Die Suche nach einer besseren Fehlerkultur

Unternehmensentscheidungen Deutschland liegt nach einer internationalen Studie nur auf dem 60. von 61 Plätzen, was die Fehlertoleranz angeht. Der Selbstsschutz vor späteren Vorwürfen führt zu verpassten Chancen. Wie schafft man ein "Mindset für mehr Fehlerkultur"?

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Auf die Suche nach Wegen zu einem „Mindset für mehr Fehlerkultur“ machte sich die Diskussionsrunde von „Young + Restless“ im Basecamp von Telefónica: „Fehlerkultur – Kulturwandel – Firmenkultur“. Die Suche ist wohl nötig, denn Deutschland liegt nach einer internationalen Studie nur auf dem 60. von 61 Plätzen, was die Fehlertoleranz angeht. Über Fehler spricht man nicht, ist zumeist die Devise in der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft. Und worüber man nicht spricht, daraus kann man auch nur schlecht lernen, ist die Konsequenz.

Florian Artinger, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Max-Planck-Institut und Leiter des Max-Planck Spinn-Offs Simply Rational, sah das Motto „Covering Your Ass“, also den Selbstschutz vor Vorwürfen, als ein ganz großes Motiv für Entscheidungen auf den verschiedenen hierarchischen Ebenen in Unternehmen. Wenig Risiko, eingefahrene Wege, auch dann, wenn mehr Wagnis auch mehr Gewinn bedeuten könnte. Hauptsache, man ist nicht schuld, wenn was danebengeht. Absichern ist oft die Maxime, auf Kosten anderer und auch der Firma. Laut Artingers Forschungen sind mehr als zwei Drittel solcher Entscheidungen eigentlich nicht im Interesse des Unternehmens ausgefallen. Bei Siemens Healthcare formulierte man es so: „Verpasste Gelegenheiten sind unser größtes Risiko.“

In Firmen, die Mitarbeiter*innen für eine falsche Entscheidung nicht ins Abseits stellen, gebe es mehr Diskussion über sinnvolle Risiken, so der Wissenschaftler. „Lernen ist ein zentrales Element jeder Organisation“, unterstrich Artinger.

Über Fehler reden wir nicht gerne und denken auch nicht gerne darüber nach, hat auch Ralf Kemmer beobachtet und die „Fuckup Nights“ in Berlin ins Leben gerufen. In seinem “Institut für Ludologie“ beschäftigt er sich mit „positiver Fehlerkultur, Innovationsprozessen und Markenentwicklung“. Bei den Fuckup Nights kann jeder, der sich traut, von seinem Scheitern berichten, seit 2014 und alle Viertel Jahr vor rund 350 Leuten, wie er berichtet. Für ihn heißt es: „Sometimes you win and sometimes you learn.“ Die Fuckup Nights machten vielen Zuhörer*innen Mut, auch sich selbst und anderen Fehler einzugestehen. Unternehmen gäben inzwischen oft Werte für die Unternehmenskultur vor, aber nach seiner Beobachtung werden diese Werte in den Firmen selten gelebt.

In der von Charlotte Bauer von der Berliner Morgenpost moderierten Diskussion, vor Ort und per Video zugeschaltet, betonte Artinger, dass in den Unternehmen die „psychologische Sicherheit“ fehle, damit man gemeinsam aus Misserfolgen lernen könne. Carolin Kleinert, Co-Founderin der Footprint Technologies GmbH und Landessprecherin des Bundesverband Deutsche Startups, zeigte sich überzeugt, dass eine so hohe Zahl von defensiven Unterscheidungen zuungunsten des Unternehmens nur in großen etablierten Firmen möglich sei. Bei Startups könne man sich so gar nicht verstecken, „sonst gäbe es uns nicht mehr“. Bauchgefühl sei auch eine wichtige Entscheidungsgrundlage in ihrer Firma. Zusammenarbeit, auch mit Investoren, sei mit Skepsis oder gar Misstrauen schlecht möglich. Transparenz und die Mitsprache aller Mitarbeiter*innen sei notwendig, denn „auch die Chefs sehen nicht alles“.

Für Kim Wlach, Geschäftsführerin der Unternehmensberatung Berg&Macher, ist die Angst vor Fehlern ein Zeichen „toxischer Unternehmenskultur“. Peter Brandl, Pilot, Keynote Speaker und Management Consultant, griff in seinen Ausführungen zu recht drastischen Formulierungen. Er bespricht auch Fehler mit Piloten, und „wenn Airlines nicht lernen, dann kostet es das Leben“. In der Theorie sei eine Fehlerkultur ja ganz schön, im echten Leben allerdings „Krampf“. Denn wir suchten doch alle immer einen Schuldigen, auch im Privatleben. Der Ansatz müsse woanders liegen: „Seit wann weißt du, dass es ein Fehler ist?“, sei die entscheidende Frage. Das verändere die Perspektive. Verschweigen müsse stärker sanktioniert werden als der Fehler selbst, das Risiko beim Vertuschen höher sein als beim Zugeben des Fehlers.

Für einen besseren Umgang mit Fehlern fordert Kemmer mehr Flexibilität, denn „die Zukunft ist für uns nicht antizipierbar“. Das hätten die meisten Menschen doch sowohl durch die Corona-Pandemie wie durch die russische Invasion in der Ukraine gerade erst eindrucksvoll erlebt. Ein restlos fehlerfreies Produkt sei gar nicht möglich, aber die offene Diskussion ermögliche die Verbesserung.

In den USA, so Brandl, verliere man bei Fehlern ganz schnell seinen Job, aber Neuanfänge seien einfacher und Investoren fragten selbst nach Veränderungen. Die deutsche Mentalität sei viel stärker sicherheitsorientiert. Ein typisches Sprichwort für die defensive Einstellung in Deutschland sei der Spruch „Nix gemeckert ist gelobt genug“. Um die Angst vor Hierarchien zu nehmen, müsse der Chef ebenfalls seine Fehler zugeben, meinte Brandl: „Meine Leute müssen sich trauen, mir zu widersprechen. Aber dann auch die ‚Captain’s Decision‘ akzeptieren.“

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Geschrieben von

Susanne Stracke-Neumann

Susanne Stracke-Neumann ist freie Journalistin. Für die meko factory berichtet sie über Veranstaltungen.

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