Oslo Der Prozess - Anders Behring Breivik26/1

Gerichtsverhandlung Tagesbericht

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Dienstag, 29.05.2012

26.Prozesstag Teil 1

Heute werden vier von ABBs ehemaligen Freunden aussagen. Die Aussage seine Mutter war geplant, doch sie kann aus Krankheitsgründen nicht erscheinen. Es ist nicht sicher, ob ihre Aussagen in der Vernehmung durch die Polizei im Gericht verlesen werden. Alle Freunde möchten, dass die Medien sie nicht identifizieren und ABB während ihrer Zeugenaussagen nicht anwesend ist. Breivik stimmt dem zu.

Auf Anfrage von Richterin Arntzen begleiten zwei der vier psychiatrischen Experten ABB in einen anderen Raum, je einer der zwei Teams, um ihn während der Aussagen beobachten zu können.

Der erste Zeuge.

Wir trafen uns das erste Mal, als wir in die gleiche Klasse der Grundschule gingen. Wir lebten auch in der gleichen Gegend. Wir spielten zusammen. Er war wie jeder andere auch. Zu dieser Zeit war er mein bester Freund. Er wollte nicht auffallen. Der Kontakt lockerte sich, als wir später verschiedene Schulen besuchten. Noch später konzentrierte ABB sich auf seine Arbeit und darauf, Geld zu verdienen. Er entschied, die High School abzubrechen und in einer Telemarketing-Firma eine Ausbildung zu machen. Wir waren eine Clique und hielten zusammen, trafen uns am Wochenende, gingen aus, auch ins Kino... Wir mochten ihn, er mochte uns, ich fand ihn auch ziemlich klug.

Er war sehr um sein Aussehen und seine Kleidung besorgt, aber vor allem um seine Haare. Er hatte mit 18 eine Nasen-OP. Er wollte nicht sagen warum, aber ich glaube mich zu erinnern, dass er eine arische Nase wollte. Er war gesellig und nie in eine Schlägerei verwickelt. Er war einfach "etwas Besonderes", zB entschied er sich, andere Kleidung als der Rest von uns zu tragen oder trug nachts im Club eine Sonnenbrille. Er dachte, das sei cool, wir dachten das nicht, aber er tat es trotzdem.

Auf Anfrage des Staatsanwalts: Ich kann mich nicht erinnern, dass dem Angeklagten, wie er selbst behauptet, bei einem Kampf mit jungen Menschen ausländischer Herkunft die Nase gebrochen wurde. Kannst du dich erinnern, dass der Angeklagte zu dieser Zeit rassistische Einstellungen gegenüber Ausländern oder Muslimen hatte? - Nein. Kannst du dich überhaupt an rassistische Äußerungen des Angeklagten erinnern? - Nein. Ab etwa 2005 hatten wir alle nicht mehr viel Kontakt zu ihm, er saß in seinem Zimmer und spielte "World of Warcraft", saß nur da und spielte. Ende der 2000er wussten wir, dass er ein Buch schrieb, eine Sammlung anti-islamischer Texte. Ich habe nicht wirklich verstanden, warum er es tat, ich sah dafür keinen Grund. ABB isolierte sich und wollte sich nicht mehr mit uns treffen. Er verwahrloste ein wenig, verließ selten das Haus.

Staatsanwältin Engh fragt nach der Mutter Breiviks. Ich bin dort viele Jahre ein- und ausgegangen, ich hatte das Gefühl, dass er eine gute Beziehung zur Mutter hatte. Sie war immer da, es fehlte an nichts zu Hause. Ich habe den Eindruck, dass er seine Mutter liebte. Als er zurück zu seiner Mutter zog, war er die meiste Zeit in seinem Zimmer, hatte wenig Kontakt zu ihr. Seine Schwester lebte in den USA und ABB besuchte sie dort. Breivik erklärte, dass er auf dem Hof bei Reina Zucker und Weizen kultivieren wolle, ich war verblüfft, informierte mich, weil ich neugierig war. Aber es schien plausibel. Ich dachte, er findet immer einen Weg, Geld zu verdienen. Ich fand es gut, dass er aus seinem Zimmer herauskam und dass er etwas Neues ausprobierte. Wenn es nicht gut ginge, konnte er ja wieder zurück.

Zum Thema Kontakt mit dem Angeklagten auf Facebook Ca. 2010 entdeckte ich, dass er auf Facebook war, aber ich reagierte mehr darauf, dass er so viele "Freunde" hatte, mehr als 3000. Eine Frau hatte geschrieben, dass der Angeklagte "ein guter Repräsentant der arischen Rasse" sei. Ich konfrontierte ihn damit, und er antwortete, dass das ein bisschen peinlich sei.

