„Die Öffis müssen cool werden“

Verkehr Nicht überall auf der Welt gelten öffentliche Verkehrsmittel als alt, müffelnd und teuer. Eine Veranstaltung zur urbanen Mobilität der Zukunft beleuchtete das Problem

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95 Prozent der Zeit stehen Autos im Individualverkehr ungenutzt herum
95 Prozent der Zeit stehen Autos im Individualverkehr ungenutzt herum

Foto: Joe Raedle/Getty Images

In Europa gelten öffentliche Verkehrsmittel oft als „alt, müffelnd und teuer“, in Asien dagegen habe der Öffentliche Personennahverkehr ÖPNV den Ruf „cool und effizient“ zu sein. Mit einer „Easy-Card“ könnten in manchen asiatischen Städten alle Mobilitätsdienstleistungen bezahlt werden, erklärte der Digitalexperte Sascha Pallenberg, der in Taiwans Hauptstadt Taipeh gerne die U-Bahn nutzt, eines von wenigen Metrosystemen weltweit, die profitabel arbeiten. In den sehr viel dichteren asiatischen Ballungsräumen sei der ÖPNV schon lange konsequent erweitert und mit einem positiven Image beworben worden. Das müsse in Europa erst aufgebaut werden, so der Digitalexperte in der Diskussion „Urbane Mobilität der Zukunft – Digitalisierung als Grundlage der Stadt von morgen“, zu der das Netzwerk „Young + Restless“ und der Debattenraum „Basecamp“ eingeladen hatten.

Begrüßt wurden die rund 65 Zuhörer*innen von Nicole Nehaus-Laug von Telefónica Deutschland, die darauf hinwies, dass heute schon über drei Milliarden Menschen in Städten lebten, Tendenz stark steigend, und der Architektin Kristina Jahn von den Berliner Wirtschaftsgesprächen, die Berlin charakterisierte als „eine Stadt, die zuwächst und unter Wachstumsschmerzen leidet“.

In seinem Eingangsreferat über nachhaltige und postfossile Mobilität skizzierte Professor Stephan Rammler vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung in Berlin die zu beobachtenden Megatrends: Bevölkerungswachstum, größere urbane Räume und eine wachsende Raumkonkurrenz, die besonders auch die Mobilität betreffe. Gerade der Automobilverkehr habe einen großen Raumverbrauch, nicht nur durch rollende, sondern vor allem durch parkende Autos.

Autoindustrie als Aushängeschild

Die Zeit des Abstandhaltens habe dem Auto eine echte Renaissance beschert, jedoch auch dem Fahrrad zu einem stark gewachsenen Prestige samt städtischer Beachtung in Pop-Up-Radwegen verholfen. Während der Pandemie sei die Gewöhnung an digitales Agieren gewachsen. Das müsse künftig zu mehr Vernetzung verschiedener Verkehrsarten führen, zu einer größeren Beachtung der „ersten und letzten Meile“ in der Verkehrsplanung, die auch durch den wachsenden E-Commerce mit seinem Lieferverkehr an Bedeutung gewonnen habe. Ein neuer „Verkehrsträger“ werde nach der Corona-Zeit bleiben, die Cyberwelt. Auch wenn persönliche Kontakte und Reisetätigkeit wiederauflebten, werden Homeoffice, Homeschooling, Telemedizin und ähnliches nicht wieder gänzlich verschwinden, prophezeite Rammler.

Rammler griff das gesellschaftlich positive Bild des öffentlichen Verkehrs, das Pallenberg gezeichnet hatte, auf. In Deutschland würden die Autoindustrie und der Individualverkehr viel zu sehr als industrielles Aushängeschild betrachtet, obwohl hier auch renommierte Züge und Busse für die Öffentlichen Systeme hergestellt werden. Das sei zu wenig als Pluspunkt im politischen Bewusstsein verankert.

