„ Wenn man nicht Teil einer Gemeinschaft sein will, ist man da falsch“

Franchise Ein Franchise-System ist für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ein ungewohnter Gedanke. Kann eine „Systempraxis“ von administrativen Aufgaben entlasten, mehr Zeit für Patient*innen und eine bessere Work-Life-Balance ermöglichen?

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Antworten auf diese Fragen zu geben, war das Ziel der Online-Konferenz von ETL Advision und dem Deutschen Franchiseverband: „Franchise für Ärzte – Neue Wege für das Gesundheitswesen“. ETL, selbst ein Verbund aus Selbstständigen in Steuerberatung und Recht, von denen sich über 100 auf das Gesundheitswesen spezialisiert haben, wolle mit dieser Konferenz „einen Beitrag zur Innovation im Gesundheitswesen leisten“, erklärte Marc Müller vom ETL-Vorstand. Torben Leif Brodersen vom Franchiseverband skizzierte Franchise in seiner Begrüßung als eine moderne Form der Kooperation, die bei Pflegediensten und Physiotherapeuten schon etliche Anhänger habe und auch bei Arztpraxen durch Arbeitsteilung Vorteile bieten könne. Die Veranstaltung solle die Diskussion über Franchisemodelle auch in der Ärzteschaft anstoßen. Gerade für Praxisgründer seien Franchise-Modelle eine große Hilfe beim Weg in die Selbstständigkeit, meinte Janine Peine von ETL Advision, wobei die ärztliche Unabhängigkeit gewahrt bleibe.

Vorgestellt wurden zwei unterschiedliche Systeme, die beide aus der beruflichen Situation der gründenden Ärzte entstanden. Der Hausarzt Dr. Sami Gaber konnte in die väterliche Praxis einsteigen, „mit alter Technik und festgefahrenen Strukturen“. Sein Vater hatte rund 1400 Patienten versorgt, Gaber baute das Team auf drei Ärzte und neun medizinische Angestellte aus, die Patientenzahl stieg in derselben Praxis auf 5000. Eine bessere Kommunikation des Teams untereinander, auch in digitalisierter Form, wurde notwendig: „Wir waren zur Prozessoptimierung gezwungen.“

Fremd-Software bot nicht das Gewünschte, eigene Entwicklungen und eine Cloud-Struktur führten zu einem für die Praxis optimalen System, mit weniger Wartezeiten, umfassenderer Betreuung und standardisierten administrativen Vorgängen. Unter dem Namen „Docport“ ist dies seit wenigen Jahren als Franchise-System im Angebot und beginnt sich unter den Hausärzt*innen ohne eigene Marketing-Bemühungen zunehmend herumzusprechen, berichtete Gaber. Bei „Docport – Deine Hausarztpraxis“ stehe die jeweilige Arztpraxis im Vordergrund, nicht das System.

Einen anderen Weg ist der Augenarzt Dr. Kaweh Schayan-Araghi gegangen. Aus mehreren Gemeinschaftspraxen wurde eine Laserklinik aufgebaut. Als sich einige der Älteren zurückziehen wollten, entstand die Idee zur Artemis-Unternehmensgruppe, einem Verbund von rund 300 Mediziner*innen in Augenarztpraxen und OP-Zentren in Deutschland und der Schweiz. Sie arbeiten nach einem einheitlichen System, auch mit angestellten Ärzt*innen. Schayan-Araghi versteht sich dabei als „Arzthelfer“, wie er selbst sagt. Das Geschäftskonzept bei Artemis sei Wissenstransfer.

Sowohl er wie Gaber hoffen mit ihren Angeboten den Einstieg in den selbstständigen Arztberuf zu erleichtern, denn beide sehen eine strukturelle Unterversorgung im jeweiligen Fachgebiet. Von den 55.000 Hausärztinnen und -ärzten sei ein gutes Drittel bereits in oder nahe dem Rentenalter und suche dringend nach Nachfolger*innen. Die Zahl der Medizinstudierenden ist offenbar nicht das Problem, sondern die Neigung, den bürokratischen Aufwand und die hohe Belastung der eigenen Praxis auf sich zu nehmen. Die Zahl der angestellten Ärzt*innen steige. Die Work-Life-Balance und die Familienarbeit haben einen anderen Wert in der jungen Generation gewonnen. „Die Medizin ist weiblich“, meinte Janine Peine im Hinblick auf die Studierendenzahlen. Gerade für Frauen biete ein Franchise-System Vorteile, um Familie und eigene Praxis unter einen Hut zu bekommen.

Der Patientenstamm und die ärztliche Verantwortung blieben bei einer Systempraxis unangetastet, erklärte Rechtsanwalt Lars Lindenau, der für seine Kanzlei selbst die Vorteile des ETL-Verbunds nutzt, zum Beispiel bei neuen gesetzlichen Anforderungen wie dem Datenschutz. Auch bei Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) seien Systempraxen möglich.

Ob als Franchise-Geber oder –Nehmer, „ohne Team-Kompetenzen geht es nicht“, sagte Brodersen. Franchise-Systeme sollten zusammen weiterentwickelt werden und sind nichts für Eigenbrötler. Das müssten beide Parteien akzeptieren, bevor sie sich auf einen solchen Weg machen. Franchise habe sich als „praxistauglich“ im Gesundheitswesen entwickelt, erklärte im doppelten Wortsinn Sabine Krämer von ETL Franchise-Systeme, und könne die Risiken einer Niederlassung minimieren. Sieben Schritte für erfolgreiche Franchise-Geber beziehungsweise Nehmer erläuterten Waltraud Martius, Syncon International Consultants und Ehrenvorsitzende des Österreichischen Fanchiseverbands, sowie Arne Dähn vom Qualitätsmanagement des Deutschen Franchiseverbands, der einen Leitfaden zum „Social Franchising“ veröffentlicht hat.

Martius ist Autorin unter anderem von „Fairplay Franchising – Spielregeln einer erfolgreichen Partnerschaft“. Sie erläutete, dass es rund ein Jahr dauere, bis ein tragfähiges Franchise-System entwickelt sei. Gute Franchise-Systeme bereiteten ihre künftigen Nehmer*innen auch mit Informationen für die Kreditanfrage bei der Bank vor. Dähn unterstrich, wie wichtig die Klärung des eigenen Rollenverständnisses für einen möglichen Franchise-Nehmer ist und riet dringend, das soziale Umfeld in die Entscheidung einzubinden. Spätere Konflikte seien sehr häufig „emotionsbedingt“.

In der Pandemie hätten die Franchise-Unternehmen eine besondere Resilienz gezeigt, beantwortete Dähn die Frage von Moderator Hauke Gerlof, stellvertretender Chefredakteur der „Ärzte-Zeitung“. Das bestätigte auch Martius, die bei den jetzt stattfindenden Frühjahrstagungen verschiedener Franchise-Verbände immer wieder höre: „Miteinander haben wir es besser geschafft“. Martius sieht die Akzeptanz von Franchise-Systemen auch als eine Generationenfrage, die Jüngeren seien dafür offener. Aber eines sei ganz klar: „ Wenn man nicht Teil einer Gemeinschaft sein will, ist man da falsch!“

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Nächste Online-Veranstaltung von ETL Advision "Franchise und Systempraxen im Gesundheitswesen - erste Schritte für Ärzte, Zahnärzte und weitere Gesundheitsberufe" am 21. April 2022, 10.30-12 Uhr.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Susanne Stracke-Neumann

Susanne Stracke-Neumann ist freie Journalistin. Für die meko factory berichtet sie über Veranstaltungen.

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