Wissenschaft kontra Schlagzeilen

Medien Die Corona-Pandemie bestimmt seit über einem Jahr Medien und Politik. Forschung wird in Schlagzeilen gepresst oder in politisches Handeln umgesetzt – nicht ohne Probleme.

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Seit mehr als einem Jahr bestimmt Corona die Nachrichten, zumindest wenn es nicht gerade um Kanzlerkandidaturen geht, leitete Moderatorin Susanne Lang die Diskussion „Wissenschaft und Medien: Passen Studien in Schlagzeilen?“ der Reihe „PR trifft Journalismus“ ein. Plakative Überschriften und wissenschaftliche Akribie, Jagd auf exklusive Nachrichten und forscherliche Bedenken, wie gehen Journalist*innen, Wissenschaftler*innen – und Mediennutzer*innen – damit um?

Covid-19-Pandemie prägt die politische, mediale und oft auch private Debatte. In der Berichterstattung und Diskussion sind auch Wissenschaftler*innen in den Rang von Medienstars aufgestiegen, gewollt oder nicht. Die Virologen Christian Drosten (Charité Berlin) und Hendrik Streeck (Uni Bonn) und die Physikerin Viola Priesemann (Max-Planck-Institut Göttingen), die sich mit Modellen der Ausbreitung und Eindämmungsmöglichkeiten des Virus beschäftigt, sind so in die erste Reihe der eingeladenen oder zitierten Expert*innen gekommen. Drei Medienmenschen, die mit ihnen zusammenarbeiten, waren in dieser Diskussion vertreten und spiegelten auch ein bisschen die den Virologen und der Physikerin unterstellten Auseinandersetzungen wider: Korinna Hennig vom NDR befragt Drosten regelmäßig in dem bekannten und auch mit Preisen bedachten Podcast „Coronavirus-Update“. Wolfram Winter, Medienmanager und –dozent, berät seit einiger Zeit Streeck, der mit seiner Studie zur Virusausbreitung in der Gemeinde Heinsberg/Gangelt auch in mediale Turbulenzen geraten war. Christina Beck leitet die Wissenschaftskommunikation der Max-Planck-Gesellschaft.

Dass Wissenschaftsjournalist*innen jetzt ein Thema bearbeiten, das sich durch alle Ressorts, von der Politik über die Wirtschaft bis zur Kultur, in den Redaktionen zieht, hat das Arbeiten verändert, schilderte Hennig. Bei jeder Frage, bei jedem Nebensatz im Podcast müsse sie bedenken, was „draußen“ daraus für eine möglicherweise missverständliche Schagzeile werden könne. Auch Birgit Herden, Wissenschaftsredakteurin bei der „Welt“, berichtete von innerredaktionellen Schwierigkeiten, wenn abwägende Wissenschaftsjournalist*innen mit ihrem Thema auf meinungsstarke, politisch orientierte Redaktionsleitungen stoßen.

Solche Probleme gibt es in der Redaktion des Magazins „Spektrum der Wissenschaft“ nicht, gab Chefredakteur Daniel Lingenhöhl sichtlich erleichtert zu. Die naturwissenschaftlich ausgerichtete Zeitschrift habe weder Politik-, noch Wirtschaftsredaktion im Haus. „Unsere Leute können wissenschaftliche Studien lesen und verstehen“, außerdem habe das Magazin „wissenschaftsaffine“ Leser*innen. Allerdings sei der Überblick über die Veröffentlichungen in der Corona-Pandemie auch für seine Redaktion schwieriger geworden: „Die Forschung an dem Virus ist auf Speed.“

Auch die Begehrlichkeit der Medien, könnte man formulieren, wenn man von Beck und Winter hört, dass rund 50 Presseanfragen täglich für die bekannten und damit wegen ihrer Reichweite immer wieder favorisierten Wissenschaftler*innen eintreffen. Falsche, verkürzte oder negative Berichterstattung, zum Teil auch entstanden aus Enttäuschung wegen eines nicht gegebenen Interviews, träfen die Expert*innen oft sehr, berichteten sie. Sie könnten ihnen nur raten, „ruhig zu bleiben“ (Winter) und sie sollten sich „Resilienz zulegen“ (Beck).

Die Bedeutung von öffentlichen „Vertrauensträgern“ wie Drosten hob die Medienwissenschaftlerin Annette Leßmöllman vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hervor. Dabei sei es wichtig, dass sie oder er ausgewiesene Expertise habe und „gemeinwohlorientiert und integer“ auf das Publikum wirke. Wie wichtig solche Personen für die Bekämpfung der Ausbreitung des Virus seien, habe sich auch in anderen Ländern gezeigt. In Spanien, das zu Beginn besonders stark von der Pandemie gebeutelt war, habe so jemand gefehlt. Dennoch sollten sich die Wissenschafts-Protagonist*innen immer wieder fragen, warum sie eigentlich an die Öffentlichkeit gingen: Weil sie wirklich Neues mitzuteilen haben oder wegen der Aufmerksamkeit? Eine gewisse Eitelkeit konstatierte auch Winter in der Professorenschaft, zu der er selbst als Honorarprofessor gehört.

Hennig forderte von den Medien, bei der Auswahl stärker auf die Themenbezogenheit der Wissenschaftler*innen zu achten und nicht bei allen das Etikett „Expert*in“ draufzukleben, die nur ähnliche Fragen bearbeiteten. Mangelnde Kompetenz zu speziellen Fragen gäben seriöse Wissenschaftler*innen aber auch zu, und sie erklärten auch, wo es Forschungslücken und ungeklärte Fragen gebe.

Äußern sich Wissenschaftler*innen als Forscher*innen oder in der politischen Rolle als Berater*innen, sollte das jeweils klar kommuniziert werden, forderte Beck von der MPG, die sich wie die Nationale Akademie Leopoldina auch beratend geäußert hat. Die politische Beratung sei auch in der Wissenschaft umstritten. Für Orientierung und Beratung von Politik und Gesellschaft wurden beispielsweise der Deutsche Ethikrat und der Ethikrat der Europäischen Union extra eingerichtet. Für Lingenhöhl ist die politische Beratung eine Bringschuld der Wissenschaft, die mit öffentlichem Geld ausgestattet ist. Dass Wissenschaftler*innen ihre Expertise weitergeben, sei zurzeit dringender denn je. „Wir Journalist*innen müssen das dann trotzdem kritisch begleiten.“

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„PR trifft Journalismus“ ist eine Veranstaltungsreihe der meko factory – Werkstatt für Medienkompetenz in Kooperation mit Bundesverband der Kommunikatoren – Landesgruppe Berlin-Brandenburg, Deutscher Journalistenverband DJV Berlin - JVBB und mit Unterstützung durch die Otto Brenner Stiftung und Landau Media. Digitaler Gastgeber war „taz kantine“.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Susanne Stracke-Neumann

Susanne Stracke-Neumann ist freie Journalistin. Für die meko factory berichtet sie über Veranstaltungen.

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