Er hatte ein gutes Verständnis des Korans und über inhaltliche Details sprach er zB mit muslimischen Taxifahrern. Er war dabei immer fair. Ab 2010 war er wieder "mehr er selbst", er war ordentlich gekleidet, war wieder eher so wie früher. Ich traf ihn im April 2011 direkt vor der Firma, wir wechselten ein paar Worte, er schien ok, ich konnte auch nichts 'Unnormales' feststellen. Wir waren Mitglieder des gleichen Fitness-Studio und trafen uns dort zufällig ein paar Mal, das war 2010. Das einzig Auffällige war ein nervöses Lächeln.

Ein weiterer Freund aus der High School sagt aus.

ABB war fleißig, gewissenhaft, konzentriert und ein wenig egozentrisch. Er verwandte seine ganze Zeit und Energie darauf, Probleme zu lösen. Was er tun wird, ob es viel Arbeit sei, konzentrierte sich darauf, hatte keine Zeit für etwas anderes. Ich war etwas besorgt wegen seiner Erscheinung, über sein Verhalten. Er war mit Geld verdienen beschäftigt. Ich glaube, er hat es gut gemacht, wenn auch nicht auf Anhieb, er hat vieles probiert. Das war ihm wichtiger als ein Schulabschluss.

Er begann als Telemarketeer, wurde Teamleiter, wir arbeiteten von 1997 bis 2002 zusammen, er war gewissenhaft. Er hatte Kontakte zu Kollegen, er wurde gemocht. Wir lebten unter einem Dach. Als er sein eigenes Unternehmen gründete, zog er sich zurück und nachts spielte er das Spiel, es gab immer weniger Kontakt. Er wollte auch nichts davon hören, dass man seine Zeit besser verbringen könne.

2003 zog er aus, in eine richtige Junggesellenbude, viel Tiefkühlkost, 2 Computer. Er erstellte falsche Diplome und spielte. Er ging nicht ans Telefon, öffnete die Tür nicht.

2006 zog er ins Haus seiner Mutter, wir dachten jetzt spinnt er, vielleicht isoliert er sich, weil er Depressionen hat oder versteckt sich, weil er homosexuell ist... Wir haben alles mögliche versucht, es war extrem schwierig, Kontakt zu ihm zu bekommen. Als er 30 wurde, fuhren wir zu ihm, seine Mutter öffnete und sagte, sie habe klare Anweisungen von ihm erhalten, auch an seinem Geburtstag möchte er niemanden sehen. Wir wollten das Beste für ihn und bekamen als Antwort, dass er keine Gelegenheit oder Zeit hat. Ich habe noch nie dergleichen erlebt. Wenn jemand auf diese Weise jeden Kontakt abbricht, ist das sehr verletzend. Manchmal rief er an, aber nur etwa dreimal im Jahr, keine mails, selten SMS.

Wir haben versucht herauszufinden, was geschehen war. Gleichzeitig wollten wir vorsichtig sein, nicht zu konfrontativ. Ich fühlte, dass er keinen Lebensmut mehr hatte. Wir trafen uns einen Monat vor dem 22. Juli in einem Café. Ihm war es wichtig, dort zu sitzen und über Politik zu reden. Darum ging es ihm. Es war anstrengend. Aber es war schön, dass er draußen war.

Wir trafen uns auch mit einigen Freunden im Winter in einem Restaurant. Besonders eine Sache war merkwürdig. Ich fragte, ob er nicht ein Bier trinken und sich entspannen wolle. Er sagte, er könne das nicht, weil er anabole Steroide nähme und dass Alkohol für den Körper schädlich sei. Er sagte es laut über den Tisch, in aller Öffentlichkeit. Dann lachte er darüber. War es ein Scherz oder ernst gemeint? Keine Ahnung.

Als er auf den Hof bei Rena zog, dachte ich, wie seltsam. Aber ich dachte auch, er hätte keine Depressionen mehr und würde wieder Geld verdienen. Er sagte, er könne sich die Miete leisten und wäre in den schwarzen Zahlen. Er war so, wie ich ihn kannte - er war daran interessiert, Geld zu verdienen.

Breivik erzählte mir von einem Buchprojekt. Er gab viele Informationen, doch er hatte keine Qualifikation dafür. Ich fragte, aber er antwortete nicht. Es war typisch Anders, dass er Fragen auswich. Es ging nicht wirklich um das Buch, Anders' Thema war Einwanderung. Ab etwa 2006 war er sehr besorgt deswegen.

