen gestolpert, also bedingt schmutzig. Sogar unser Bus hält sich an seinen Fahrplan und fährt nicht, wann er gerade mal Lust hat, wie an so vielen anderen Morgen. Mein Zeitmanagement, wie es ja auch der junge Zweifachvater und SPD-Chef Sigmar Gabriel als entscheidend für die gelingende Familie benannt hat, funktioniert tadellos. Wir sind gut aufgestellt. Die schlechte Nachricht: Das alles ist nun wieder privat.
Kristina Schröder, sollte ich meinen Müll bitte geräuschlos entsorgen. Die Wäsche im stillen Kämmerlein waschen. Meine Tochter gerne in die Kita bringen – wenn ich sie dahin schicken möchte, weil ich beruflich weiter Verantwortung übernehmen will. Aber auch das steht mir frei. Wie ich das nun alles realisiert bekomme, geht niemanden etwas an. Schon gar nicht soll es jemanden interessieren, wenn ich mir neuerdings in den Kopf gesetzt habe, das während der Woche völlig alleine zu schaffen. Es steht mir ja immer noch frei, mich zu entscheiden: für das Kind, den Beruf, die Karriere. Oder für nur eines davon.Niemand zwingt mich zu etwas. Ich besitze das, was Schröder so treffend „Wahlfreiheit“ nennt.Wahl zwischen Nest und CholeraKomischerweise klingt sie bei dieser Feststellung so, als habe man nur die Wahl zwischen Nest und Cholera. Daran seien zum Himmel eben die Feministinnen schuld, die in ihrer „Fixierung auf die Ergebnisgleichheit zwischen den Geschlechtern“ uns ein unerträgliches Rollenbild diktiert haben. Das der unschön unterdrückten und diskriminierten Frau, die befreit werden müsse.Ehrlich gesagt entzieht es sich meiner Vorstellungskraft, wovon diese Ministerin eigentlich spricht. Sie ist zwar genauso alt wie ich, hat ein kleines Kind und einen Mann dazu, sie übernimmt in einer Führungsposition Verantwortung und übt Macht aus. Meine Welt jedoch sieht völlig anders aus. Aber ich wähle ja auch nicht CDU, schon gar nicht bin ich dort Mitglied. Mir persönlich sagt auch selten jemand, wie ich zu sein und was ich zu tun habe.Genau genommen hat das bisher nur meine Mutter gemacht. Damals, kurz vor dem Abitur: „Du kannst beruflich machen, was du willst. Hauptsache, du bist später unabhängig.“ Unter dem Verdacht, eine ideologisch verbissene Feministin zu sein, stand sie nie. Meines Wissens gab es die auf dem bayerischen Land damals gar nicht. Aber Unabhängigkeit, die war meiner Mutter wichtig. In erster Linie die finanzielle, weil man erst für sich sorgen können müsse, um dann für andere da zu sein. Sie selbst hat das höchst effizient gelöst: Ein großes Haus gebaut mit zwei Teilbereichen, der eigenen Apotheke und den Wohnräumen, durch eine abschließbare Türe getrennt. Unter dieses Dach passten am Ende locker vier Kinder. Und ein Mann, der kein Problem damit hatte, bei ihr im Angestelltenverhältnis zu arbeiten.Mein Geld, meine FamilieWas mich angeht, hat meine Mutter das von ihr nicht nur diktierte, sondern auch vorgelebte Rollenbild erfolgreich vererbt. Ich verdiene mein eigenes Geld. Ich arbeite sogar in verantwortlicher Position. Ich liebe meinen Beruf. Und ich habe eine Familie, die nicht dazu da ist, um unter größter Anstrengung mit meinem sonstigen Leben vereinbart zu werden, sondern es gibt sie, weil ich sie liebe. Alles ganz gleichberechtigt. Da geht es meinem Freund, nach allem was ich weiß, nicht anders.Vielleicht fiel es uns deshalb leicht, das gemeinsame Kind als eine gleichberechtigte Angelegenheit zu betrachten. Nach der Geburt nahm er einen ersten Monat Elternzeit, dann ging er wieder arbeiten, um mich anschließend noch einmal abzulösen. Heute hat jeder von uns eine andere Wickel-, also Bespaßungs- und Ablenkungstechnik. Keine ist besser als die andere. Eine