Oh wie schön ist ... Köln

Twitter-Trip Kann man Twitter als Reiseführer verwenden? Man kann. Und wie! Zum Beispiel für eine Städtetour in Köln. Susanne Lang über ihren Twittertrip am vergangenen Freitag

Start: Freitag, 11 Uhr, auf der Domplatte in Köln

Pling, aber hallo! Das kleine blaue Vögelchen auf dem Touchscreen des I-Phones scheint sich über meinen Kontaktversuch ja sehr zu freuen. Das Programm mit Vogel-Logo für mobiles Twittern begrüßt mich mit einem Zwitscherklingelton, ein lila unterlegtes Feld meldet mir 100 neue Tweets – 100 neue Kurzmitteilungen sind seit dem letzten Login im Freitag-Account eingegangen. Einige von ihnen werden mich den Tag über durch Köln führen, wer weiß wohin und hoffentlich wieder zurück. Noch stehe ich wie all die anderen Profi-Touristen mit digitaler Rundumausrüstung auf der Domplatte, die Sonne gibt sich beste Mühe, der Bauch kribbelt ein bisschen und los geht‘s – aber wohin?

Ingo_Berlin: „im dom gibts geile neue glasfenster von gerhard richter.“

Trupedo_Glastic: „Ich würde ja erst mal im Früh 1-10 Kölsch trinken. Und dann mal weiter sehen.“

holadiho: „mit der Gondel über den Rhein fahren! Hotel Chelsea ansehen!“

JP_81: „mit der s-Bahn nach Bocklemünd und gucken, was die GEZ mit unseren Gebühren macht!“

Erste Sehenswürdigkeit der 2000 Jahre alten Stadt: der Kölner Dom von innen, gotischer Baustil, katholisch, natürlich.

Zum Glück liegt das Früh nicht in Sichtweite, zum Dom mit seinen „geilen neuen Fenstern“ sind es nur ein paar Schritte. Zuvor jedoch lasse ich mich knipsen, wie es sich für ordentliche Touristinnen gehört. Ein nettes Pärchen erklärt sich bereit. Ergebnis: Schnappschuss „Ich mit Dom im Hintergrund“. Dieser erste Erfolg muss sofort meinen Reiseleitern auf Twitter mitgeteilt werden, ich schicke einen Tweet und ordne mich brav in die Schlange vor dem Haupteingang ein, mit einem neuen Auftrag: ein atheistisches Gebet für Michael Jackson sprechen, der an diesem Freitag die Welt mit seinem Tod rührt. Innen dann stelle ich fest, dass die katholische Kirche schon immer die beste Show hatte, die neuen Glasfenster des Künstlers Gerhard Richter fügen sich da gut ein, weswegen sie sofort in den Fokus der Handykamera kommen, ein Klack und ein Klick und das Foto ist verschickt. Die Kerze, die ich für Jacko anzünden wollte, brennt praktischerweise schon. Es kann weitergehen. Aber wohin?

twiitar: „DER Tipp: Nach Bonn fahren, zum Uni-Hauptgebäude gehen und sich auf die Wiese legen. Köln ist schrecklich.“

Linksdings: „Mülheim – es gibt dort nen second hand, auch platten – vielleicht die thriller von michael jackson? beat it!

nihamaru: „gleich ins Hallmackenreuther am Brüsseler Platz, endlich mit dem Kölsch anfangen + die schrägen Ecken kommen lassen #köln # sue“

Zweite Sehenswürdigkeit: der Kölner Stadtteil Mülheim, rechtsrheinisch, Anfänge gehen bis ins 9. Jahrhundert zurück, hat sich heute zu einem „sozialen Brennpunkt“ entwickelt.

Second Hand in Mülheim – das ist nicht zu toppen. Ich mache mich auf den Weg zur Bahn, einen weiteren Check bei Twitter und bekomme den ersten Reiseschock:

aprosdokese: „derfreitag lässt praktikanten ihren köln-rundgang im twitter dia-/monolog kommentieren. danke, nein. #unfollow“

Irgendwie klingt dieser Tweet nicht so nett, denke ich noch, während immer weitere User „Unfollowen“, also im Grunde so etwas wie spontan das Abo kündigen. Wie sich herausstellt, war mir bis dahin der Unterschied zwischen einem „@“ und dem sogenannten hashtag „#“ unbekannt. Ersteres benennt bei Twitter den Adressaten einer Botschaft, zweiteres das Thema und den Absender in einem Tweet. De facto richteten sich meine also an einen nicht existierenden User namens „Koeln“ und an eine Userin namens „sue“ (mein Twitterkürzel). Ich entschuldige mich artig, nehme im Geiste im Hallmackenreuther ein Kölsch auf den Schreck und fühle mich bestens aufgestellt für einen Abstecher nach Mülheim, Düsseldorfer Straße.

Da mir mittlerweile mal wieder nach einem Gespräch ohne tippen ist, frage ich eine Köln-Mülheimerin mit Kinderwagen nach dem Weg. Nach längerer Erklärung verschifft sie mich in den Bus Nummer 153 und winkt. Im Bus kommentiert ein Mülheimer Michael Jackson („Ein guter Mensch, aber ich habe immer gesagt, wenn der so weiter macht...") und eine Mülheimerin erregt sich über einen roten Lada, der die Größe seines Wagens beim Einparken mit einem Panzer verwechselt und den Bus blockiert. Zwischendurch erklärt mir ein weiterer Mülheimer, dass ich völlig falsch unterwegs bin. Ich steige an der nächsten Haltestelle aus, schicke einen Tweet von der netten Aussicht und möchte plötzlich dringend: weg. Aber wohin?

jensscholz: „Sie kann ja in die Sandburg, ne nette Strandbar am Hafen, direkt neben dem Open-Air-Studio für die Anrheiner.“

ingo_berlin: „galerie karsten greve zum beispiel. der hat seine galerie in der drususstr, nicht weit vom wdr“

Die letzten Sehenswürdigkeiten:

Die Sandbar ist toll, leider geschlossen. Die Galerie ebenso, aber die Türe offen, da eine Vernissage der Künstlerin Catherine Lee vorbereitet wird. Das ebenso empfohlene Café mit den lebenden Papageien hat dicht gemacht, dafür gibt es den Sneakersshop noch, allerdings eher für Jungs. Die Füße machen sich trotzdem bemerkbar, eine letzte Station noch, aber wohin?

HilliKnixibix: „Wärmstens ans Herz gelegt: das Törtchen Törtchen ganz in der Nähe. Hervorragende Patisserie mit exzellenten Pralinenwuchten.“

Freitag, kurz vor 18 Uhr: Meine Wahl fällt auf das Café Gloria. Und: das Kölsch, flankierend zu den einlaufenden Tipps für die weitere Abendgestaltung. Ich schicke einen letzten Tweet:

Dankedankedanke für all die Tipps. Hat Spaß gemacht, insbesondere Mülheim, bis dann Susanne #koeln #sue

Gute Argumente sind das beste Geschenk

Legen Sie einen Gutschein vom digitalen Freitag ins Osternest – für 1, 2 oder 5 Monate.

Geschrieben von

Susanne Lang

Freie Redakteurin und Autorin.Zuvor Besondere Aufgaben/Ressortleitung Alltag beim Freitag

Susanne Lang

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden