Die rheinland-pfälzische Kleinstadt Bernkastel-Kues atmet Beständigkeit. 7.000 Einwohner, Fachwerkhäuser, die die Ufer der Mosel säumen, Berge und Wälder ringsherum. Niemand vermutet hier einen Uni-Campus, geschweige denn eine kleine Revolution. Doch genau die wollen ein paar Hochschullehrer und Studierende in dieser Idylle anzetteln. Genauer gesagt: eine Revolution der wirtschaftswissenschaftlichen Lehre.
Noch befindet sich die Cusanus-Hochschule in Bernkastel-Kues in Gründung, frühestens Ende 2014 entscheidet das Land Rheinland-Pfalz über die staatliche Zulassung. Eines ihrer wichtigsten Ziele aber steht schon jetzt fest: die „Monokultur im ökonomischen Denken“ aufbrechen, wie Silja Graupe sagt. Sie ist Mitgründerin und eine von zwei bereits berufenen Professoren der Hochschule in spe. Sie ist außerdem: Wirtschaftswissenschaftlerin, Philosophin und gern gesehener Gast, wenn kritische VWL-Studierende zu Podien und Ringvorlesungen laden. Das tun sie derzeit häufig, in Heidelberg, Köln, Leipzig und anderen Uni-Städten herrscht Aufruhr unter jungen Wirtschaftswissenschaftlern. Seinen Anlass kennt Graupe: „In unserer Disziplin dominiert weltweit eine standardisierte Lehre. Das ist nicht nur extrem einseitig und weltfremd, sondern hat gerade in den gegenwärtigen Krisen verheerende Auswirkungen auf die Praxis gezeitigt.“
Jene standardisierte Lehre ist die neoklassische Theorie: Ein stets rationaler Homo oeconomicus mit festgelegten Vorlieben trifft wirtschaftliche Entscheidungen, indem er all seinen Optionen präzise Wahrscheinlichkeitswerte zuordnet und dann die mit dem größten Nutzen wählt. Nicht schlüssig, finden die Kritiker, schließlich kommen in der Realität etliche Faktoren ins Spiel, die sich nicht mathematisch beschreiben lassen.
„Wir benötigen einen realistischen Blick auf die Welt, kritische Debatten und einen Pluralismus der Theorien und Methoden“, heißt es unter anderem in einem Aufruf der Internationalen Studierendeninitiative für Pluralität in der Volkswirtschaftslehre, dessen 65 Mitglieder aus 30 Ländern Mitte dieses Jahres viel mediale Aufmerksamkeit geerntet haben.
In Bernkastel-Kues soll dieser Pluralismus Realität werden. Zwei Bachelor-Studiengänge hat die neue Hochschule zunächst geplant: „Ökonomie und Unternehmensgestaltung“ und „Philosophie und Unternehmensgestaltung“. Beide sollen eine Lehre aus verschiedenen Blickwinkeln prägen: ökonomisches, kultur- und gesellschaftstheoretisches Wissen, auf dessen Fundament sich philosophische wie ethische Fragestellungen bearbeiten lassen. Es geht um mehr als schnöde Mathematik. Neoklassik würde natürlich auch gelehrt, sagt Graupe, „aber kritisch“.
Darauf hofft Florian Rommel inständig. Er hat früher Philosophy & Economics in Bayreuth studiert, es war vor allem eine Zeit des Wartens: „Wenn man in einer Welt mit globalen Problemen wie dem Klimawandel aufgewachsen ist, dann fragt man sich spätestens im fünften Semester: Wann kommen solche Fragen auf den Stundenplan?“ Mit Kommilitonen zusammen organisierte er vor drei Jahren eine Ringvorlesung zur eigentlichen Diversität der Wirtschaftswissenschaften und lud Silja Graupe nach Bayreuth ein. Ihr Publikum aus unzufriedenen Studierenden zeigte Graupe, dass das, was sie mit Mitstreitern plante, einen Nerv treffen könnte: die Gründung einer neuen Hochschule mit vielfältigen Perspektiven auf das Wirtschaften.
600 Euro Studiengebühren
Tatsächlich will Rommel nun in Bernkastel-Kues studieren, den Master „Ökonomie und Gesellschaftsgestaltung“. In ihm sollen die Studierenden ergründen, was die Ökonomisierung aller Lebensbereiche tatsächlich heißt: Wie gehen wirtschaftliche Strukturen auf andere Gesellschaftsbereiche über und wo sind Alternativen hierzu? Die Cusanus-Gründer wollen damit explizit Menschen für Führungspositionen in Verwaltung, Wirtschafts- und Politikberatung oder Wissenschaft ausbilden.
Neben Rommel und einigen anderen, die mit ihren bisherigen Studiengängen unzufrieden waren, gehören zum Kreis der Interessenten eine Germanistin, die einen Zukunftsroman schreibt, ein Maschinenbauer, der den wachstumskritischen Kongress Degrowth mitorganisiert hat, und ein Industriehandelskaufmann, der eine Unternehmensgründung in der Lebensmittelbranche hinter sich hat.
Derzeit belegen sie Kurse an der Kueser Akademie für Europäische Geistesgeschichte, einem Verein mit Sitz in Bernkastel-Kues, der zu Europas kulturellem und spirituellem Erbe forscht und unterrichtet. Der Verein gehört zu den 20 Gründungsstiftern des Hochschulprojekts, auch Graupe lehrt dort. Die Kurse sind ein Vorgeschmack auf das, was die Cusanus bieten soll: neue Lehrformen statt Frontalunterrichts und Bulimie-Lernen. „Wir haben ausschließlich Seminare“, sagt Rommel. Persönlichkeitsbildung und soziale Verantwortung stünden im Zentrum der Kurse. Außerdem sollen Rommel und seine Kommilitionen an Forschungsprojekten mit selbst konzipierten, gesellschaftsrelevanten Themen arbeiten.
Die Forschungsfragen sollen die Studierenden selbst entwickeln und dabei mit Stiftungen und der Wirtschaft zusammenarbeiten. Auf diese ist die private Hochschule in spe nicht nur ideell angewiesen. Einen privaten Hauptsponsor, der sich so Einfluss erkaufen könnte, schließt Graupe zwar kategorisch aus. Stattdessen sollen verschiedene Unternehmen Geld in einen Fonds der Hochschule einzahlen, aus dem diese dann Stipendien vergeben kann.
Denn das Studium an der Cusanus wird nicht billig sein: 600 Euro im Monat können viele nicht aufbringen; ihnen sollen die eingeworbenen Stipendien helfen. So will die Hochschule verhindern, ein bloßes Elitenprojekt für Vermögende zu werden. Wenn alle Studiengänge aufgebaut sind, rechnen die Hochschulgründer mit 300 Studierenden. Bernkastel-Kues bekommt also einen Campus, der den lokalen Dimensionen angemessen ist.
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