Wir sehen, also sind wir. Diese Erkenntnis mag so manchen digitalen Gesellschaftskünstler vor all seinen neuen Fenstern zur Welt nun nicht vom Hocker reißen. Ist doch längst eine alltagsphilosophische Selbstverständlichkeit! Klar. Aber wundern darf man sich ab und an schon, was man auf all den Bildern, die unsere Weltsicht formen, zu sehen bekommt.
Auf jenen von Julia Timoschenko etwa, mit denen die ehemalige ukrainische Regierungschefin vor ihrem Hungerstreik der Welt die Folgen ihrer unmenschlichen Haftbedingungen zu zeigen versuchte. Als wolle sie selbst nochmal sicher gehen, trägt sie auf den dokumentierenden Aufnahmen ihre Brille. Soweit, so erkenntnislogisch. Doch viel schärfer als das verblasste Blau ihrer (offensichtlich existenten) Bluterguss-Flecken, sticht auf den Bildern das Knallrot eines anderen (offensichtlich existenten, ob nun absichtlich oder zufällig) Accessoires in die Augen: eines Brillenetuis, mit der schwarzen Aufschrift „Moschino“.
Dabei handelt es sich um ein italienisches Modelabel, dessen Gründer Franco Moschino die eigene Branche mit einem dadaistisch-satirischen Blick betrachtete, gerne auch Pop-Art-Elemente sowie Peace-Zeichen zitierte. Die Pressestelle von Moschino in Italien wollte sich auf Nachfrage des Freitag bisher nicht dazu äußern, ob das Label Timoschenko unterstütze. Distanziert hat sich Moschino damit aber bisher auch nicht. Wahrscheinlich kann Moschino ganz gut mit der neuen Werbeträgerin leben. Und Testimonial Timoschenko? Sie galt Kulturkritikern ja schon länger als Politpop-Ikone (die Zöpfe!). Das kann doch alles kein Zufall sein.
Kommentare 27
Verstehe ich Sie richtig, Frau Lang: Frau Timoschenko sei ein Produkt?
Vergessen wir nicht, Frau Timoschenko ist eine Geschäftsfrau!!!!
Sehr geehrte Frau Lang,
Ich schlage vor, Sie recherchieren noch die Herkunft des T-Shirts sowie des Brillenmodells und richten entsprechende Anfragen an die Hersteller. Daraus lässt sich bestimmt auch noch ein "Beitrag" basteln, wenn's denn nichts anderes zu tun gibt.
Grüße von zephyr
Nun ja, ich würde sagen: eher betreibt sie Product Placement - ob nun absichtlich oder zufällig...
Das T- Shirt ist von BENETTON und das Bild hat Oliviero Toscani gemacht...oder? Man kennt ja dessen berühmt -berüchtigten Benetton Werbekampagnen ....oder?
Was soll an den Werbekampagnen berüchtigt sein?
@ Btw: 1. Ja, konnte ich. Und zwar auf Fotos, die am Wochenende noch einmal sowohl im Spiegel als auch in Bild veröffentlicht waren.
2. Den Link und eine gewisse Katharina Jaroschak kannte ich nicht bis Sie ihn hier gepostet haben. Ich bin keine Rotarierin.
3. Die Anmerkung zum Fotocredit verstehe ich nicht, wir nennen immer die Urheber, was nun eher in eine Urheberrechtsdebatte mündet, wenn wir da weiter diskutieren wollen.
Naja, lieber ed , berüchtigt im Sinne von "darf man mit solchen Bildern Werbung betreiben". Ich weiß nicht, was Sie von den Toscani Fotos für Benetton Klamotten noch in Erinnerung haben, aber der sterbende Aidskranke und die blutgetränkte Uniform eines verstorbenen Soldaten waren schon "heftig".
Was ich in Erinnerung habe, habe ich vor ziemlich genau einem Jahr aufgeschrieben. Sie können sich, wenn Sie wollen, bedienen:
dieausrufer.wordpress.com/2011/05/07/alltagsware/
Das mündet nicht, keine Sorge.
Sie wollten aber in dem Zusammenhang ggfs. in Betracht ziehen, dass "Werbekritik" ab jetzt einen mehr als nur faden Beigeschmack hat. Denn, sorry, eine Person auf ein Etui zu reduzieren, geht gar nicht.
Best, e2m
Klasse Artikel ed2murrow. Danke für den Link . Was die angebliche MOSCHINO Werbung angeht , sind wir auch einer Meinung . Ich entwickelte bei diesem Satz :
>Die Pressestelle von Moschino in Italien wollte sich auf Nachfrage des Freitag bisher nicht dazu äußern, ob das Label Timoschenko unterstütze.
Fremdscham...
Was mich an diesem Foto schon die ganze Zeit gestört hat, ist gar nicht so sehr das Brillenetui. Das ist nur ein zusätzlicher Punkt.
Ich sehe da eine zwar müde wirkende, aber sehr gepflegte Insassin mit fein manikürten Nägeln und sogar Ohringen, die offenbar mit Steinen besetzt sind.
Mit Bildern von Insassen, die sich ebenfalls im Hungerstreik befinden oder befanden, absolut nicht vergleichbar. Die sehen anders aus.
Für die bekannten Verhältnisse in ukrainischen Gefängnissen sehr ungewöhnlich.
Natürlich muss man davon ausgehen, dass diese Fotos gestellt sind und wohl auch von der Gefängnisverwaltung freigegeben wurden. Das Etui mag Zufall sein, kann aber auch absichtlich mit dem Logo nach oben dort liegen.
Ehrlich gesagt kann ich auch kaum Abmagerungserscheinungen feststellen. Aber ich bin kein Mediziner.
Über die anderen Regierungsmitglieder, die ebenfalls in Haft sitzen und von denen einer sich schon Hepatitis eingefangen hat, will offenbar auch in Deutschland niemand reden.
Sind auch "nur" Männer und offenbar auch nicht so werbewirksam wie Timoschenko.
Was bitte soll der Desinformationsquatsch?
"Mit Bildern von Insassen, die sich ebenfalls im Hungerstreik befinden oder befanden, absolut nicht vergleichbar. Die sehen anders aus."
Die Bilder sind mindestens 8 Tage alt, die für mich erreichbare Erstveröffentlichung erfolgte am 1. Mai., z.B. bei focus-online. Dies würde gerade einmal 3 Tage ohne Nahrungsaufnahme bedeuten. Sichtbare Zeichen gibt es da nicht, sonst wäre die Mode mit dem Heilfasten hierzulande schnell zu Ende.
In der Fotostrecke bei Stern-online, die größere Bilder zur Verfügung stellt, ist von irgendwelchen Steinen nichts zu sehen. Die Hände sind das Gegenteil von manikürt, es sei denn, GvG versteht unter Maniküren mal eben schnell mit der Wurzelbürste über etwas gehen.
Was und wie gestellt wurde, darüber ließe sich dann diskutieren. Der Artikel beantwortet es auf seine Weise: Der Mensch als Etui. GvG komplettiert es. #scum
Dann würde ich das Foto mal in den Photoshop laden, entsprechend bearbeiten und vergrößern.
Und wenn das keine Brillis sind, die da am Ohrläppchen baumeln.........
@GvG
Ich halte das Ganze (Boykottdrohungen etc) auch für großes machtpolitisches Theater, und bin von der bisherigen Inszenierung nicht so überzeugt..
Aber ich finde, dass jedem, der für eine Straftat einsitzen muss - auch wenn es sich wie in diesem Fall anscheinend um eine Strafe für einen 'Hundertmillionenbetrug' handelt –, menschenwürdige Haftbedingungen zustehen sollten.
