Ökologischer Neustart nach der Pandemie

Mittelstandswirtschaft Die Pandemie hat der Digitalisierung einen Schub gegeben. Ein Urteil schreibt mehr Klimaschutz vor. Darin die Chancen zu sehen, propagierte der „ETL-Wirtschaftssalon“.

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Freiwillig oder nicht sind Formen des mobilen Arbeitens wegen Corona auch in mittelständischen Unternehmen in den Alltag eingezogen. Noch bestimme die Pandemie die öffentliche Debatte, doch mit ihrem absehbaren Ende sei es wichtig, an die Zeit danach zu denken, die dem Mittelstand große Herausforderungen bei Digitalisierung, Fachkräftegewinnung und Nachhaltigkeit bringe. Das erklärte Marc Müller von ETL, einem vor 50 Jahren gegründeten Unternehmen, das Steuer-, Wirtschafts- und Rechtsberatung aus einer Hand anbietet. Zusammen mit dem Institut der deutschen Wirtschaft stellte ETL den „ETL-Mittelstandskompass“ in seinem ersten „Wirtschaftssalon“ vor, eine hybride Veranstaltung in der Telefónica-Repräsentanz in Berlin. Während es im Berliner Mediensalon um die Wirtschaftsberichterstattung über den Mittelstand ging, stand bei dieser Präsentation des Mittelstandskompasses in der von Martin Speer moderierten Diskussion die Wirtschaftspolitik im Vordergrund.

Die drei Forderungen an die Politik nach mehr Bildung, Breitbandausbau und unbürokratischerer Forschungsförderung aus dem Mittelstandskompass ergänzte Hans-Jürgen Völz vom Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft (BVMW) um zehn sehr viel präzisere Forderungen vom Transformations-Kapitalfonds, über die Flexibilisierung der Arbeitszeitvorschriften, niedrigere Steuern, weniger Bürokratie, ein Regulierungsmoratorium, Verkürzungen in Planungs- und Genehmigungsverfahren bis hin zur weiteren Corona-bedingten Sonderbehandlung möglicher Insolvenzen.

Völz schlug ein Gründer-BaföG vor, der FDP-Bundestagsabgeordnete Johannes Vogel hatte in seinen Empfehlungen ein Midlife-Bafög gefordert: „Den Begriff ‚Ausgelernt‘ müssen wir hinter uns lassen“ so Vogel. Die vorhandene Innovationskraft des Mittelstands müsse mit noch mehr „disruptiver Sprunginnovation“ einhergehen. Er begrüßte, dass nun „in allen demokratischen Parteien“ Einigkeit bestehe, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei und auf die Zuwanderung von Fachkräften angewiesen. „Wir müssen besser werden im Werben um die beste Talente“, auch mit dem Ausbau der digitalen Möglichkeiten im ländlichen Raum.

Mittelstandsvertreter Völz räumte aber ein, dass nicht alle Mittelständler Veränderungen durch Digitalisierung oder den Abschied von fossilen Brennstoffen begrüßten. Letztlich könnten sich die Firmen diesen Vorgaben aber nicht entziehen, wenn sie nicht vom Markt verschwinden wollten. Der Mittelstand brauche einen ökologischen Neustart nach der Pandemie.

Für Philipp Pausder vom ökologischen Heizungsunternehmen Thermondo ist die grüne Richtung der Wirtschaft keine Frage mehr. Der Widerstand gegen das Klimapaket der Regierung, das auch von Teilen der Wirtschaft als nicht weitgehend genug kritisiert wurde, war für ihn eine Zäsur. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das einen schnelleren Klimaschutz anmahnt, sieht er als ein weiteres Ausrufezeichen auf einem Weg, der in der Wirtschaft in vielen Bereichen schon Konsens sei, wie man bei den Investments und den Aktienbewertungen sehen könne: „Der Kapitalmarkt hat schon längst entschieden.“ Nachhaltigkeit könne kein Appendix mehr sein, sondern integraler Teil der Unternehmensstrategie, erklärte Pausder.

„Die Wirtschaft hat entschieden, die Finanzströme gehen in die nachhaltige Richtung“ unterstützte Claudia Müller, für die Grünen Mitglied des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Energie, die Beobachtung Pausders. In ihrer Heimat Mecklenburg-Vorpommern sei der digitale Ausbau wichtig gegen Abwanderung und für Neuansiedlungen von Menschen und Unternehmen. Die kleinen Selbstständigen könnten mit entsprechenden digitalen Arbeitsmöglichkeiten Entscheidendes zur Ökologisierung von Wirtschaft und Produktion beitragen.

Eine „Verglasfaserung des Landes“ forderte auch Bernd Westphal, der energie- und wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag. Für ihn sind die bestimmenden drei D die Digitalisierung, die Demographie und die Defossilisierung. Gegen den Fachkräftemangel brauche es nicht nur bessere Ausbildung und Berufsorientierung in allen Regionen, sondern auch eine Willkommenskultur für zuwandernde Fachkräfte. Um eine nachhaltigere Gestaltung des ökologischen Fußabdrucks komme nach dem Karlsruher Urteil kein Unternehmen herum.

Die regionale Zusammenarbeit von Startups, von kleinen und großen Unternehmen auf dem Weg der Transformation empfahl ETL-Vorstandsmitglied Christoph Tönsgerlemann und schilderte dies am Beispiel des Digital Campus Zollverein in seiner Heimatstadt Essen, wo die alten „Ruhrbarone“ zusammen mit Banken und Beratungsunternehmen ein Diskussionsforum aufgebaut haben - auch um junge, digitalaffine Menschen und eingesessene Firmen in Kontakt zu bringen. Nicht nur neue Produkte, auch neue Dienstleistungen sollten in den Blick genommen werden. So könne ein Dachdeckerbetrieb durch die Kooperation mit einem Drohnen-Startup zu ganz neuen Angeboten der Instandhaltung für seine Kunden kommen.

Die Bedeutung von regionalen Kooperationen unterstrich zum Ende des Wirtschaftssalons auch die Professorin der Wirtschaftshochschule WHU, Christina Günther. Hier biete sich in Kooperationen mit Schulen die Möglichkeit, Jugendliche bei der Berufswahl zu unterstützen, für das eigene Unternehmen zu interessieren und einer zu großen Akademisierung entgegenzuwirken. Die berufliche Ausbildung müsse gesellschaftlich aufgewertet werden. Als interne Maßnahme empfahl die Professorin eine Fehlerkultur in den Unternehmen zu etablieren, die nicht zuerst nach Schuldigen suche, sondern nach dem Lerneffekt für künftige Vorhaben. Der Blick nach vorne, eine Perspektive, die diesen ersten „ETL-Wirtschaftssalon“ prägte.

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Geschrieben von

Susanne Stracke-Neumann

Susanne Stracke-Neumann ist freie Journalistin. Für die meko factory berichtet sie über Veranstaltungen.

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