Einsatz gegen gesellschaftspolitischen Stillstand

Gleichberechtigung Die Grüne Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer kämpft für queere Rechte und gegen Diskriminierung, für mehr erneuerbare Energien und gegen fossile Abhängigkeit und Atomkraft.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Tessa Ganserer sitzt für die Grünen im Bundestag
Tessa Ganserer sitzt für die Grünen im Bundestag

Foto: John MacDougall/AFP via Getty Images

„Makaber“ nannte es Tessa Ganserer, seit 2021 Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, als Gast in der Reihe „bwg Sitzungswoche – Sprechstunde“, dass in Deutschland ein „Streckbetrieb“ von zwei Atomkraftwerken nötig werden könnte, weil in Frankreich reihenweise AKWs aus Sicherheitsgründen und wegen Mangel an Kühlwasser ausgefallen sind.

Der endgültige Atomausstieg Deutschlands komme 2023 aber auf jeden Fall, erklärte Ganserer im morgendlichen Gespräch mit Alice Greschkow am 28. September 2022 in der Ständigen Vertretung (StäV). Ganserer ist Mitglied im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Umwelt- und Naturschutz sowie Atomkraft gehören zu den Gründen für Ganserers politisches Engagement bei den Grünen. Geprägt von den Folgen des Tschernobyl-Atomunfalls und der Diskussionen um das Waldsterben trat die im Bayerischen Wald aufgewachsene Forstwirtin und studierte Forstwissenschaftlerin mit Anfang 20 den bayerischen Grünen bei. Heute ist die offen transgeschlechtlich Lebende die Abgeordnete von Nürnberg-Nord und engagiert sich für die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre.

Ganserer interessierte sich zunächst für die Landespolitik und setzte sich gegen die Sparpläne der bayerischen Forstreform und für eine bessere Bildung ein. Von 2013 bis zur Bundestagswahl im vergangenen Jahr saß sie im Bayerischen Landtag und arbeitete an der grünen Mobilitätspolitik mit, und hier aus eigener Erfahrung vor allem für eine bessere Erreichbarkeit ländlicher Räume. Nach der Wahl empfing sie in Berlin „ein gigantisches Medieninteresse“, das sie aber auch in Bayern schon erlebte hatte, als sie 2018 ihre Transidentität öffentlich machte.

Schon als bayerische Abgeordnete erreichte sie Post aus dem Wahlkreis zu allen Themen, auch zu denen, auf die sie sich fachlich nicht spezialisiert hatte. Seit ihrem Einzug in den Bundestag haben sich die Zuschriften verhundertfacht und kommen aus dem ganzen Bundesgebiet, berichtete sie in der StäV.

Trotz des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine, der auch mit seinen Folgen für die Energieversorgung einen Großteil des Medieninteresses bestimme, gehe die Arbeit an anderen wichtigen Themen unvermindert weiter. Ganserer nannte vor allem das geplante Selbstbestimmungsrecht und den Einsatz für mehr Gleichberechtigung und weniger Diskriminierung für queere Menschen. Die 16 Jahre konservative Regierung „waren ein gesellschaftspolitischer Stillstand“. Viele Betroffene hätten deshalb nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags der Ampelkoalition große Erleichterung empfunden. „Die Gesellschaft ist heute deutlich offener und toleranter geworden“, meinte Ganserer, aber die rechtliche Ungleichheit, Vorurteile und besonders Unwissenheit über nicht binäre und Trans-Menschen seien immer noch ein Nährboden für Hass und Gewalt, wie die an vielen Orten angefeindeten Teilnehmer des Christopher Street Day in diesem Jahr gezeigt hätten. Der Kampf gegen Diskriminierung und Rassismus sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, nicht nur ein Thema für Bundestagsdebatten. Dort müssten allerdings die Strafen für Hassverbrechen verschärft werden.

Der Angriff Russlands, der nicht nur der Ukraine, sondern auch den freiheitlichen Demokratien gelte, habe deutlich gezeigt, wie dringlich erneuerbare Energien jetzt ausgebaut werden müssen, erklärte Ganserer, um die Abhängigkeit von fossilen Energien zu beenden. Ob der Trend in Europa deswegen jetzt wieder in Richtung Atomkraft gehe, wollte Greschkow am Ende des Gesprächs wissen. Atomkraft, erklärte Ganserer entschieden, sei keine Lösung, denn sie verlängere die Abhängigkeit von Russland wegen des nötigen Urans. Atomkraft sei nicht ökologisch, nicht beherrschbar, nicht vor Angriffen zu schützen, bei extremen Sommern nicht einsetzbar, immer noch ohne Endlager und nicht bezahlbar: „Kein privater Versicherer ist dazu bereit.“ In Frankreich sei der Nachteil der großen Abhängigkeit von Atomkraftwerken jetzt deutlich zu sehen.

______________________________________________

Die Veranstaltungsreihe „bwg sitzungswoche – Sprechstunde“ ist eine Kooperation von bwg Berliner Wirtschaftsgespräche, sitzungswoche Unabhängiges Netzwerk für Politik, Wirtschaft und Medien StäV Ständige Vertretung Berlin, Wölhaf Gruppe und OSI Club mit Unterstützung von Studio Schiffbauerdamm, Landau Media und berlin bubble.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Susanne Stracke-Neumann

Susanne Stracke-Neumann ist freie Journalistin. Für die meko factory berichtet sie über Veranstaltungen.

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden