Die große Blockade

Protest Aktivisten wollen einen Tagebau besetzen. Doch manche Anti-Kohle-Gruppen sind skeptisch
Ausgabe 17/2016

Hunderte Menschen in weißen Maleranzügen laufen durch eine Mondlandschaft. Es ist August 2015 und in den Anzügen stecken Umweltschützer, die den rheinischen Tagebau Garzweiler stürmen. Der Energiekonzern RWE fördert hier in großem Stil Kohle, und die Aktivisten vom Bündnis „Ende Gelände“ wollen das durch Blockaden verhindern. Der zivile Ungehorsam ist erfolgreich: Kurzzeitig wird ein Riesenbagger lahmgelegt. Es ist ein Symbol gegen die Kohlenutzung, die den Klimawandel stark befeuert.

In diesem Jahr liegt der Fokus des Kohleprotests nicht im Rheinland, sondern in Deutschlands zweitem großen Kohlerevier: in der Lausitz, die sich vom südlichen Brandenburg bis nach Sachsen erstreckt. Über das Pfingstwochenende will Ende Gelände hier einen Tagebau besetzen. Zur gleichen Zeit findet auch das jährliche Lausitzcamp statt. In einem brandenburgischen Dorf treffen sich Klimaaktivisten aus ganz Deutschland, zelten für ein paar Tage, tauschen sich aus, demonstrieren. Dieses Jahr wird in Proschim gecampt, in der Nähe des Tagebaus Welzow. Würde die Grube wie geplant ausgebaut, müsste das Dorf den Baggern weichen.

„Wir sind jetzt in der heißen Phase der Planung“, sagt Hannes Lindenberg von Ende Gelände. Am vergangenen Wochenende hat in Hannover das letzte große Koordinierungstreffen stattgefunden. Rund 20 Busse werden im Mai aus verschiedenen Städten Deutschlands nach Proschim fahren, 20 weitere kommen aus dem Ausland. Die Nachfrage ist groß. Aus Stockholm und Freiburg wollen sogar so viele Aktivisten anreisen, dass noch weitere Mitfahrgelegenheiten gesucht werden. „Die Mobilisierung wird dadurch erleichtert, dass die Aktion letztes Jahr so erfolgreich war“, sagt Lindenberg.

Kippt die Stimmung?

Ziviler Ungehorsam ist ein neues Phänomen in der Lausitz. Viele Gruppen aus ganz Deutschland unterstützen den Aufruf von Ende Gelände, doch vor Ort gibt es auch Skepsis. Manchen Lausitzer Anti-Kohle-Initiativen ist die Aktion zu radikal. Sie fürchten, dass die Stimmung in der Region zu ihren Ungunsten kippen könnte, sollte es zu Auseinandersetzungen zwischen Umweltschützern und Polizisten kommen.

Das ist nicht ganz unbegründet: Im vergangenen Jahr machte die Besetzung von Garzweiler Schlagzeilen, nicht zuletzt wegen des riesigen Polizeieinsatzes mit Unterstützung von RWE-Sicherheitskräften. Was die Kohlegegner einen Akt zivilen Ungehorsams nannten, sahen RWE und Polizei als Hausfriedensbruch. Die Aktivisten kritisierten das Verhalten der Beamten als gewalttätig. Auch Journalisten berichteten später, von Polizisten verletzt, des Geländes verwiesen oder sogar gefesselt worden zu sein.

Werden solche Bilder auch in diesem Jahr zu sehen sein? „Eine Eskalation würde der Stimmung in der Lausitz nicht guttun“, sagt René Schuster vom Umweltbündnis Grüne Liga, das seit der Wendezeit gegen die Braunkohle in den ostdeutschen Bundesländern kämpft. Schuster hat das Gefühl, dass viele Lausitzer gerade umdenken: weg von der bloßen Sorge um den Arbeitsplatz und die Gelder, die die Braunkohle durch die Gewerbesteuern in die Gemeindekassen spült – und hin zum Strukturwandel. Aber selbst wenn es zur Eskalation kommen sollte: „Unsere langjährige Arbeit macht so eine einmalige Aktion nicht ungeschehen.“

Die Grüne Liga kämpfe derzeit vor allem mit juristischen Mitteln gegen die Braunkohle, erzählt Schuster. Sie klagt, teilweise mit anderen Umweltverbänden und Anwohnern gemeinsam, gegen die Ausbaupläne für die Tagebaue Nochten und Welzow, gegen den Ausbau der Bundesstraße 112, der den Tagebau Jänschwalde besser anschließen soll, gegen die Geheimhaltung von Umweltgutachten zu den Kohlekraftwerken.

Keine Gewalt

Dass zwischen den jungen, radikalen Aktivisten und den alteingesessenen Teilen der Bewegung hier und da noch Spannungen bestehen, weiß auch das Aktionsbündnis Ende Gelände. „Es stimmt, dass nicht alle bei unserer Aktion mitmachen wollen“, sagt Hannes Lindenberg. Um möglichst viele besorgte Menschen zu beruhigen, hat die Gruppe einen Aktionskonsens beschlossen, in dem ausdrücklich steht, dass während der Besetzung von den Aktivisten weder Gewalt gegen Menschen noch gegen die Infrastruktur im Tagebau ausgehen werde. Dieses Bekenntnis soll zeigen: Wenn die Situation eskaliert, dann nicht unseretwegen.

Die deutsche Klimabewegung wird in diesem Jahr auch internationaler. Ende Gelände ist Teil der Kampagne Break Free from Fossil Fuels der US-Umweltorganisation 350.org. In der ersten Maihälfte wird nicht nur in Deutschland demonstriert, auf der ganzen Welt sind zahlreiche Aktionen geplant, die sich gegen die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas richten.

Auch wenn die große Besetzung dieses Jahr in der Lausitz stattfindet: Im Rheinland geht der Widerstand gegen die Kohleförderung und -verbrennung ebenfalls weiter. Hier treffen sich Aktivisten im August zum Klimacamp und planen, wie sie die fossile Wirtschaft auf Trab halten – oder besser: vom Weitertraben abhalten.

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