Holden fragt nach der Bedeutung von 'er hatte seinen Lebensmut verloren'. -Wenn du Hoffnung und den Glauben an etwas verlierst, verlierst du Hoffnung und den Glauben an alles. Er war deprimiert, nicht überschwänglich. Er lächelte weniger. War bemüht, die Einwanderungspolitik zu diskutieren. Nicht mehr so sozial wie früher eingestellt. Er war still und saß ruhig. Er begrenzte den Kontakt auf höchstens ein paar Stunden. Er war weit nach rechts gerückt, aber nicht extrem. Der Schwerpunkt lag auf Einwanderung und Islam, dem Wert der europäischen Gemeinschaft, die er bedroht sah. Breivik erfand das Konzept der "Multikulturalisten". Ich glaubte, es sei ein konstruiertes Wort - jetzt weiß ich es beser. Dieses Wortes bedienen sich diejenigen, die besorgt sind von dieser Art von Politik. "Selbstmörder" und "Sozial-Darwinismus" waren andere Worte, die er verwendete. Manchmal wurde er wütend, erhitzt, hatte kein Verständnis, dass es auch andere Ansichten gibt. Seine Wirklichkeit war die einzig richtige. Es war nicht möglich, zu ihm durchzukommen. Ich bin sicher, er begann diese Ausdrücke zu verwenden, als er zu seiner Mutter zog.

Er war auch sehr besorgt über sein Aussehen. Er glaubte, er habe eine "arabische"Nase und wolle das Nasenbein korrigieren lassen.

Holden fragt nach der Beziehung ABBs zu seiner Mutter. -Sie hatten eine enge, freundschaftliche Beziehung, wie Mutter und Sohn eben, nichts unnatürliches. Sie freute sich, ihn wieder bei sich wohnen zu haben. Verteidiger Lippestad fragt nun.

Zum Thema Nase: Ich interpretierte es als reine Eitelkeit, dass er mit seinem Aussehen nicht zufrieden war.

Zum Thema ins Haus der Mutter ziehen Er war nicht gut drauf, als er nach Hause zog. Er wurde immer ruhiger, war deprimiert. Aber es war gut, dass er weg von Hektik und Karriereplanung kam. Er hatte keine Identitätskrise.

Zum Thema Computerspiele Anders machte den Eindruck, als wäre er auf einem hohen Niveau. Das erfordert Zeit-und Arbeitsaufwand.

Zum Thema Geld verdienen Ich fragte, wie viel er verdient, aber ich bekam keine Antwort. Ich hatte den Eindruck, dass er gutes Geld machte. Er hatte zwei Mitarbeiter.

Zum Thema Orientierungssinn Sehr wenig Orientierung in Raum und Zeit. Ich erinnere mich, dass er, als wir im Café waren, nicht weit entfernt geparkt hatte. Er lief erst in die eine, dann in die andere Richtung, das war typisch für ihn. Er findet sich schlecht zurecht? -Ja. Kam er pünktlich zum Treffen? Wir trafen uns zufällig. Er rief mich an und fragte, ob ich Zeit hätte. Und ihr vereinbartet Ort und Zeit? -Er kam zu mir nach Hause.

Du dachtest, er sei depressiv? Ja, dachten wir, ohne direkt zu werden.

Dachtest du, eine Behandlung sei nötig? Schwierig, seinen Zustand zu beurteilen. Nein, eher nicht. Wir besprachen untereinander, dass wir, falls Anders depressiv sei, es niemandem sagen würden.

Zum Thema mögliche Homosexualität Er war sehr zufrieden mit seinem Aussehen, ein bisschen feminin. Er war nicht rau oder rüpelhaft, antwortete sorgfältig und nicht flüchtig. Er benutzte Kosmetika, Make-up und Puder und erklärte, er sei "metrosexuell". Und er hatte nicht viele langfristige Beziehungen mit Frauen. Ich hatte es erwogen.

Zum Thema Freimaurerloge Breivik war sehr daran interessiert, dort Mitglied zu werde und erklärte mir, dass er einen "Kameraden" benötigte, um dort Mitglied zu werden. Was war es, das ihn zu dieser Organisation zog? - Das weiß ich nicht.

Richterin Arntzen fragt nach ABBs Stimmung. Als ich ihn traf, hatte er vielleicht einen schlimmen Tag, doch er konnte glänzen - aber insgesamt fühlte ich, dass er weniger Lebensmut hatte als zuvor.

26. Prozesstag Teil 2

aftenposten.no Tag 26

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Geschrieben von

SuzieQ

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