Oslo Der Prozess - Anders Behring Breivik15/5

Gerichtsverhandlung Tagesbericht

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Mittwoch, 9.05.2012
15. Prozesstag, Teil 5, Zeugenaussage


Bjørn Magnus Jacobsen Ihler geht in den den Zeugenstand.
Ihler sagt:"Ich bin Mitglied der Labour-Jugend und war zum dritten Mal auf Utøya."
Die Staatsanwälte möchten wissen, wie er bei der Überprüfung für Sicherheit gesorgt hat.
Ihler sagt:"Ich habe einen Leatherman (Multifunktionswerkzeug, kein Taschenmesser) beschlagnahmt. Ich kontrollierte strenger als zuvor."

Ihler erläutert das Geschehen auf der Insel: "Wir versammelten uns in der Großen Halle.Ich sah die Bilder von dem, was in Oslo geschehen war, auf dem Telefon eines Freundes.
Es sah aus wie ein Kriegsgebiet. Ich fragte mich, was da geschehen war und dachte, es könne politischer Terrorismus sein. Für diesen Fall könnte auch Utøya ein Ziel sein.
Zur gleichen Zeit wurden wir informiert, dass die Insel in Sicherheit war.

Nach dem Treffen ging ich hinaus, um meine Familie anzurufen.

Bald nachdem wir jemanden trafen, der das gleiche Boot wie Breivik genommen hatte, fielen die ersten Schüsse.
Wir versammelten uns an der Spitze des Lagers, als wir die Schüsse hörten.
Ich hoffte, dass es Einbildung sei.
Breivik kam über den oberen Teil der Insel.
Ich sah, wie er aus nächster Nähe einen Menschen mit einer Pistole erschoss.

Dies geschah auf dem Kiesweg vor der Haupthalle, etwa 75 Meter entfernt.
Wir liefen den steilen Hang hinauf.
Es war völlig unwirklich. Obwohl ich gesehen hatte, dass in diesem Moment eine Person erschossen wurde, dauerte es, bis ich realisierte, was geschah.
Wir gingen nach Norden auf dem Kjærlighetsstien. Wir duckten uns und zogen auffällige Kleidung aus. Wir erkannten, dass die Kleidung einen Unterschied zwischen leben oder sterben ausmachen konnte.
Wir gingen zum Pumpenhäuschen. An einem steilen Hang hockte ein kleiner Junge. Er sah völlig verloren heraus. Wir nahmen ihn mit.
Der Junge hatte Panik.
Aber er verstand, dass wir leise sein mussten. An einer Stelle musste ich ihm den Mund zu halten. Wir hörten Schüsse, und ich wusste nicht, ob es nah bei uns war.

Wir waren entsetzt.

Dann kam eine große Gruppe durch den Wald gelaufen. In dieser Gruppe gab es einen anderen kleinen Jungen.
Wir waren unbewusst in eine Falle gelockt. An einer Stelle mussten wir den Weg durch die vielen, die erschossen worden waren, nehmen.
Ich sah ein Handy, das auf einem der Mädchen liegend klingelte. Es war eines der Dinge, die den größten Eindruck auf mich gemacht haben..
Ich musste es verdrängen und bekam eine Art Tunnelblick.

Die Gruppe versuchte, so nah wie möglich ans Wasser zu kommen. Wir sahen Boote, die auf die Insel zufuhren und die Blaulichter an Land.
Aber wir wussten nicht, was los war. Ob es sicher ist oder nicht. Doch wir wussten, wir mussten die Insel verlassen.

Als ich mich umdrehte, sah ich, dass Breivik sein Gewehr hob.
Ich hörte, wie Breivik hinter mich trat. Er sagte, er sei von der Polizei und dass wir in Sicherheit wären.

Es war für mich, als ob er zu mir sprach. Es war so, als sei alle Hoffnung verloren. Es war ein unbeschreibliches Gefühl. Ich dachte, das war es.

Ich warf mich ins Wasser.
Es war Blut im Wasser. Mehrere Menschen wurden rund um mich erschossen, als ich im Wasser stand.
Wir schwammen und krabbelten unter Büschen versteckt.

Zeitweise saßen wir im Wasser. Die beiden Jungen waren in der Nähe.
Es kam mir vor, als ob wir da eine ganze Weile saßen, aber wir hörten die Schüsse entfernter, also nahmen wir die Chance wahr, an Land zu gehen und uns aufzuwärmen.
Wir haben versucht, die Situation nicht an uns heran kommen zu lassen. Wir haben u.a. darüber gesprochen, was wir zu Weihnachten machen werden.

Während wir dort saßen, kam ein Polizist durch den Wald. Wir wussten nicht, ob er echt war. Wir waren auf dem Weg aus dem Wasser, aber dann zeigte er deutlich, dass er nicht schießen würde. Er sagte, wir haben den "Madman" (den Verrückten) festgenommen.
Die "richtigen" Polizisten baten sie, zu warten, wo wir waren. Zuerst mussten die Verletzten versorgt werden.
Dann kamen noch sechs weitere Polizisten dazu. An diesem Punkt war ich wieder unsicher, ob es mehrere Täter sein könnten.