Jeder soll seinen Schmuck und alle Utensilien die ihm lieb sind auch während der Haftstrafe behalten können – und jedem soll gestattet sein, sich einen Fotografen in seine Zelle zu bestellen um 'Unregelmäßigkeiten' fotografisch zu dokumentieren. Und keinem Häftling soll es so ergehen wie z.B. denen in der Jugendhaftanstalt Berlin: "Der besonders gesicherte Haftraum befand sich (...) in einem unhygienischen, ekelerregenden Zustand", heißt es im Bericht. Die fleckige Schaumstoffmatratze sei mit toten Insekten übersät gewesen. Toilette und Wasserspender waren verdreckt“, - oder wie Anderen in deutschen Haftanstalten, die sogar während des Toilettengangs per Video überwacht werden...
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Die Anfrage, ob es zwischen Moschino und Timoschenko einen Werbevertrag gibt, finde ich übrigens vollkommen nachvollziehbar - eine naheliegende Idee.
Da muss man gar nicht lange drumherum reden, die Zustände in manchen deutschen Haftanstalten sind teilweise unter aller Kritik und haben mit menschwürdiger Unterbringung, die jedem Häftling zusteht, egal weswegen er einsitzt, nichts zu tun.
Das sind zum überwiegenden Teil keine Erholungsheime, wie manche immer gerne behaupten. In Frankreich ist es noch schlimmer und in der Ukraine dürfte es noch menschenunwürdiger zugehen.
Schmuck ist bei uns auch teilweise erlaubt, solange er nicht als Werkzeug dienen könnte.
Soweit ich informiert bin, in der Ukraine nicht.
Aber das ist eher auch nebensächlich.
Und auch eine Julia Timoschenko hat ein Anrecht auf menschwürdige Behandlung.
Was mir bei der ganzen Geschichte aber ganz besonders aufstößt, dass man sich nur auf sie konzentriert. Keiner erwähnt die hunderte bis tausende andern Häftlinge in ukrainischen Haftanstalten, denen es wahrscheinlich noch viel dreckiger geht. Die sind zwar sogenannte nonames, aber ihnen stehen die selben Rechte zu wie dem jetztigen Knaststar.
Insoweit riecht, nein stinkt das Ganze schon schwer nach Polittheater.
Genauso ist es, es stinkt das Ganze schwer nach Politiktheater.
Denn jeder sucht sich "seine" Opfer: Eine Regierung die inhaftierte ehemalige Regierungschefin, Aktivisten suchen sich Hungerstreikende im Nahen Osten, ganz woanders wurde über Jahre hinweg San Suu Kyi hoch gehalten.
Das Spiegelbild dazu ist der Artikel: Weil das alles Inszenierung sei (auch noch mit angeblichem Werbeauftritt), sei Frau Timoschenko gar kein Opfer und wer wisse schon, so der Subtext, wo die Hämatome herkommen. Wahrscheinlich geschminkt by Givenchy.
Hilfreich ist es dann eher, bei der Böll-Stiftung nachzulesen, etwa unter dem Stichwort "Kiewer Gespräche", was politische Verfolgung in der Ukraine bedeutet. Und was Kontusionen bedeuten, auch wenn sie einer Frau namens Timoschenko zugefügt werden.
Gute Opfer, schlechte Opfer. Unglaublich.
Da kann sich das eine (...) oder andere (...) Modelabel nur wünschen, dass Michail Borissowitsch Chodorkowski, bei seinem nächsten Gerichtstermin, den "richtigen Griff" in die Kleider- bzw. Accessoireschublade hat ..
Na ja, eine Frau, die mit schweren Schmerzen in einem Gefängnis liegen muss, und dort keinem Arzt traut, da denke ich ganz sicher auch nicht indirekt an Productplacement ;) Die wurde doch im Gasbusinessreich reich .. (?!) Also!
Selten so einen unwichtigen Schwachsinn gelesen!
Aber wenn man sonst nichts zu tun hat schreibt man schon mal Blödsinn. Man kann es aber auch lassen!
