Kompass für den Mittelstand

Wirtschaft Der Mittelstand wird in der Wirtschaftspresse wenig beachtet. Denn die Mittelständler bieten kaum Geschichten. Kann der neue „Mittelstandskompass 2021“ Abhilfe schaffen?

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Nach langer Corona-Pause war die „taz kantine“ wieder Gastgeber des Berliner Mediensalons, wenn auch nur für eine hybride Veranstaltung zum Thema „Wie reagiert der Mittelstand auf die Megatrends? Herausforderungen für mittelständische Unternehmen und die Wirtschaftsberichterstattung“. Ausgangspunkt der Diskussion war der neue „ETL Mittelstandskompass 2021“, der von Thomas Schleiermacher vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln und den ETL-Vorstandsmitgliedern Marc Müller und Christoph Tönsgerlemann vorgestellt wurde. Dafür wurden die IW-Umfrage-Ergebnisse aus den vergangenen drei Jahren zusammengefasst und verglichen, was erfolgreiche Unternehmen anders machen als weniger erfolgreiche Firmen.

Fazit: Erfolgreiche Unternehmen haben ein „digitales Mindset“, kümmern sich selbst um eine vielfältige und attraktive Anwerbung von Fachkräften, die durch mobiles Arbeiten nicht nur am Standort des Unternehmens gesucht werden können. Erfolgreiche Unternehmen legen schon heute eine große Aufmerksamkeit auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Daraus ergaben sich die Empfehlungen der ETL-Vorständler an den Mittelstand, bei Innovationen nicht nur in großen Projekten für die Zukunft zu planen, sondern direkt in kleinen Schritten bei der Kundenfreundlichkeit zu beginnen, Arbeitsbedingungen attraktiv für den Firmennachwuchs zu gestalten, Weiterbildung zu forcieren sowie Kommunikation und mobiles Arbeiten auszubauen. Die Empfehlungen des ETL-Mittelstandskompass an die Politik: Bildung fördern, Breitbandnetz ausbauen und Forschung und Entwicklung durch einfachere Fördermöglichkeiten und schnellere Abschreibungen zu erleichtern.

Wolfgang Messner, Chefredakteur von „Wirtschaftsjournalist“, sah in der Vorstellung des „Mittelstandskompasses“ wenig Neues für die Berichterstattung. Der Mittelstand habe zugegebenermaßen ein Aufmerksamkeitsdefizit und finde in der Wirtschaftspresse „eher nicht so recht statt“. Dafür zählte er mehrere Gründe auf: Zum einen sei der Begriff „Mittelstand“ vom winzigen Start-Up bis zum millionenstarken, internationalen Wirtschaftsplayer zu schwammig. Die Medien, die sich speziell mit mittelständischen Unternehmen und Handwerksbetrieben beschäftigten, hätten nur eine relativ kleine Reichweite. Ansonsten fänden sich Berichte eher in den Regionalzeitungen am Unternehmenssitz. Andererseits schotteten sich Mittelstandsbetriebe oft ab, seien zu wenig geübt in der Kommunikation mit Medien und versuchten nicht, eine interessante Geschichte zu erzählen. Die Vorstellung des Mittelstandskompasses sei jedenfalls nichts, aus dem er „eine Geschichte bauen“ könne.

Das Problem der mittelständischen Wirtschaft liegt für Diana Scholl, Leiterin politische Netzwerke und Strategie beim Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW), weniger in den vom Mittelstandskompass aufgezählten Erkenntnissen, sondern in ihrer Umsetzung bei Personal und Rahmenbedingungen. Zur medialen Aufmerksamkeit verglich sie den Mittelstand mit dem Impfstoff „Moderna“, der nicht der erste war wie „BioNtech“, aber auch nicht mit wechselnden Einschätzungen versehen wie „AstraZeneca“, sondern zuverlässig. „Wer gut arbeitet und keine Probleme macht, kommt auch nicht in die Presse“, ist ihre Beobachtung.

Scholl hätte weitaus mehr Handlungsempfehlungen für die Politik wie weniger Regularien, Bürokratie und Misstrauen. Die Politik kenne die mittelständische Wirtschaft zu wenig und schaue mehr auf die Flaggschiffe, auch in der Corona-Krise. Mehr Vertrauen in die Wirtschaft forderte auch Jana Schimke, CDU-Bundestagsabgeordnete und in ihrer Partei für den Mittelstand engagiert. Politik müsse „keine Wirtschaftsüberwachung“ sein, kritisierte sie die Diskussion in der Pandemie. Viel zu wenig Aufmerksamkeit und Hilfe hätten im Gegensatz zu TUI oder Lufthansa die kreativen Solo-Selbstständigen bekommen.

Kann ein Digitalministerium Deutschland auf die Sprünge helfen? Moderator Johannes Altmeyer vom „Business Insider“ zeigte sich davon überzeugt, sein Wirtschaftsjournalistenkollege Messner ordnete es als „ein Signal der Ernsthaftigkeit“ ein. Scholl konnte noch keine Ansätze zu einer wirklichen Konzentration der Kompetenzen sehen und wollte dies auch nicht nur als „Feigenblatt“. Schimke antwortete dem Moderator mit der Gegenfrage „Glauben Sie wirklich, dass es von einem Ministerium abhängt?“ Für sie liege der Schlüssel in einer besseren Koordination der „Häuser“, die auch in der laufenden Legislaturperiode noch möglich sei.

Wie die nächste Regierung aussehen könnte, forderte Altmeyer zum Schluss zur Spekulation auf: Als Parteioptimistin votierte CDU-Frau Schimke für Schwarz an erster Stelle. Hoffentlich nicht wieder eine „Große Koalition“, erklärte Scholl und mutmaßte, vielleicht müsse man sich vom Begriff „Kanzlerin“ gar nicht verabschieden. Grün-schwarz wie die Bühne in der „taz kantine“, orakelte Messner.

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Berliner Mediensalon ist eine Veranstaltungsreihe von Deutscher Journalistinnen- und Journalisten-Union dju in ver.di, DJV Berlin – Journalistenverband Berlin-Brandenburg und der meko factory in Kooperation mit der Otto Brenner Stiftung und der Landesgruppe Berlin-Brandenburg des Bundesverbands der Kommunikatoren (BdKom).

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Susanne Stracke-Neumann

Susanne Stracke-Neumann ist freie Journalistin. Für die meko factory berichtet sie über Veranstaltungen.

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