Nach einer relativ kurzen Zeit wurden wir zu einem Boot gebracht und aufs Festland transportiert.
Dort war es wie in einem Katastrophenfilm. Menschen gerieten in Panik, einige lagen auf Tragen. Es gab überall Krankenwagen.
Ich war außer Gefahr und rief meine Familie an, um ihnen zu sagen, dass ich sicher war. Und dieses Mal war ich es wirklich.
Nach einer Weile stiegen wir in den Gesundheits-Express.
Nächster Halt war das Hotel, in dem alle aufgenommen wurden. Ich wurde versorgt und mir wurde gesagt,ich dürfe eine heiße Dusche nehmen.
In den Nachrichten sah ich dann, dass Stoltenberg noch lebte.
Ich wurde von meinen Eltern abgeholt und mit nach Hause genommen.

Der erste Tag war schrecklich.

Polizisten zu sehen, ist immer noch extrem beängstigend. Bevor dies geschah, hatte ich Vertrauen in die Polizei, aber das Vertrauen wurde durch Breivik zerstört


In der Dringlichkeitssitzung erkannte ich, dass andere in der gleichen Situation sind.
Es war gut, und uns wurde gesagt, dass es ein Treffen in Kürze geben werde. Es gab mehrere Treffen in der Zukunft, und als die Liste der Opfer kam, war es gut, darüber zu sprechen. Aber das Wichtigste war eigentlich über völlig unterschiedliche Dinge zu reden, zur Ablenkung."

Staatsanwalt Holden möchte mehr darüber wissen, wie es ihm bis heute ergangen ist. Ihler sagt:"Ich habe Probleme mit lauten Geräuschen, und beim Anblick von Krankenwagen und Polizisten habe ich mit mir zu kämpfen.
Wir waren im Kino, und es war eine extreme Erleichterung. Es war der erste Schritt auf dem Weg zurück in das Leben, das ich vorher gelebt hatte."

Ihler sagt:"Es gab einige Phasen, die besonders schwer waren,
und ich habe stark von der professionellen Hilfe, die ich erhalten habe, profitiert. Dies war wichtig.
Ich war für eine Zeit in Liverpool, um möglichst weit weg vom Ort des Geschehens zu sein, hatte aber Bedenken, da Liverpools Koordinaten in Breiviks Manifest auftauchten."

Er war besorgt, dass sich Norwegen nach dem Terror verändern würde.
Zurück in Norwegen, war er weniger besorgt.
Ihler war auch bei den ersten offenen Treffen nach der Inhaftierung.
Und er spiele jetzt als Hobby am Theater mit, um zurück in den Alltag zu finden.


Holden fragt nach Ihlers Gedanken über die Zukunft.
"Ich hoffe, mit dem, was ich geplant hatte, fortfahren zu können. Ich möchte Theaterregisseur und Filmproduzent werden."

Verteidiger Geir Lippestad hat Fragen zu Ihlers Erfahrungen mit Breivik auf Utøya.
"Er bewegte sich langsam und berechnend. Er war ruhig und machte keine plötzlichen Bewegungen.
Es schien, als ob es einen Plan hinter all den Bewegungen gäbe."

Lippestad fragte nach der Situation, in der Breivik ihnen folgte.
"Er appellierte an unsere Aufmerksamkeit, dann sah ich, dass er sein Gewehr hob. Da hatte ich meinen Vater noch am Telefon. Ich warf mich ins Wasser, danach war das Telefon tot.
Ich glaube, Breivik trug Uniform, um uns zurück zu locken und unser Vertrauen in die Polizei zu missbrauchen."

Ihler zeigt anhand einer Karte, wo sie sich an der Südspitze befanden.
Bei einem Bild mit niedriger Auflösung, das vor Gericht gezeigt wird, sieht man jemanden im Wasser sitzen. Angesichts des Ortes und der Zeit denkt Ihler, sie könnten dort abgebildet sein.

Ein Anwalt fragt nach dem telefonischen Kontakt mit den Eltern, den er von der Insel hielt.
"Mein Vater blieb ruhig und gab mir Anweisungen, für meine Mutter im Hintergrund war es sehr hart. Der erste Kontakt währte etwa 20 Minuten, danach folgten mehrere kurze Gespräche."

Es wird ein Bild gezeigt, das vom Festland aus gemacht wurde. Ihler sagt:"Ich hatte da noch nicht das Gefühl, sicher zu sein, oder dass die beiden Jungen und ich in Sicherheit seien.
Es war sehr weit von einer normalen Realität. Es war schrecklich für uns."

aftenposten.no Tag 15

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Geschrieben von

SuzieQ

never ever perfect

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