Aktion, Redaktion und die Grenze

Medien „Müssen Medien eine Haltung haben?“ war die Frage im Berliner Mediensalon am Abend des Frauentags. Und wo ist die Grenze zwischen Haltung, Aktionismus und Parteilichkeit?

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Seit Jahren veröffentlicht die Tageszeitung taz zum Internationalen Frauentag am 8. März eine „Frauentaz“, in diesem Jahr mit einem Schwerpunkt zum „Unrechtsparagraf“ 218. Die Moderatorin der Online-Diskussion, Susanne Lang von #mekolab, hatte darum gleich die passende Einstiegsfrage zum Thema „Aktivisten an Bord: Müssen Medien eine Haltung haben?“ für die taz-Chefredakteurin Barbara Junge: Warum die eindeutige Parteinahme in dieser Frage?

Gerade die Frauentaz sei ein gutes Beispiel für das Selbstverständnis der taz seit ihrer Gründung, erklärte Junge. „Das Neutralitätsgebot ist bei uns in der Redaktion nicht groß aufgehängt.“ Die taz schreibe für eine bestimmte Community, wolle Missstände aufgreifen und Position beziehen. Das sei aber auch innerhalb der taz - und der Community, etwa beim Thema Corona - nicht immer unumstritten. Zum Journalismus der taz gehöre eine Haltung, nicht aber das Schielen nach Clicks durch die Auswahl der Themen. Man versuche, auch der eingeschworenen Leserschaft Unerwartetes zu bieten.

Das Klima war der taz ebenso eine spezielle Ausgabe wert wie dem STERN, der dafür mit „Fridays for Future“ zusammenarbeitete. Stefan Müller, Kommunikationschef bei Vattenfall, fand daran nichts auszusetzen, wenn es professionell gemacht und sauber recherchiert sei. Ihn störe es vielmehr, wenn die Energiepolitik nur in Zyklen Aufmerksamkeit finde und dann wieder jahrelang in der öffentlichen Versenkung verschwinde. Er wünsche sich mehr kontinuierliche Aufmerksamkeit in den Redaktionen für Klima- und Energiefragen. Für eigenen Aktionismus seitens seiner Presseabteilung hätten sie gar nicht mehr genug Personal und seien froh, die laufenden Anfragen beantworten zu können. Er sehe allerdings eine Gefahr darin, dass Themen wie Energie und Klima „vom linken und rechten Rand geentert“ würden für andere politische Zwecke.

Wer Berichte über die Klimafrage mit Aktionismus verwechsele, habe das Thema nicht richtig verstanden, erklärte Sara Schurmann, Redaktionsleiterin beim Magazin „Ozon“ des Online-Jugendsenders „funk“. Deshalb habe sie alle Kolleg*innen in einem „Offenen Brief“ gebeten, die Klimakrise endlich ernst zu nehmen. Wie könne man bei einer lebensbedrohlichen Frage neutral sein? Es sei notwendig, das Thema durch Aktivitäten wie von taz und STERN wieder in die öffentliche Wahrnehmung zu bringen. Da sei es nicht hilfreich, wenn der politische Journalismus alle Stellungnahmen zur Klimapolitik, ob sinnvoll oder nicht, einfach nebeneinander stelle.

Er habe ein Problem damit, „wenn Redaktionen mit Vorsatz die Grenze zur Aktion überschreiten“, meinte Stefan Reker, Geschäftsführer Kommunikation beim Verband Privater Krankenkassen. Die taz habe da in seinen Augen eine gewisse „Narrenfreiheit“ seit ihrer Gründung. Aber wenig Spaß hatte ihm hörbar die Petitions-Aktion zur Pflege vom STERN im Februar 2021 gemacht, die ihn beruflich betraf. Diese bezeichnete er als „willkürliche“ und „selbstgemachte politische Provokation“, weshalb er die Zeitschrift bei diesem Thema „nicht mehr ernst nehmen“ könne. Als ehemaliger Journalist sehe er die Medien in der Hauptverantwortung für die Pluralität im Meinungsstreit. Auch bei „früheren lebenswichtigen“ Themen wie der Nachrüstung sei heftig gestritten worden. Redaktionen wären aber nicht zu Aktivisten geworden. Wobei Jupp Legrand von der Otto Brenner Stiftung darauf aufmerksam machte, dass ungeachtet aller früheren, durchaus harten Kontroversen in sehr gegensätzlich ausgerichteten Medien heute die „asozialen“ Medien mit ihren Möglichkeiten zur „Polarisierung und Radikalisierung der Diskurse“ dazukämen.

Bevor sich die Diskussion der geforderten Pluralität in den Medien zuwenden konnte, hatte Organisator Christoph Nitz von mekolab/mekofactory erst einmal damit zu tun, „Trolle“ daran zu hindern, die Diskussion mit Hilfe der sowjet-russischen Hymne zu übertönen. Akustisch leiser, aber nicht weniger lebhaft ging es dann in der Diskussion vor über 40 Zuhörer*innen um den beobachteten oder behaupteten Linksschwenk im Journalismus.

Jüngster Auslöser der Debatte war eine zunächst intern gedachte Umfrage unter Volontär*innen in der ARD, die von der Medien-Plattform „Übermedien“ als aufgebauscht skizziert und vom Leipziger Professor für Kommunikationsmanagement, Christian Hoffmann, als nichts Neues charakterisiert wurde. Dass die behauptete „Linksverschiebung“, so Lang, ein Grund für mehr Aktivismus sei, verneinte Hoffmann. Den gebe es schließlich auch von rechts. Wenn einzelne Verlage und Redaktionen bestimmte Haltungen hätten, also die Mesoebene, wie er es nannte, sehe er auch noch kein Problem. Wenn eine solche Einstellung allerdings auf der Makroebene der professionellen Medienlandschaft vorherrsche, dann schon. Wenn sich dann enttäuschtes konservatives Publikum seine „Leitmedien“ bei weniger professionellen, Fake News eher zugeneigten rechten „Laienmedien“ suche, „dann haben wir einen Qualitätsverlust“, so der Professor. Dann steige die Anfälligkeit für Missinformation und „Aufreger“.

Schurmanns Frage, ob FAZ, Welt und Bild denn nicht konservativ genug seien für dieses Publikum, beantwortete Hoffmann mit dem Hinweis auf ein „eklatant“ niedrigeres Medienvertrauen auf der rechten Seite gegen oft so genannte Mainstream-Medien. Die Vorwürfe gegen die Medien bauten sich meist an wenigen, zunächst oft die Gesellschaft überraschenden Ereignissen wie etwa der Zuwanderung 2015 oder jetzt der Pandemie auf, bei der eine ziemlich homogene, akademische Journalistenschaft ein zunächst relativ homogenes Bild vermittle und differenzierte Töne erst allmählich ein setzten. Er sei deshalb für mehr Diversität bei jungen Journalist*innen, nicht nur nach Migrationshintergrund oder Gender, sondern auch durch unterschiedliche Sozialisierungen und Ausbildungswege.

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#Mediensalon ist eine Kooperation von Deutscher Journalistinnen- und Journalisten-Union dju in ver.di, Deutschem Journalistenverband DJV Berlin – JVBB e.V. und #mekolab, unterstützt von Landau Media und der Otto Brenner Stiftung.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Susanne Stracke-Neumann

Susanne Stracke-Neumann ist freie Journalistin. Für die meko factory berichtet sie über Veranstaltungen.

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