„Mit Krisen umzugehen ist auch Marktwirtschaft“

Mittelstand Zwei Themen sind zentral für Unternehmen im neuen ETL-Mittelstandskompass: Fachkräfte finden und binden sowie die Umstellung auf nachhaltiges Wirtschaften: Durchdachte Konzepte mit konkreter Kommunikation für den langfristigen Erfolg.

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Zwei Themen sind zentral im neuen ETL-Mittelstandskompass 2022: Fachkräftemangel und Nachhaltigkeit. Fachkräfte suchen und halten, oder besser, Kräfte suchen, ausbilden, weiterbilden und halten, gebraucht wird also ein durchdachtes Personalkonzept. Und das Ganze eingebettet in ein ökologisches Unternehmenskonzept mit einer klaren Botschaft für das Warum des eigenen Tuns.

Vorgestellt wurde der neue Mittelstandskompass der ETL-Unternehmensgruppe von Steuerberatern, Anwälten und Wirtschaftsprüfern in der Berliner taz-Kantine mit Diskussionsrunden zu Politik, Wirtschaft und Medien, organisiert als ETL-Wirtschaftssalon im Berliner Salon von Meko Factory unter dem Titel „Braucht der Mittelstand einen Weckruf?“ Marc Müller vom ETL-Vorstand erläuterte, dass der ETL-Mittelstandskompass nach Befragungen in 1200 Unternehmen herausstellt, was erfolgreiche von weniger erfolgreichen Unternehmen unterscheidet, woran man sich also nach oben orientieren könne. Dabei falle immer die gute Kommunikation der erfolgreichen Mittelstandsfirmen auf. In Anbetracht der Krisensituationen in der Wirtschaft durch Pandemie und Krieg mit ihren Auswirkungen auf brüchige Lieferketten, steigende Energiepreise und Inflation schlug Müller vor, die Politik solle eine Indexierung der Einkommenssteuern an die Inflationsrate sowie eine Steuersenkung für gewisse Zeit, wie sie es während der Corona-Krise schon gab, bedenken.

Einen ersten Überblick über die Ergebnisse gab Hanno Kempermann von IW Consult vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, mit dem zusammen die Studie erstellt wurde. Zum Fachkräftebedarf wurden einzelne Berufe untersucht. Bbesonders gesucht würden Fachkräfte künftig bei Bau- und Ausbau, bei naturwissenschaftlich und technisch orientierten Berufen, was auch für eine zunehmende Dekarbonisierung wichtig sei. Das Stickwort Dekarbonisierung gehörte laut Umfragepartnern mit Digitalisierung zu den meist gesuchten Begriffen im Internet.

In einer politischen Runde sprach Johannes Altmeyer vom „Business Insider“ mit den Bundestagsabgeordneten Verena Hubertz (SPD-Vizefraktionsvorsitzende, Trier, „Kitchen Stories“), Maik Außendorf (Digitalspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, Rhein-Berg, IT- und Software-Berater), Christian Gräff (Einzelhandel), Wirtschaftssprecher der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, und Alice Greschkow, Expertin für KI von „Das Demographische Netzwerk“. Außendorf bestätigte die Ansicht des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck, dass sich die Krisen türmten, und meinte, der Wohlstandsverlust habe wohl gerade erst begonnen, spürbar zu werden. Für Hubertz bedeutet die „Transformation“, ein Wort, das sie lieber durch „Wandel“ ersetzt, vor allem Weiterbildung, was sie allerdings optimistisch sieht. Die Herausforderungen für Deutschland als Mittelstandsland lägen eindeutig bei Digitalisierung und Energieumstellung sowie bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

"Work-Life-Balance"

Die gegenwärtigen Krisen würde das eigentliche Hauptthema der Demographie zurzeit in den Hintergrund drängen, bemerkte Greschkow. Es habe in der letzten Legislaturperiode Versäumnisse etwa bei der Digitalisierung gegeben, gab Gräff zu, es sei aber noch viel Fachkräftepotenzial zu heben mit mehr Flexibilität in den Arbeitsbedingungen, die Frauen, Pflegenden oder Senior*innen entgegen kämen. Arbeitgeber sollten Fachkräfte nicht nur im Ausland oder bei den Uni-Absolventen suchen. Zum Begriff der „Work-Life-Balance“ sagte Gräff aufgeregt: „Da bekomme ich Pickel.“ Schließlich müsse sich Deutschland in internationaler Konkurrenz bewähren. Außendorf verwies darauf, dass in der ausländischen Konkurrenz wie Skandinavien ein familienorientierteres Arbeiten längst Standard sei. In Deutschland müsse dafür die Infrastruktur (Kitas, etc.) noch verbessert werden.

Klare Unternehmensstrategien bei Personal, Nachhaltigkeit und deutliche, möglichst positive Kommunikation des Firmenzwecks sowie direkten Austausch mit anderen Firmen verschiedener Größen empfahl ETL-Vorstand Christoph Tönsgerlemann. Dafür gebe der neue Mittelstandskompass deutliche Hinweise. Wer sich bisher an Best Practice orientiert habe, sei nachweislich gut gefahren.

Mehr Wertschätzung für Berufsbildung

Im Panel Mittelstand gab es noch eine Antwort auf Gräffs Ablehnung einer „Work-Life-Balance“ von Horst Becker von der Isotec-Gruppe , die sich um Schimmel- und Feuchtigkeitssanierung kümmert und bereits 85 Firmen in ihren Reihen zählt. Er halte sehr viel von „Work-Life-Balance“, für die Motivation seiner Mitarbeiter*innen, die Attraktivität als Arbeitgeber und die eigene Ausgeglichenheit als Chef. Zur Fachkräftewerbung empfahl er eine gezielte Strategie mit einer „Employer Brand“. Wenig Probleme, Mitarbeiter*innen zu finden, hat auch Frank Umminger von Thermondo, eine Gruppe, die Heizungsumstellung auf Klimaneutralität biete. Das Unternehmensziel sei so attraktiv, dass er mehr Bewerbungen erhalte, als er Leute einstellen könne. Mehr Wertschätzung insgesamt für eine duale Berufsausbildung forderte Greschkow, nicht nur das Studium solle sozial wertgeschätzt werden. Ganz abgesehen von den wirtschaftlichen Perspektiven, die im Handwerk oft sehr gut seien.

Gerade im Bereich Wohnen und Gebäudesanierung gibt es für versierte Handwerker*innen viel zu tun. Dabei beschäftigt sich die Wohnungsbranche laut Dirk Müller von der in Nordrhein-Westfalen sehr bedeutenden Vivawest Wohnen schon länger mit der Digitalisierung für diesen Bereich. Durch die Pandemie habe es einen großen Schub gegeben. Digitalisierung müsse Chefsache sein und von oben vorgelebt, und nicht nur delegiert werden.

Zum Abschluss sprach Journalist Altmeyer mit dem Herausgeber von „Die deutsche Wirtschaft“, Michael Oelmann, eine Publikation für Firmenentscheider*innen ab einer Größe von fünf Millionen Euro Umsatz. Gegründet wurde die Plattform 2016, weil der für Deutschland so grundlegende Mittelstand zu wenig Aufmerksamkeit in den Medien bekommen habe, was auch an der Kommunikation von Wirtschaft und Wirtschaftspolitik selbst liege. Robert Habeck als Minister sei ein ganz neuer Politikertyp, der gut kommunizieren könne: „Man stelle sich die jetzige Situation mal mit dem früheren Wirtschaftsminister Peter Altmaier vor…“. Die Wirtschaft stehe hinter Habecks Plänen zur Energie-Unabhängigkeit. „Mit Krisen umzugehen ist auch Marktwirtschaft.“

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Geschrieben von

Susanne Stracke-Neumann

Susanne Stracke-Neumann ist freie Journalistin. Für die meko factory berichtet sie über Veranstaltungen.

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