Schirrmachers Rache – eine Rezension in Teilen (II)

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Die Entscheidung fiel ausnahmsweise nicht schwer: Das neue Buch von Frank Schirrmacher muss ich nicht lesen. (Inhalt: „Warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind zu tun, was wir nicht tun wollen, und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen.“) Gibt ja sovieles anderes, das da wartet. Doch dann erreichte mich am 24.11. um 17 Uhr 17 folgender Auftrag von Freitag-Blogger MH120480, der mit der Lektüre von Payback begonnen hatte:

Über die anderen 112 Seiten schreiben Susanne Lang und Mister X. Das liest sich dann vollkommen anders und ich vermute, die beiden haben auch vollkommen andere Gedanken als ich. Von Mister X erwarte ich das auch! Wenn nicht, könnte ich beide im Sinne von Schirrmacher als ausgelagertes Ich verwenden, oder umgekehrt. Dann würden wir uns zusammen selbst vergessen.“

Er ließ mir sein Exemplar zukommen. Mit Anmerkungen und der Aufforderung auf Seite 112: „Du bist dran“. Also gut. Ich übernehme. Ab Seite 113. In gebotener, sonntäglicher Ruhe.

Irgendwann später, so entnehme ich MHs Rezension, wird Schirrmacher die Lösung für sein diagnostiziertes Informationsüberforderungsproblem präsentieren. In meinem Startkapitel wohl noch nicht. „Rezepte für das Zerlegen und Zubereiten von Menschen“. Klingt eher noch nach alarmistischer Vorbereitung der Apokalypse, die einmal mehr auf die Menschheit wartet. Jetzt sind es die Computer, die uns bedrohen. In seinen letzten Werken (Minimum, Methusalem-Komplott) waren es die jungen Deutschen, die keine Kinder mehr bekommen wollen und somit dafür sorgen, dass wir alle aussterben. Die Computer lassen uns wenigstens am Leben, aber das nicht ohne irreversible Schäden. Denn (erster Satz des Kapitels): „Wir werden vielleicht nicht Mr. Spock, aber wir werden von ihm gelesen“. Ich lese den Satz noch einmal. Und noch einmal. Mr. Spock liest uns?!

Vielleicht fehlt mir eine wichtige Information zu Mr. Spock aus dem Star-Trek-Universum, dem Vulkanier, der grünes Blut hat und ein Extrem-Logiker ist, ergo mit Computern sehr gut umgehen kann. Kurz mal auf Wikipedia nachschauen. Der Eintrag zu Mr. Spock ist löblich ausführlich. Aber keine Information, die mir den Satz näher brächte. Vielleicht die Tatsache, dass er laut Wikipedia eine schwierige Kindheit hatte, weil ihn die Klassenkameraden verspotteten und quälten, weil er zur Hälfte Mensch war? Schirrmacher jedenfalls folgert aus der Tatsache, dass Spock uns liest, die Frage: „Was liegt da näher als anzunehmen, dass die Art und Weise, wie der Computer für uns denkt, unserem Ich selbst entspricht?“ Ich notiere an den Seitenrand: „Vieles.“ Und muss an Thomas Bernhards „Auslöschung“ denken, in der er unter anderem den Lesern die schöne These nahebringen will, dass man im Grunde nur eine Seite eines Buches lesen müsse, um das ganze zu kennen. Alles andere wäre komplette Zeitverschwendung.

Leider sind vier Zeilen noch keine Seite. Außerdem wäre das angesichts der Vorleistung von MH eventuell unfair. Und so lande ich etwas später bei einem netten Feldversuch (einem „mittlerweile berühmt gewordenen Experiment“): Schlange am Unikopierer, ein Student will vorgelassen werden. Einmal versucht er es mit der Begründung: „Entschuldigung, ich muss mir Kopien machen, darf ich den Kopierer benutzen, ich bin nämlich in Eile.“ Beim zweiten Mal damit: „Entschuldigung, ich muss nur fünf Kopien machen, darf ich den Kopierer benutzen, weil ich kopieren muss?“ Ergebnis: Der Student wurde in beiden Fällen vorgelassen. Obwohl, so Schirrmacher, die Information im zweiten Fall völlig sinnlos war.

