Südafrika-Festival Nach den Gräueln der Apartheid feiert das Land nun 20 Jahre Demokratie. Ein Festival im Berliner Haus der Kulturen der Welt zeigte, wie zerrissen es noch ist
Ich erinnere mich, vor zwölf Jahren, bevor ich zum ersten Mal dort war, konnte ich mir Südafrika einfach nicht vorstellen. Indien, Kanada, Argentinien, da ging etwas, Filme, Bilder, Erzählungen, diese Länder gab es in meinem Kopf – aber nicht Südafrika. Dabei hatte ich mich gegen Apartheid engagiert: „Free Mandela!“ Faust hoch! Trotzdem. Keine rechte Vorstellung. Auch dann noch nicht, als wir mit zwei kleinen Kindern ziemlich spontan hinzogen, in die Nähe von Kapstadt. Unser Leben dort wurde so überraschend wie die Geschichte, die der Film Searching for Sugar Man erzählt.
Nach zehn Jahren am Kap kamen wir im Frühjahr zurück nach Berlin, verändert. Afrikaner nun wir selbst, oder auch: Afroberliner, nicht hier, nicht da
nicht da zu Hause, wohl aber im Traum von einer besseren Welt. Und genau das ist die Geschichte Südafrikas und seiner Menschen. Elf offizielle Sprachen, noch mehr Kulturen. Das wilde, schöne, weite Land war von Anfang an ein Sehnsuchtsort für Wandernde, für Hirten, Siedler, Händler, Missionare, Spekulanten, Künstler, Bauern, Ideologen, Flüchtlinge, Dichter und Träumer. Keiner hatte hier seine Wurzeln, außer den Buschleuten. Das spiegelte auch die Vielfalt des Programms, das nun im Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) zu sehen war, beim Festival 20 Jahre Demokratie in Südafrika.Die Energie der „Born Frees“Zur Eröffnung große Gefühle: Mit Hunderten anderen standen wir in dem berühmten Kongressgebäude, der Schwangeren Auster, und sangen Martin Luther Kings Lieblingslied: We shall overco-ho-home, we shall overco-o-ome! Vorn stand Peter Krämer, Gründer des Projekts Schulen für Afrika, und sprach über die Bedeutung der Bildung für die Demokratisierung des Landes. Diejenigen, die nach dem Ende der Rassentrennung zur Welt kamen, werden Born Free Generation genannt. Die noch immer andauernde, bleierne Aufarbeitung der Apartheidsjahre ist ihnen oft fremd.„Wieso fragen hier immer alle nach Mandela?“, wollte etwa die 17-jährige Freundin unserer Tochter wissen, ein junges Mädchen aus Südafrika, das gerade bei uns in Berlin zu Besuch war. Mandela, dieser Name ist für sie „so letztes Jahrhundert“. Ich stand vor vielen Schülern in Südafrika, las und sprach, und war begeistert von der Energie, besonders in den Townships. Die Apartheid war für die jungen Leute langweiliger Schulstoff. Dafür kannten sie fast jeden Satz von Trevor Noah auswendig, einem Stand-up-Comedian, der die Political Correctness in den Hintern tritt.Vergeben – aber nicht vergessen, das war Mandelas Prinzip. Vieles im HKW-Programm beschäftigte sich mit dem Erinnern, etwa die großartige Dokumentation Exile Faces des in Berlin lebenden Regisseurs und Schauspielers Thabo Thindi. Seine Flüchtlingsgeschichten erzählen von Heimatlosigkeit, gebrochenen Herzen, der Suche nach einer Identität. Gleichzeitig wurde Südafrika die neue Heimat vieler Afrikaner, die andere Regionen des Kontinents verlassen mussten. Das freie Südafrika war und ist sie für ein Land der Hoffnung, wie im HKW der Dokumentarfilm Africa Shafted: Under One Roof von Ingrid Martens zeigte: In einem Hochhaus mitten in Johannesburg kommen Tausende Exilbiografien unter einem Dach zusammen.Njabulo S Ndebele, Schriftsteller und seit 2012 Rektor der Universität von Johannesburg, sprach in einem langen Vortrag über den neuen Reichtum der nichtweißen Bevölkerung. Er erzählte auch, dass viele nun mit ihrem Wohlstand wieder in die Townships ziehen, zurück in die lebendige Straßenkultur, nachdem sie ein Leben in den langweiligen Vororten ausprobiert haben, die einst als rein weiße Bezirke galten.Ndebele schlug einen elaborierten historischen Bogen. Von einem Township-Bewohner erzählt, wäre es wohl eine bessere Geschichte gewesen. Auch das ist ein Gespenst der Vergangenheit: Etliche Kämpfer des sozialistischen ANC gingen ins Exil wie Thabo Mbeki, der Nachfolger Mandelas als Präsident, und tragen ihre Bildung vor sich her. Viele Südafrikaner konnten Thabo bei seinen Reden an die Nation nicht ganz verstehen, seine auf britische Art gespreizten langen Sätze mit vielen Fremdwörtern. Auch deshalb wurde er entmachtet.Nach Mbeki kam Zuma, der Mann ohne Bildung, dafür mit vielen Frauen und einem protzigen Haus. Er verkörpert den Millionär, der einst ein Tellerwäscher war. Korruptionsvorwürfe sitzt er einfach aus. Unter Zuma kamen Stammestraditionen wieder in Mode, plötzlich musste sich jeder Geschäftsmann in der Wildnis von einem Schamanen mit stumpfer Rasierklinge beschneiden lassen. Jüngere, fortschrittlichere Südafrikaner mögen lieber die Traditionspflege, wie sie der DJ und Produzent Nozinja mit seinem Projekt Shangaan Electro betreibt. Er verbindet Stammestänze mit trashiger Moderne, sehr tanzbar. Das Südafrikabild, das das HKW zeigte, ist ein Anfang. Manches ist noch sehr in der Vergangenheit verhaftet. Aber die Energie der Born Frees wird sich nicht bremsen lassen. Wir können viel lernen von den Südafrikanern – dachte ich, als ich in einer der spätsommerlichen Festivalnächte aufs stille Kanzleramt schaute. Hinter mir spielte die Jazz-Größe Hugh Masekela auf der Bühne, und das Berliner Publikum tanzte, als hätte es nie etwas anderes gemacht.
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