Selbstverständlichkeit eigentlich, oder doch eine große, gelungene Privatangelegenheit?Für uns war das kein Big Deal. Nicht nur, weil es für die ersten Elternzeitmonate staatliche Subvention gibt, sondern weil es mittlerweile auch genügend Rollenbilder gibt, die uns Vorbild waren. All die anderen Väter zum Beispiel, die zu Hause blieben. Die Mütter, die wieder arbeiten gingen, obwohl ihnen immer die Feigheit unterstellt wird, mit dem Kind doch nur bei der Karriere zu kneifen. Und das waren nicht nur Menschen, die etwas mit Medien zu tun haben, sondern auch Ärztinnen und Ärzte, Hochschuldozenten und Doktorandinnen, Bundesministeriumsmitarbeiterinnen und Coaches. Warum will Kristina Schröder all diese Rollenbilder wieder abschaffen?Eigentlich ist das doch alles wunderbar.Dann kam das AngebotDann kam das Angebot. Für meinen Freund. Ein neuer Job, ein besserer, ein sehr guter – allerdings nicht in Berlin, wo wir bisher lebten und arbeiteten. An seiner Stelle hätte ich es sofort angenommen. Aber so stand ich plötzlich vor einer Entscheidung: Gebe ich meine Stelle auf und gehe mit, weil ich meine Familie liebe? Behalte ich meine Stelle erst einmal, weil sie auch eine gute Stellung bedeutet, und bleibe mit unserer Tochter in Berlin? Beende ich damit aber unser bisher so gelungen gelebtes Prinzip des gleichberechtigten Teilens der Kindererziehung und vor allem -betreuung? Welche Entscheidung entspricht eigentlich einer emanzipierten Frau und Mutter?Noch eine gute Nachricht: Ich habe mich bis heute nicht entschieden. Vielleicht ist das die eigentliche Emanzipation: Ich wehre mich damit gegen den Zwang, einem der ohnehin nur virtuell existierenden diktatorischen Rollenbilder zu entsprechen. Entweder Familie oder Karriere? Weil Erstere ja im Spannungsfeld zwischen Emanzipation und Liebe stünde, wie es Schröder im Rückgriff auf Iris Radisch behauptet? Weil sie ein „Gegenmodell zur Allgewalt der Ökonomie und der Beschleunigung“ und ihr Kapital „der glücklich erlebte Augenblick“ sei, nicht das „irgendwann erreichte Ziel, der abgearbeitete Dienstplan“. Du meine Güte! Denkt man das wirklich noch?Positive weibliche AutoritätWas „Wir“-Frauen eigentlich brauchen, ist nicht die Emanzipation von Talkshow-kompatiblen Rollenbildern. Wir brauchen neue! Viele! Verschiedene! Prominente und alltägliche! Menschen, die sich nicht zwischen Liebe und Emanzipation entscheiden wollen und demnach auch nicht müssen. Die ganz im Sinne der leider kaum mehr beachteten Feministin Julia Kristeva leben wollen, die bereits im Jahr 1976 versucht hat, die Grundlagen eines neuen Mutterschaftsdiskurses zu formulieren, der weibliche Emotionalität und Subjektivität nicht ausschließt, sondern produktiv macht. Und dadurch etwas ermöglicht, was bis heute so sehr fehlt: positive weibliche Autorität.Seit vier Monaten testet unsere Familie nun das Leben im Pendelbetrieb. Ich arbeite dank moderner Technik und verständnisvoller Kollegen auch von zu Hause in allen wichtigen Redaktionssystemen, wenn die Zeit im Büro mal wieder nicht ausreicht oder aber das Kind krank ist. Mein Freund arbeitet in Hamburg. Jeden zweiten Morgen und Abend zelebriere ich voller Selbstmitleid die Opferexistenz einer ins Heim zurückgedrängten Desperate Housewife, wenn wieder mal innerhalb von wenigen Sekunden ein Regal ausgeräumt oder der halbe Einkauf vergessen wurde und die Tasten meines Rechners fest in Kinderhand sind. Weil auch das ausgelebt werden muss, finde ich. Jeden zweiten Abend vermisst mein Freund die Familie, soweit ich weiß. Uns geht es genauso. Aber das muss ja nicht für immer so sein.
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