Vor wenigen Wochen wurde nachts in Copacabana, einem der touristischsten Viertel von Rio de Janeiro, eine brasilianische Frau von drei Männern in einem vermeintlich öffentlichen Kleinbus entführt und vergewaltigt. Sie erstattete Anzeige auf einem Polizeirevier, das auf Gewalt gegen Frauen spezialisiert ist. Dennoch musste sie Stunden warten, bis sie medizinische Versorgung erhielt. Ermittlungen wurden nicht eingeleitet. Öffentlich aufmerksam wurde man auf den Fall erst, als eine Amerikanerin von denselben Männern im selben Bus vergewaltigt wurde. Auch sie war mit ihrem französischen Partner gegen Mitternacht eingestiegen. Die junge Frau wurde geschlagen und mehrfach vergewaltigt, ihr Freund gefesselt und mit einer Eisenstange verprügelt, während das Fahrzeug, das keine amtliche Genehmigung für die Beförderung von Fahrgästen besaß, sechs Stunden lang durch Rio fuhr.
Die Amerikanerin erstattete ebenfalls Anzeige, am folgenden Tag nahm die zuständige Polizei zwei der Vergewaltiger fest. Überwachungskameras hatten die beiden dabei gefilmt, wie sie das Fahrzeug auftankten und mit der Kreditkarte des Opfers bezahlten.
Die brasilianischen Medien zeigten sich schockiert über die Brutalität des Verbrechens und lobten zugleich die Effizienz der Ermittlungen. Der Fall zeigt, dass mit zweierlei Maß gemessen wird. Die Polizei hatte nichts unternommen, um die Vergewaltigung der Brasilianerin aufzuklären, die ihren Fall öffentlich machte, nachdem sie die Verbrecher in den Nachrichten erkannt hatte. Aber die Medien interessieren sich mehr für die ausländischen Opfer und den Imageschaden, den Rio de Janeiro durch das Verbrechen genommen hat – selbst nachdem bekannt wurde, dass die Männer sich noch an einer weiteren Brasilianerin vergangen hatten, die aus Scham auf eine Anzeige verzichtet hatte.
„Befriedung“ der Favelas?
Seitdem Rio zum Gastgeber der Olympischen Spiele 2016 gekürt wurde – auch die Fußballweltmeisterschaft 2014 findet in Brasilien statt –, möchte die Stadtverwaltung dem schlechten Ruf Rios als Stadt der Gewalt entgegenwirken. Die Behörden verweisen auf den Erfolg der Programme zur „Befriedung“ von Favelas. Seit in den Slums Polizeieinheiten stationiert wurden, sind manche tatsächlich sicherer geworden. Ein Strukturwandel, der soziale Ungleichheiten korrigieren würde, ist jedoch fern.
Nach den Übergriffen auf die Frauen schrieben Journalisten von „negativen Auswirkungen auf Rios Image“ und einem „Rückschlag für den guten Moment, den diese Stadt erlebt“. Vergewaltigungen in Verkehrsmitteln ohne Lizenz sind selten in Rio. Die beiden Polizeibeamtinnen, die für die Ermittlungen und die medizinische Versorgung der brasilianischen weiblichen Opfer zuständig waren, sind inzwischen entlassen worden, und die Chefin der Zivilpolizei hat sich öffentlich entschuldigt. Es bleiben Fragen. Wie geht man mit weniger spektakulären Vergehen an Frauen in Brasilien um?
Unweigerlich muss man bei dem Vorfall in Rio auch an Delhi denken. Dort wurde im Dezember 2012 eine Frau in einem Bus von sechs Männern vergewaltigt, während ihr Partner mit einer Metallstange geschlagen wurde. Zwei Wochen später starb sie. So sehr sich die Methoden ähneln, so verschieden sind die Reaktionen. Während in Indien Frauen an die Öffentlichkeit gegangen sind, um zu zeigen, welchen sexuellen Belästigungen sie ausgesetzt sind, blieben solche Proteste in Rio aus. Brasilianerinnen tragen, was ihnen gefällt, und gehen aus, mit wem sie wollen. In Rio würde niemand verlangen, eine Frau solle ihren Peiniger heiraten, weil sie keinen anderen Mann mehr finden würde. Die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern sind subtiler.
„Niemand erwartet, in Disneyland ausgeraubt, gefesselt und geschlagen zu werden. Copacabana ist unser Disneyland“, erklärte Alfredo Lopes, Präsident des Verbandes des brasilianischen Hotelgewerbes, nach dem Verbrechen, ohne die Vergewaltigung zu erwähnen. Das Stadtviertel ist allerdings auf Kleinbusse angewiesen, die ohne Zulassung ihre Dienstleistungen anbieten, wo das öffentliche Transportsystem nicht ausreicht. Zu den 6.000 Kleinbussen, die mit Genehmigung durch Rio fahren, kommen nochmals etwa 6.000 ohne Zulassung hinzu. Man kann sie kaum voneinander unterscheiden.
In diesen Tagen kursiert ein Running Gag in Rio: „Stell dir mal vor, wie es erst während der Weltmeisterschaft wird.“ Für diese Zeit soll ein spezielles Verkehrssystem eingeführt werden, und auf den Straßen werden Polizisten postiert. Die große Party — danach kehrt der Alltag zurück.
Suzana Velasco arbeitet als Journalistin in Rio und ist derzeit zu Gast in der Freitag-Redaktion
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