Nur fünf – also wenige, geht schnell, ist gleich sinnlose Information. Wie wahr. Ich hätte ihn definitv auch vorgelassen, weil auch ich ihm gar nicht wirklich zugehört hätte, weil auch mein Hirn von all den Informationen grundsätzlich seit genau einem Jahr (mit Zugang zu Facebook, Twitter etc. pp.) zermanscht ist.

Ich bin auf Seite 117.

Dann 120: „Wir werden künftig zwei Hirne nutzen. Eines in unseren Köpfen und eines in den Wolken.“

Ich werde langsam ungeduldig. Und ungnädig: „In den Wolken“?!?! Ist das nun Logik im Informationszeitalter? Oder Quatsch? Zum Glück erfahre ich aus der Fußnote 96, dass es sich bei dem Satz um den Ausschnitt einer „Persönlichen Mitteilung“ handelt, von Stephen Baker an Frank Schirrmacher.

Ich blättere ein bisschen weiter und stoße auf eine ganzseitige Abbildung eines Käfers. Interessant! „Das ist der Getreideplattkäfer“, erfahre ich. Denn ein Peter Pirolli hat herausgefunden, dass unsere „Informations-Futtersuche ziemlich genau dem Verhalten dieses Tieres entspricht!“ Also, seinem Verhalten der Nahrungssuche. Selbstverständlich, denn wir sind ja mittlerweile auf Seite 133 und im Kapitel „Der digitale Darwinismus.“ Der Käfer ist ein Glücksfall. Denn er ermöglicht nun eine schöne Klammer im Schirrmacher Kosmos: Hier lässt sich prima aus Kafkas Verwandlung zitieren, in der ein Mensch eines Tages als Käfer erwacht. Grandios! (Schirrmacher hat legendär zu Kafka promoviert).

Weiter im Text: „Und ehe Sie jetzt aussteigen und die Verwandtschaft mit einem Käfer leugnen, sollten Sie wissen, dass Google die Strategien der Informations-Witterung von Oryzaephilus (dem Getreideplattkäfer, Anm. von SL) in seine Algorithmen einbauen wird.“

Endlich eine Stelle, die das eigentliche Anliegen dieses Playback-Werks durchschimmern lässt. Denn: Das alles ist nicht neu. Das alles braucht nicht nur eine Kontrolle, indem wir „die Stärke des Menschen neu bestimmen“ (Schirrmacher), sondern das alles ist Gegenstand von bereits stattfindenden politischen Auseinandersetzungen (Freier Zugang zu Informationen, Datenschutz, Internetsperren, etc.). Das ist aber in diesem Fall egal. Denn hier soll wieder einmal ein Kulturkämpfchen konstruiert werden: die Nerds und "Schriftsteller des Informationszeitalters" auf der einen (nicht so guten Seite) und die humanistisch gebildeten, menschliche Innenwelten erforschenden Kulturbewahrer auf der anderen (rettenden) Seite. Dabei ist Schirrmacher eines aber besonders wichtig: Er hat nichts gegen Computer und technischen Fortschritt. Wäre ja auch irgendwie zu sehr old school. Und vielleicht dann doch nicht bestseller-tauglich. Denn darum geht es. Gemäß den Gesetzen des (Buch-) Marktes muss Payback ein Erfolg werden. Der Autor ist immerhin der Google unter den Debattenführern!

Seite 157. Und Ende des ersten Teils. Im zweiten soll die Lösung kommen.

Zeit für die Lektüreübernahme durch Mr. X – der nun eindeutig aus der kulturellen Welt kommen sollte. Das grüne Hardcover-Werk kommt auf den Schreibtisch des Kulturressortleiters, mit besten Grüßen an Michael Angele.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Susanne Lang

Freie Redakteurin und Autorin.Zuvor Besondere Aufgaben/Ressortleitung Alltag beim Freitag

Susanne Lang

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