Besser für alle

Initiative In Berlin machen die Bürger jetzt Druck, damit die Stadt fahrradfreundlicher wird. Ein überfälliger Schritt
Ausgabe 27/2016
Dass die Zukunft dem Fahrrad gehört, wusste schon E.T.
Dass die Zukunft dem Fahrrad gehört, wusste schon E.T.

Montage: der Freitag, Fotos: UAI/Imago, Yitao/iStock

Schuld sind die Kopenhagener Seen. Als den Politikern der dänischen Hauptstadt in den 1970ern einfiel, sie mit einer Autobahn zu überbauen, gingen die Kopenhagener auf die Straße. Die Oase der Erholung mitten in der Stadt mit Straßenlärm und Abgasen zerstören? Schnell traten die Protestler dafür ein, doch lieber verschiedene Verkehrsmittel zu fördern. Autos, öffentlichen Verkehr – und Fahrräder. Seither ist Fahrradfahren zu einem wichtigen Teil der dänischen Kultur geworden, mit dem sich das Land und seine Städte gern schmücken. Etwa 900 Kilometer legt jeder Däne im Jahr durchschnittlich mit dem Rad zurück, die Deutschen nur knapp 300 Kilometer.

In Berlin will das der Verein „Netzwerk Lebenswerte Stadt“ ändern. Die Gruppe hat eine Volksinitiative durchgebracht, und zwar mit enormem Erfolg. 105.425 Bürger haben innerhalb von weniger als einem Monat für den Antrag auf ein Volksbegehren unterschrieben, das dem Land Berlin ein „Gesetz zur Förderung des Radverkehrs“ bringen soll. Schon mit einem Fünftel der Unterschriften in der doppelten Zeit hätte sich die Politik mit dem Thema beschäftigen müssen, um möglicherweise einen Volksentscheid herbeizuführen.

Vorbild Kopenhagen

Für Anika Meenken vom ökologisch ausgerichteten Verkehrsclub Deutschland (VCD) hat die Hauptstadt viel Potenzial für den Radverkehr: „Berlin hat die besten Voraussetzungen für eine fahrradfreundliche Stadt. Es gibt breite Straßen, das Gelände ist flach, das Wetter oft gut, Radfahren gilt als hip, und Berlin ist eine Großstadt mit geringem Autobesitz“, sagt sie. Wenn man das Stadtbild von Berlin mit dem von Kopenhagen oder anderen dänischen Orten vergleicht, fällt allerdings ein Unterschied sofort ins Auge: Fast überall in der dänischen Hauptstadt gibt es Fahrradwege – und zwar keine schmalen Streifen, die vom Fußweg durch farbliche Markierungen abgezwackt wurden. In Kopenhagen gibt es an Hauptstraßen breite Spuren, die ein wenig höher liegen als die Autofahrbahn, daneben läuft ein noch einmal höherer Fußweg.

Laut „Fahrradklimatest“ des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs liegt Berlin auf Platz 30 der fahrradfreundlichen Städte in Deutschland. Der Pkw dominiert hier den öffentlichen Raum. Ihm werden 58 Prozent der Verkehrsflächen zugesprochen, dabei wird er nur für ein Drittel aller Wege genutzt. Das Fahrrad muss sich mit drei Prozent der Verkehrsfläche begnügen, obwohl mit ihm in Berlin fast 15 Prozent aller Wege zurückgelegt werden – eine Schieflage.

Das „Netzwerk Lebenswerte Stadt“ fordert deshalb zwei Meter breite Radwege an Hauptstraßen. Hier sieht auch Meenken Nachholbedarf. Den hat allerdings nicht nur Berlin, sondern auch der Bund. Der ist bisher nur für Radwege an Bundesstraßen und Bundeswasserstraßen sowie für das sogenannte „Radnetz Deutschland“ mit zwölf nationalen touristischen Radwanderwegen zuständig – der VCD fordert, dass der Bund auch andere Radwege zwischen verschiedenen Städten finanziert.

