Diskriminierung in Medienhäusern

Journalismus Machtmissbrauch, Diskriminierung und Sexismus am Arbeitsplatz gibt es in jedem Beruf. Der Mediensalon „#MeToo im Journalismus“ widmete sich diesmal der eigenen Branche.

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Nachdem die Vorwürfe gegen den BILD-Chefredakteur Julian Reichelt bekannt wurden, waren die Themen „toxische Führungskultur“, Sexismus, Machtmissbrauch und Diskriminierung wieder in der öffentlichen Debatte. Die Journalistinnen Eva Hoffmann und Pascale Müller hatten aber das Gefühl, die Diskussion werde auf den Springer-Verlag verengt und wollten es genauer wissen. Innerhalb einer Woche meldeten sich 189 Journalist*innen auf ihre Umfrage, zu drei Vierteln Frauen, die über ihre Erfahrungen in dieser Hinsicht berichteten. Mit 25 Personen haben die beiden Autorinnen der Titelgeschichte des Medium-Magazins 2/2021 ausführlich gesprochen. Alexander Graf, Chefredakteur des Magazins, schrieb im Vorwort zu dieser Ausgabe: „Ich war selten nach einer Lektüre so wütend und frustriert.“

Im Berliner Mediensalon „#MeToo im Journalismus“ wollte es Moderatorin und dju-Bundesvorsitzende Tina Groll, selbst Wirtschaftsredakteurin bei ZEIT Online, von den beiden Journalistinnen und dem Chefredakteur genauer wissen und hatte zur Diskussion auch Tagesspiegel-Redakteurin und Betriebsrätin Judith Langowski sowie den ehemaligen Richter am Bundesgerichtshof und pointierten Kolumnisten Thomas Fischer eingeladen.

Erst der #Aufschrei, dann die #MeToo-Debatte, das Thema Sexismus ist seit Jahren in der Diskussion. Geändert habe sich seither aber, so Hoffmann, die Art darüber zu sprechen. Es habe ein Bewusstseinswandel stattgefunden. Ihre Co-Autorin, die schon 2018 zu Sexismus-Vorwürfen in der Redaktion des Tagesspiegels recherchiert hatte, fügte hinzu, es seien inzwischen Ombuds- und Beschwerdestellen eingerichtet worden, an die sich Betroffene wenden könnten. Ob es aber ein gutes Zeichen sei, wenn bei diesen Stellen keine Beschwerden eingingen, oder eher ein Zeichen von Misstrauen auch diesen Ombudspersonen gegenüber, oder schlicht Unkenntnis der Möglichkeiten, blieb eine offene Frage in der Diskussion. Dass es den strukturellen Sexismus noch gebe, bejahte Langowski auf Grolls Frage, das verändere sich nicht durch einige Berichte und beträfe auch nicht nur die Medien und ihre Redaktionen. Aber in den Medien herrsche gerade für Berufsanfänger*innen eine besondere Situation der Prekarität und der Abhängigkeit von Vorgesetzten oder Auftragsvergaben.

Auch Männer seien von toxischer Führungskultur, Mobbing, Sexismus und Diskriminierung betroffen, wies Graf auf die Umfrage der beiden Autorinnen hin, bei der sich zu einem guten Viertel Männer gemeldet hatten. Es gehe hier insgesamt um ein Problem der Führungskultur. Allerdings seien die Personen in den Führungspositionen in den Redaktionen nach wie vor meist Männer. Er habe nach dem Bericht mit vielen Kolleg*innen gesprochen. Viele hatten die Eindrücke aus der Titelgeschichte bestätigt, bisher aber nicht in ihren Häusern zur Sprache gebracht. Warum herrsche in der Branche so „ein lautes Schweigen“, wie es Hoffmann und Müller genannt hatten, wollte Groll wissen. Hoffmann wies, wie schon Langowski, auf die Abhängigkeit der Berufseinsteiger*innen hin, die in entsprechenden Situationen auch mit dem Hinweis auf künftige Karrierechancen zum Verstummen gebracht würden. Wieweit Einschüchterungen aller Art die Themensetzung beeinflussen, ist eine Frage, die zu beachten, aber schwierig nachweisbar zu beantworten ist.

Die meisten Fälle, um die es in der Diskussion gehe, warf der Jurist Fischer ein, seien Fragen der Umgangsformen, Straftaten seien natürlich auch in Redaktionen entsprechend zu verfolgen. Der „Alltagssexismus“ ließe sich so juristisch jedoch meist nicht fassen. Er rezipiere viele Medien und frage sich, ob Fälle von Sexismus wirklich zunähmen, oder ob sie derzeit mit mehr Empörung wahrgenommen und beschrieben würden. Er könne sich bei der gegenwärtigen Sensibilisierung für das Thema kaum vorstellen, dass die Zahlen der Übergriffe größer würden.

"40 über 40"

Dass es auch Diskriminierung durch Übersehen gebe, wurde an Graf als Thema auch herangetragen: Er solle doch mal statt nach den „besten 30 unter 30“ lieber nach den „erfolgreichsten 40 über 40“ suchen, wurde Graf für das Medium Magazin vorgeschlagen. Denn dann würde die Karrierezäsur bei Frauen mit Kindern deutlich. In der Babypause gehe das „Buddy-Gefühl“ in der Redaktion verloren. Frauenförderung wie die Suche nach mehr Herkunfts-Diversität für die Redaktionen seien oft nur wohlfeile Lippenbekenntnisse, so die Beobachtungen, die den Chef des Branchenmagazins erreichen.

Umstritten war der Nutzen des Genderns: Ob „diktatorische Kultur der Sprachverhunzung“ (Fischer), freiwilliger Gebrauch, wie es Langowski für den Tagesspiegel reklamierte, Ausdruck von Sensibilisierung und Bewusstsein oder schlicht eine Frage der Gewöhnung, wurde ebenso unterschiedlich erlebt, wie die Auswirkungen des Homeoffice während der Pandemie für die künftige Zusammenarbeit. Für Tina Groll bietet diese Erfahrung eine Chance, über die künftige Gestaltung der Arbeitssituation neu nachzudenken.

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#Mediensalon ist eine Kooperation von Deutscher Journalistinnen- und Journalisten-Union dju in ver.di, Deutscher Journalistenverband DJV Berlin – JVBB und #mekolab, unterstützt von der Otto Brenner Stiftung und Landau Media. Die Übertragung übernahm die taz kantine.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Susanne Stracke-Neumann

Susanne Stracke-Neumann ist freie Journalistin. Für die meko factory berichtet sie über Veranstaltungen.

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