Vom Mythos zur Modellstadt

Flughafen Tegel Wie aus dem Flughafen Tegel eine „Urban Tech Republic“ werden soll: Eine Diskussion über die Smart City des Tegel Projekts. Baubeginn soll Mitte 2021 sein.

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Mit der Eröffnung des Flughafens BER am 31. Oktober wird der Flughafen Tegel schließen. Seit Jahren wird auf dem Gelände für eine Modellstadt der Zukunft, eine nachhaltige, klimaneutrale und visionäre Smart City geplant, auch als „Urban Tech Republic“ tituliert. Sechs Monate muss der Flughafen nach internationalem Recht noch betriebsbereit bleiben, dann können die Bagger anrollen, erklärte der Pressesprecher der Tegel Projekt GmbH, Hans Peter Koopmann.

Der künftige Forschungs-, Industrie-, Wohn- und Landschaftspark war das Thema der „Berliner Wirtschaftsgespräche“ in Kooperation mit Wöllhaf, dem Dienstleistungsanbieter auf deutschen Flughäfen und Betreiber des „Bistro Leysieffer“ im Terminal A, wo die Diskussion am 29. September 2020 stattfand. Wie Moderatorin Susanne Lang, betonte, hatte Tegel für viele Berliner*innen den Status eines Mythos, war ihr Tor zur Welt. Doch spiegelt das Tegel Projekt die Bedürfnisse der Stadt wider, fragte Lang? Koopmann sieht es in einer wichtigen Entwicklungsachse des Berliner Nordwestens, zu dem auch das Projekt Siemens 2.0 in der Siemensstadt und das Neue Gartenfeld gehören. Berlin, das nach 1945 einen Großteil seiner Industrie verloren hat, könne so auch für diese wieder attraktiv werden.

Der Kern für eine erfolgreiche Entwicklung des Areals sei die Ansiedlung der Beuth-Hochschule in den Terminals A und A2, denn Hochschulen seien für solche Entwicklungsstandorte „enorme Impulsgeber“. Man wolle hier neue Energiewelten, neue Ressourcenkonzepte, neue Werkstoffe, intelligente IT-Lösungen, klimafreundliche Mobilität, nachhaltige Baustoffe wie Holz und eine durchgehende Dekarbonisierung schaffen. Das Tegel Projekt sei auch von der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen als Pilotprojekt anerkannt. Rund 20.000 Arbeitsplätze, eine Brutto-Wertschöpfung von 2,5 Milliarden Euro und eine Steuersumme für Berlin von etwa 350 Millionen Euro im Jahr stellte Koopmann in Aussicht. Allerdings, rechnete Sven Weickert von den Unternehmensverbänden Berlin und Brandenburg (UVB) dagegen, fielen die Einkünfte aus dem Flughafen für Berlin auch weg und wanderten nach Brandenburg.

Ziel sei es, so Koopmann, urbanen Lebensraum mit rund 9000 Wohnungen in der Nähe des Kurt-Schumacher-Platzes mit Wissenschaft, Forschung, Industrie und Gewerbe zu verbinden und eine Aufenthaltsqualität zu schaffen, die den Standort auch am Abend mit Gastronomie und vielleicht Clubs interessant mache. Dies sei zu Beginn der Entwicklung der Wissenschaftsstadt Adlershof im Berliner Südosten vernachlässigt worden, sagte Weickert. Dort sei es zunächst „nach 18 Uhr tot“ gewesen.

Professor Werner Ullmann, Präsident der Beuth-Hochschule für Technik, erklärte, die Aussicht auf ein solches Projekt mit einmaligen Chancen habe die Hochschule bewogen, trotz ihres enormen Platzmangels auf die verzögerte Realisierung dieser Vision zu warten. Die Hochschule werde ihren Hauptstandort im Wedding behalten, könne aber statt der jetzt vielen angemieteten Flächen dann zu einen Fünftel nach Tegel umziehen und wird die Fachgebiete Architektur, Heiz- und Klimatechnik, Erneuerbare Energie, Gartenbauliche Phytotechnik (Begrünung) und Elektromobilität auf den neuen Campus mitbringen. Baubeginn soll 2023 sein, Einzug 2027. Müsse man denn wirklich noch bis 2023 warten, bis der Bau losgehe, und bis 2027, bis die Studierenden kommen können, fragte Weickert, das Modelling für das Areal sei doch seit Jahren in Arbeit.

Bis zum Baubeginn, so hofft Ullmann, sollen alle Untersuchungen, auch zu möglichen Schadstoffen, auf dem ehemaligen Flughafengelände abgeschlossen sein, so dass die Bauphase keine bösen Überraschungen mehr bringe. Die Terminals bedürften einer massiven Sanierung, schließlich sei der Flughafen jahrelang weit über der Belastungsgrenze betrieben worden.

Werde der Flughafen als historische Anlage denn gänzlich verschwinden, kam die Frage aus dem Publikum. Koopmann erklärte, der ursprüngliche Airport werde erkennbar bleiben, das sei mit dem Denkmalschutz verabredet. Frei verkaufbare Flächen, so eine weitere Frage aus den Reihen der Zuhörer*innen, werde es nicht geben, betonte Koopmann, denn der Berliner Senat wolle keinen Grundbesitz aus der Hand geben. Vielmehr werde es sich um Vermietungen oder mögliche Erbpacht handeln. Außerdem müssten die Bewerber in das Konzept der ressourcenschonenden, klimafreundlichen „Urban Tech Republic“ passen. Dass es dabei auch immer wieder einen Wechsel der interessierten Unternehmen geben könne, ebenso wie Themenwechsel in der Forschung, sei der normale Lauf von Wissenschaft und Technologieentwicklung, betonten Ullmann und Koopmann. Koopmann: „Wir können nicht jetzt planen, was 2050 en vogue ist“, aber man könne Voraussetzungen für eine lebendige Entwicklung schaffen.

Für die Verkehrsanbindung gebe es verschiedene Perspektiven: Auf jeden Fall die Anbindung an das Radwegenetz der Stadt sowie Radschnellwege auf dem Gelände, immerhin fast fünf Quadratkilometer groß. Überlegt werde auch eine Verlängerung der U-Bahn vom Kurt-Schumacher-Platz oder eine Anbindung mittels Straßenbahn. Interessant sei auch eine mögliche Verbindung zu neuen S-Bahn für das Areal Siemens 2.0. Privater Autoverkehr sei auf dem Gelände nicht vorgesehen, stattdessen viele eigene Mobilitätsangebote.

Susanne Stracke-Neumann

(Die Veranstaltung wurde von Meko Factory aufgezeichnet: https://www.facebook.com/mekofactory/videos/727955671093892 )

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Geschrieben von

Susanne Stracke-Neumann

Susanne Stracke-Neumann ist freie Journalistin. Für die meko factory berichtet sie über Veranstaltungen.

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