Allerdings warnt Meenken davor, der baulichen Infrastruktur zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Zwar zeigen Umfragen wie der Fahrrad-Monitor des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs, dass sich Radfahrer in den deutschen Städten unsicher fühlen – Radwege lösen das Problem aber nicht allein. „Man muss unterscheiden zwischen subjektiv gefühlter und objektiver Sicherheit“, sagt Meenken. Die meisten Radfahrer würden sich auf einem separierten Radweg wohler fühlen. Sicherer sei es aber eigentlich auf der Straße, weil man dort besser von Autofahrern gesehen wird. Deutlich werde das, so Meenken, bei den vielen Unfällen zwischen rechts abbiegenden Autos und geradeaus fahrenden Radfahrern. Deswegen sollen Radfahrer, wenn es nach ihr geht, zwischen Radweg und Straße wählen können.

Insgesamt muss sich dafür ändern, wie sich die Menschen in der Stadt von A nach B bewegen. Damit alle sicherer unterwegs sind, schlägt Meenken eine Regelung vor, die in den zehn zentralen Forderungen der Volksinitiative nicht drin ist: Tempo 30 als Standard in der Stadt. „Bei verlangsamtem Verkehr trauen sich mehr Radfahrer, auf der Straße zu fahren, denn Tempo 30 entschleunigt, fördert die Sicherheit durch kürzere Bremswege sowie geringere Aufprallgeschwindigkeiten und macht den Verkehr übersichtlicher“, sagt Meenken. Damit Berlin das konsequent umsetzen kann, muss allerdings erneut der Bund einspringen. Kommunen dürfen nämlich gar nicht überall 30er-Zonen ausweisen. Nötig wäre also eine Änderung der Straßenverkehrsordnung.

Eigentlich sollte die Bundesregierung Interesse daran haben, dass die Großstädter das Auto künftig stehen lassen. Die Klimabilanz des Verkehrssektors ist nämlich verheerend und steht den deutschen Klimazielen im Weg. Während der Treibhausgas-Ausstoß in Deutschland seit 1990 insgesamt um rund 28 Prozent zurückging, waren es im Bereich Mobilität nur knapp zwei Prozent. Seit 2005 gab es hier praktisch keinen Fortschritt mehr, zuletzt stieg der CO2-Ausstoß sogar wieder. Auch in der Landwirtschaft ist das so, ansonsten in keinem anderen Wirtschaftssektor.

Aber auch bevor der Bund tätig wird, kann Berlin als Kommune einiges machen. Noch längst nicht an allen möglichen Stellen gilt Tempo 30. Auch die „grüne Welle“ für Radfahrer können Kommunen selbst einrichten, die Ausrichtung der Ampelphasen an der Geschwindigkeit von Radfahrern. Außerdem könnte man den Autoverkehr reduzieren, indem man Parkgebühren erhöht oder das Autofahren in bestimmten Zonen verbietet. Nachbessern könnten Kommunen auch an scheinbar banalen Stellen: mit Fahrradständern an Verkehrsknotenpunkten, einer Schneeräumpflicht für Radwege, der Entfernung von Sichtblockaden an unübersichtlichen Kreuzungen.

Am 18. Juli hat das „Netzwerk Lebenswerte Stadt“ nun ein vertrauliches Gespräch mit dem Berliner Senat. Heinrich Strößenreuther, der die Volksinitiative mit auf den Weg gebracht hat, erhofft sich, dass die rot-schwarze Regierung sie als Auftrag annimmt. Der Senat hat bisher aber vor allem vor explodierenden Kosten gewarnt, dabei finden sich in der bestehenden Radverkehrsstrategie der Senatsverwaltung schon viele Punkte wieder, die das „Netzwerk Lebenswerte Stadt“ fordert. „Es fehlen dort allerdings klare Zielvorgaben: Bis wann wollen wir wo sein?“, kritisiert Strößenreuther. „Dann weiß man auch nicht, wie viele Mitarbeiter und welches Budget man braucht.“ Gerade das wäre wichtig: Auch Meenken vom VCD mahnt, viele Kommunen würden selbst das Geld, das ihnen jetzt schon zusteht, aus Unkenntnis oft nicht abrufen.

Es brauche deshalb die Verbindlichkeit über ein Gesetz, sagt Strößenreuther. Dafür sei die Volksinitiative mit ihrem durchschlagenden Erfolg ein guter Anlass. „Es ist politikstrategisch nachvollziehbar, dass der Senat beispielsweise zögert, aus manchen Parkplätzen Fahrradwege zu machen – da hat man bisher die Abwahl riskiert.“ Durch den bisherigen Erfolg der Volksinitiative sei jetzt aber klar, dass man „mit moderner Fahrradpolitik Wahlen gewinnen kann“.

Mitarbeit: Felix Werdermann

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