Da hat sie sicher irgendwas total abgefahrenes drin,
ein Iphone, Verhütungsmittel oder Hasenköttel vom Gefängnishof.
Warum spielen die Ärzte hier den Gesundheitspolizisten für Frau Timoschenko? Verständlich ist eigentlich nur, dass eine Tochter für ihre Mutter kämpft mit allen Mitteln. Ist es vermessen zu behaupten, dass sie in den Umbruchszeiten zur "Oligarchin" wurde und sicher hat sie ihre Reichtümer, wie man das eben als Oligarch so macht, ins Ausland verfrachtet. Eines haben sie alle schnell gelernt: in demokratischen Staaten lässt sich das Geld gut aufbewahren, Steuern spart man auch noch. Die Schweiz bietet nach wie vor die besten Konditionen. Zur Heldin taugt sie nicht.
Vor etwa einem Monat kam im Deutschlandfunk eine Sendung über sie, speziell über ihre Vergangenheit als eine mit Milliarden jonglierende Neoliberale in der Zeit der Unordnung, als amerikanische neoliberale Haie als Berater getarnt den Russen und Ukrainern zeigten, wie man Kohle macht, wenn der Staat zusammengebrochen ist. Verfasser war ein professoraler Ukrainespezialist, der die Sache beim Namen nannte. Da wurde mir schwindelig und ziemlich übel. Seither grüble ich darüber, warum unsere Regierung sie zur verfolgten Unschuld deklariert hat, aus Unkenntnis wohl nicht, denn wir haben doch ein Auswärtiges Amt und Nachrichtendienste, die die Realien doch kennen dürften. Vermutlich geht es darum Geld für eine gutnachbarschaftliche Zusammenarbeit zu sparen, was dieses Land nötiger braucht als Einmischung und Reibereien, damit die Lebensverhältnisse sich ein Stück weit verbessern könnten. So einfach ist Politik.
Nu ja, als Bandscheibenvorfall geplagtes Etwas - Hals und Lende - beneide ich Frau Timoschenko schon fast, wird ihr doch attestiert, was mir als schnöde Kassensuse verwehrt bleibt - SIE kann nur von der Charié behandelt werden. Ich meinerseits muss schon um Schmerzmittel kämpfen (und meistens selbst bezahlen) und dabei sitze ich (geschweige denn in der Ukraine) noch nichtmals im Knast sondern gehe blöd brav einer steuerpflichtigen Tätigkeit nach.
Sorry, Freunde, das ganze gemahnt mir an Schmierentheater - so ganz aus schmerzlicher Insidersicht gesehen. Ach ja - und falls mir so ein Brillenetuianbieter (halbblind bin ich auch) ein paar Werbedollars oder gar einen Kassentermin beim Orthopäden verschaffen möchte, nur zu- blaue Flecken sind da kein Problem!
Blöd nur, dass so Schafe wie meineeine so politisch (und finanziell, geschweige denn gesellschaftlich) so gar nicht relevant sind. Ob da ein Hungerstreik hilfreich wäre?
Timoschenko hat einfach die falsche Marke gewählt: Mein Brillenputztuch mit dem Aufdruck "Fielmann" ist auch schon mal beiläufig fotografiert worden. Das ist aber unverdächtig.
@ Susanne Lang: Interessant, dass mein Artikel bis hierher gekommen ist. Schön wäre es allerdings, besser zu recherchieren, bevor hier Mutmaßungen über meine Person angestellt werden. Rotarierin bin ich nicht, und wenn ich es wäre, was täte es zur Sache, "ed2murrow"?
Mit besten Grüßen
KJ
Hier ist übrigens mein Artikel vom 06.05.2012. Interessant, wie er auf dieser Seite verwendet wird, ohne Quellenangabe (der Bezug darauf ist nicht zu übersehen, Frau Lang)
ukraine-nachrichten.de/julia-timoschenko-italienischer-luxus-hinter-ukrainischen-gittern_3593_meinungen-analysen
Viele Grüße
KJ