Online und Handel: Neue Chancen durch mehr Reichweite

E-Commerce Ein Plus von 23 Prozent in einem Jahr, 83 Milliarden Euro Umsatz: So sieht die Bilanz im E-Commerce für das Corona-Jahr 2020 aus. Doch Online-Handel ist kein Phänomen der Pandemie, sondern wird mit dem stationären Handel zusammenwachsen.

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Online- und stationärer Einzelhandel werden zusammenwachsen. Darin waren sich die zahlreichen Expert:innen bei der hybriden Veranstaltung von Young +Restless und Basecamp „E-Commerce in der Post-Pandemie“ einig. Dieses Mal war auch die ETL Steuer- und Wirtschaftsberatungsgruppe an Bord, die sich in der Pandemie digital weiter entwickelt und für den E-Commerce den Unternehmensteil Fynax an den Start gebracht hat.

Mit einem knappen „Nein“ beantwortete Alexander Rabe, Geschäftsführer des vor 25 Jahren gegründeten Verbands der Internetwirtschaft eco, die Frage der Moderatorin Ilka Groenewold, ob der Internet-Handel der Feind des stationären Handels sei. Bei künftigen Handelsaktivitäten sei das Internet nicht mehr wegzudenken. Die Zukunft liege in mehr Zusammenarbeit zwischen großen Versandunternehmen und stationären Händlern vor Ort. Außerdem hoffe er auf eine künftig engere digitale Zusammenarbeit von Wirtschaft und Verwaltung.

Die gute Nachricht laut Rabe sei, dass die Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit des Online-Versandhandels gegenüber der Anreise zum stationären Handel wachse und durch die Art der Zustellung noch zu verbessern sei. In der Pandemie habe E-Commerce „die Wirtschaft am Laufen gehalten“. Auch kleine und mittlere Unternehmen hätten gelernt, ihre Internet-Angebote auszubauen. Die Zielgruppe des Online-Handels seien nicht nur jüngere Menschen. Inzwischen sei ein Drittel der Online-Kund:innen über 60 Jahre alt.

In der Pandemie habe der Online-Handel ganz neue Produkte entdeckt, etwa frische Lebensmittel, unterstrich Dr. Anna Wolf vom Münchner ifo-Institut. Allerdings gebe es einen innerstädtischen Mangel an Lagerflächen für reine Versandunternehmen, die hier mit dem stationären Handel zusammenarbeiten könnten. Die Blockchain-Technologie werde den E-Commerce „in ein neues Zeitalter führen“, meinte Wolf, das sei in anderen Ländern schon zu beobachten. Den Begriff „E-Commerce“ werde es bald so nicht mehr geben, da Online beim Handel immer dabei sein werde, prophezeite sie.

Der E-Commerce habe in Deutschland 2020 bereits einen Umsatz von fast 83 Milliarden Euro erreicht, deshalb brauche er spezialisierte Steuer- und Finanzberater, erklärte Nadja Müller, Leiterin von fynax. In der Pandemie, so ihr Kollege Saravanan Sundaram, habe E-Commerce zwar ein extremes Wachstum erreicht, die Weiterentwicklung liege jetzt aber im Ausbau der Online-Beratung für die Kund:innen. Das sei auch die Chance für den stationären Fachhandel, der mit seinen Kenntnissen und der zusätzlichen Internet-Reichweite seine Handelstätigkeit auch auf den ländlichen Raum ausweiten und die nötige soziale Komponente durch personalisierte Angebote bieten könne.

Für Thomas Jarzombek, CDU-Bundestagsabgeordneter und in der alten Regierung speziell mit der digitalen Wirtschaft befasst, bietet der Internet-Handel mit seiner Reichweite die Chance für Spezialisierungen, die ohne die Online-Komponente gar nicht wirtschaftlich wären, etwa ein Lampenladen nur für Kinderzimmer, ein Laden, der mehr Showroom für das Bestell-Angebot sei als Mitnahme-Anbieter. Das sei durch eine Kombination mit mehr Entertainment und Kultur auch eine Chance zur Wiederbelebung bei Leerständen in Einkaufszentren. Vom Einzelhandel verlassene Innenstädte böten neue Wohnmöglichkeiten.

Nicht immer nur auf die Menschen in den Städten zu schauen, empfahl Rabe vom eco-Verband. Gerade auf dem Land fehlten oft die Handels-Infrastrukturen. Das unterstrich auch Miriam Wohlfahrt, Präsidiumsmitglied beim Branchenverband Bitkom. Dort würden Lieferservices besonders gebraucht, doch wenige Kilometer außerhalb der Großstädte seien außer bei Pizza keine Lieferdienste mehr zu finden. Mario Brandenburg, FDP-Bundestagsabgeordneter, der selbst in der Rheinpfalz in einer 8000-Einwohner-Kleinstadt lebt, erklärte den E-Commerce auf dem Land als „extrem hilfreich“. Die Menschen auf dem Land seien, anders als viele Großstädter, Wartezeiten bis zur Lieferung gewöhnt. Und für die unter Abwanderung leidenden ländlichen Kommunen sei die Zuwanderung von Online-Shop-Betreibern, „die genervt die Großstädte verlassen“, ein guter Aspekt zur wirtschaftlichen Entwicklung. Diese Möglichkeit zur Stadtflucht für IT-Professionals unterstrich auch Rebekka Müller von der Europa-Partei VOLT und betonte die Europa-Dimension des Internet-Handels, der gerade wegen der übermächtigen Konkurrenz aus den USA und China ausgebaut werden sollte. Wohlfahrt meinte, Jüngere schauten inzwischen weniger nach Billigware aus China , sondern nach Hochwertigem aus eigener Region. Das zeige beispielsweise der Börsengang von „Veganz“.

Dass es für kleine, handelsorientierte Internet-Startups gar nicht so einfach sei, sich gegenüber Online-Handelsriesen wie Amazon mit seinen rigiden Geschäftsbedingungen zu behaupten, auf die man aber angewiesen sei, erklärte Timm Bange von Mydartpfeil, der bei der Veranstaltung auch zum „Kopf des Monats“ ausgerufen wurde. Bange hat zusammen mit einem Freund in der Anfertigung sehr persönlicher Dartpfeile, mit Gravur und ähnlichem, seine Online-Handels-Nische gefunden. Cindy Mattern vom Hauptstadtbüro des Bundesverbands Onlinehandel war erstaunt über diese häufig geäußerte Kritik an Amazon, da eine Umfrage zeige, dass der Online-Handel rund 60 Prozent seiner Umsätze dem Handel auf dieser Plattform verdanke.

Für Oliver Kling, Chef einer Digitalagentur und Autor, ist es „ein Konstruktionsfehler“ des Online-Handels, nur auf die urbanen Räume zu schauen. Die Zukunft des Handels liege in komplexeren Geschäftsmodellen, online und hybrid, sowie in Kooperationen zur Lieferung, gerade auch auf dem Land. Bange empfahl, stärker den mobilen Handel per Smartphone ins Visier zu nehmen, ebenso das Marketing per Messenger-Diensten. Für Christiane Manow-Le Ruyet von der Zeitschrift „E-Commerce“ ist die Kundenanalyse das „A und O“ des künftigen Erfolgs von stationärem und Online-Handel, der nur noch „multi- und omnichannel“ zu denken sei. Die Chance liegt für sie in der persönlichen Kundenberatung, im „Social Commerce“ und im „Live-Shopping“.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Susanne Stracke-Neumann

Susanne Stracke-Neumann ist freie Journalistin. Für die meko factory berichtet sie über Veranstaltungen.

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