Igitt, ein Arbeitsloser!

Hartz IV Früher führte man das gesellschaftlich "Ab-Norme" in Käfigen vor - zur Unterhaltung der Normalos. Heute übernehmen das diverse Medien und zeigen: den Menschen ohne Arbeit

Nochmal, zur Erinnerung, die entscheidende Frage dieser Tage: "Macht Hartz IV faul?" Nun ja, die finale Antwort darauf hat die öffentliche Meinungsbildung noch nicht so recht gefunden (Herr Brüderle sagt: Nein, weswegen man Arbeitlose auch nicht zum Arbeiten zwingen müsse - Herr Koch sagt einfach nur: Aber selbstverständlich.) Seit Wochen machen sich diverse Vordenker dieser Republik (Hans Werner Sinn, Hans Werner Sinn oder aber Hans Werner Sinn) darüber so ihre Gedanken, und weil das auf Dauer auch öde wird, hat sich das Blatt für gesellschaftsrelevante Unterhaltung der Sache mal richtig angenommen. Seit Tagen zieht Bild einen gewissen Herrn namens Arno Dübel über den Boulevard, einen 54-jährigen Langzeitsarbeitslosen aus Hamburg, der seit über 30 Jahren keinen Job mehr hatte - und das aus Prinzip, wie Bild nicht müde wird zu betonen:

01.02.2010, 9 Uhr 11: Deutschlands frechster Arbeitsloser – so gammelt er sich durch den Tag

"Dösen, abhängen, Bier trinken": Seit 36 Jahren hat Arno Dübel keine Arbeit und ist auch noch stolz darauf.

Obendrein, so Bild, rauche Herr Dübel gute 100 Zigaretten am Tag - wenn es also noch einen Beweis bedarf, wie asozial dieser Mensch sei, muss man in der Inszenierungslogik nun nur noch eines zeigen: Dass er nicht nur unwillig ist, sondern zu blöd, um zu arbeiten.

02.02.2010, 9 Uhr 24: Deutschlands frechster Arbeitsloser muss jetzt bügeln

Arno Dübel hat an diesem Tag keine Krankschreibung und muss ins Aktiv-Center, wo Langzeitarbeitslose wieder an einen Job gewöhnt werden sollen. Er "ringt" sich zu Hauswirtschaft durch, auf alles andere sei er "allergisch".

02.02.2010, 13 Uhr 35: Deutschlands frechster Arbeitsloser muss jetzt arbeiten

Leider sei seine Ärztin selbst krank gewesen und habe keine Krankschreibung ausstellen können, was wiederum Herrn Dübel laut Bild zum Ausspruch bringt: "Wer arbeitet, ist doch blöd".



Den meisten Lesern dürfte es zu diesem Punkt schon reichen – sowohl denen der Bild, die sich im Online-Forum unter der fortlaufenden "Skandal"-Berichterstattung auslassen, was man mit Menschen wie Herrn Dübel so anstellen sollte – als auch jenen, die noch nicht mal persönlich ein Arbeitsamt von innen gesehen haben müssen, um zu ahnen, unter welcher Klasse Mensch Hartz IV-Abgestempelte dort so laufen. Bügel-Kurse sind dort eine gängige Integrationsmaßnahme in den Arbeitsmarkt. Aber Bild setzt locker noch eines drauf – damit es bloß nicht langweilig wird mit der Geschichte des Herrn Dübel, der ja sowieso seit Jahren bekanntermaßen in diversen Talkshows das Gesicht des Hartz-IV-Empfängers mimt, was eigentlich mehr über diese Medien sagt, als über Herrn Dübel, weswegen Bild dringend dieser verselbstständigten Mediengeschichte einen ganz eigenen Dreh geben muss. Und siehe da, Bild hat sich mit großen, mitunter ökonomischen Erfolgsaussichten eigens um einen Job für Herrn Dübel bemüht:

03.02.2010, 00 Uhr 20: "Gar nicht übel! Arbo Dübel soll Popstar werden – vom Arbeitsamt auf die Showbühne"

Zwei Musikproduktionsfirmen bieten dem Langzeitsarbeitslosen einen Plattenvertrag an. Dübel soll einen „Arbeitslosen-Rap“ einsingen, untermalt von harten Beats und dem Zischen einer aufreißenden Bierdose. Im Refrain soll Dübel „Arbeit ist Scheiße“ grölen.

Am Ballermann zum Beispiel rechnet man mit einem Riesenerfolg des Songs. Denn Dübel sei ein großer "Sympathieträger für viele". Und weil man ja schön fair bleiben will, bekäme Herr Dübel, der neue "Ballermann-König", pro verkaufter CD 40 Cent. Wenn das mal keinen Unterhaltungswert verspricht - ganz getreu der Jahrhunderte alten Tradition der Schaustellerei, deren Prinzip es immer schon war, das Ab-Norme der Allgemeinheit vorzuführen, zunächst im 19. Jahrhundert das körperlich Entstellte, Missgebildete, dann das Hässliche, das Kranke, das Fremde. Aus dem schlichten Käfig, in dem die Menschen damals vorgeführt wurden, sind heute viele Käfige geworden: all die Ton- und Bild-Kanäle, die über Netz und Rundfunk empfangen werden. Und heute sind es vorzugsweise die Arbeitslosen, die von der gesellschaftlichen Norm abweichen, ganz egal, ob es denn nun Arbeit für alle überhaupt gibt oder auch nicht - für alle anderen Ausstellungsobjekte der Vergangenheit gilt nun der Schutz der politischen Korrektheit. Wenn man da mal nicht von Fortschritt oder gar Zivilisation reden kann...

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Geschrieben von

Susanne Lang

Freie Redakteurin und Autorin.Zuvor Besondere Aufgaben/Ressortleitung Alltag beim Freitag

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