Die Digitalisierung in der Pandemie ist für Kerstin Haarmann vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) zum „Game-Changer“ geworden. Sie habe gezeigt, dass Verhaltensänderungen etwa durch Online-Konferenzen und mehr Beachtung wissenschaftlicher Erkenntnisse möglich seien. Dies müsse nun auch auf die Fragen der Klimakrise übertragen werden. Damit die Menschen mehr Auswahl in der Mobilität haben, müsse der ÖPNV besser werden und der Platz in den Städten zugunsten von Fußgängern und Radlern anders verteilt werden. Weniger Geschäftsreisen erwartet auch Gerald Huber, Senior Manager beim 5G-Programm von Telefónica, in der Zukunft, auch wenn persönliche Kontakte online nicht zu ersetzen seien. Der Ausbau des 5G-Netzes werde aber schon in den nächsten zwei Jahren zumindest in den urbanen Räumen neue Möglichkeiten der Vernetzung eröffnen.

Für Philipp Schröder, ehemaliger Deutschland-Chef von Tesla, jetzt bei der Fondsberatung CAPinside und in der Hamburger Verkehrspolitik als CDU-Mitglied engagiert, ist die Hauptfrage der urbanen Mobilität der Zukunft die gewaltige Strommenge, die für einen Ausbau der E-Mobilität gebraucht werde – nicht nur für den Privat-, sondern auch für den Schwerverkehr, die Binnenschifffahrt, die Wasserstofftechnik. Der Strommarkt werde sich „verdoppeln und verdreifachen“, die Tarife müssten flexibilisiert und die Strom- wie Schienentrassen ausgebaut werden. Dafür sei eine Forcierung der Infrastruktur in den kommenden ein bis zwei Dekaden notwendig, die nur durch eine Art „Marshall-Plan“ geleistet werden könne.

95 Prozent der Zeit: Stillstand

Christoph Weigler von Uber in Deutschland, Österreich und der Schweiz, griff die bereits angesprochene ungünstige Verkehrsbilanz von Pkws auf, die 95 Prozent der Zeit nur „rumstehen“. Er beschrieb die Möglichkeit, mehr Menschen vom ÖPNV zu überzeugen, in einer Kombination mit mit flexibleren Uber-Fahrzeugen, die auch mehrere voneinander unabhängige Personen gleichzeitig befördern, also „poolen“ könnten und Randzeiten bedienen. Viele Entwicklungen würden jedoch durch das Beförderungsgesetz auch in seiner Neufassung behindert, etwa durch die „antiquierte Rückkehrpflicht“, kritisierte der Konkurrent der herkömmlichen Taxis. Über die Beziehung Ubers zu „seinen“ Fahrern, die auch manchem potenziellen Kunden die Fahrfreude beeinträchtigen könnte, wurde an diesem Abend nicht gesprochen.

Werden Drohnen die Zukunft der Mobilität bestimmen? Das fragte Moderatorin Jana Kugoth vom Tagesspiegel Background Mobilität und Transport den spät hinzugekommenen CDU-Bundestagsabgeordneten Thomas Jarzombek, Beauftragter des Kabinetts für Luft- und Raumfahrt und des Wirtschaftsministeriums für Digitale Wirtschaft und Start-Ups. Drohnen oder Flugtaxis werden nach Auffassung Jarzombeks kaum den allgemeinen Transport- oder Pendlerverkehr bestimmen, sondern eher Spezialtransporte übernehmen. Er begrüßte den Trend zum Rad und sieht in selbstfahrenden Autos eine Möglichkeit, Car-Sharing wieder interessanter zu machen. Eine gesetzliche Grundlage für autonomes Fahren zu schaffen, hält er noch in dieser Wahlperiode für möglich.

Ein Problem für einen besser vernetzten Verkehr, so Jazombek, sei die „Kleinstaaterei“. Es sei unglaublich schwer, regionale Verkehrsverbünde von einem Datenaustausch für gemeinsame Verkehrs-Apps mit anderen, als Konkurrenten angesehenen Anbietern zu gewinnen. Auch Pallenberg zeigte sich überzeugt: Durch ein verbessertes gemeinsames Angebot würden alle profitieren. Insgesamt wünsche er sich in Deutschland mehr Respekt vor einer guten Infrastruktur.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Susanne Stracke-Neumann

Susanne Stracke-Neumann ist freie Journalistin. Für die meko factory berichtet sie über Veranstaltungen.

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