Aktivisten, Antichristen und Monet: Über die Letzte Generation

Meinung Vom Sinn und Unsinn des Unruhestiftens: Aktivist:innen der letzten Generation haben Kartoffelbrei auf Gemälde geworfen und sich auf Autobahnen festgeklebt. Da fragt sich mancher, wem die Aufmerksamkeit eigentlich zugute kommt. Zu Recht?
Ausgabe 01/2023
Ist dieses Bild mehr als nur gute PR?
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Foto: Imago/Christian Grube

Beim Nachdenken über die selbst ernannte „Letzte Generation“ kam mir ein Comic des Schriftstellers und Zeichners Robert Gernhardt in den Sinn: „Wo dieser Strich zu Ende ist, da wartet schon der Antichrist“, lautet der Text, zu sehen sind ein langer Strich und, nun: der Antichrist. Gewissermaßen stellt sich die „Letzte Generation“ ja an das Ende einer Linie, die in die falsche Richtung zeigt, nämlich immer noch zu weit nach oben, und tut deswegen, was der Antichrist tut: Sie stört und nervt die guten Christen, die doch einfach nur in Ruhe ihr gutes christliches Leben weiterleben wollen.

Der Vergleich hinkt natürlich etwas, denn die „Letzte Generation“ will das Christentum nicht zerstören. Aber er passt insofern, als es sowohl beim Antichrist als auch bei der Protestgruppe um Figuren der Endzeit geht. Nach der letzten Generation kann ja nichts mehr kommen, auch nicht mehr die allerletzte oder die allerallerletzte. Das ist es doch, was die „Letzte Generation“ den guten Christen und allen anderen klarmachen will: Genug auf Kirchenbänken, Gebetsteppichen oder Yogamatten rumgesessen, wenn wir jetzt nichts tun, dann war’s das mit der Menschheit.

Der Vergleich mit dem Antichrist passt aber auch insofern, als die Protestgruppe von vielen als der Antichrist beschimpft wird, der bereit sei, über Leichen zu gehen und über kaputte Gemälde. Mitglieder der Gruppe haben im vergangenen Jahr mehrfach Straßen und Rollfelder blockiert, indem sie ihre Hände mit Sekundenkleber darauf festklebten.

Wer nimmt hier wen in „Geiselhaft“

Und sie haben Gemälde mit Lebensmitteln beworfen, etwa das Bild Getreideschober von Claude Monet mit Kartoffelbrei. Die Gemälde waren allerdings alle hinter Glas, und höchstwahrscheinlich ist auch noch niemand durch die Verkehrsblockaden gestorben. Das wurde zwei Aktivisten zwar vorgeworfen, die sich auf der A 100 in Berlin festgeklebt und dadurch die Fahrt eines Rettungsfahrzeugs zu einer verunglückten Radfahrerin, die später im Krankenhaus starb, verlangsamt hatten. Allerdings wurde die Fahrt nur um wenige Minuten verzögert, und die Frau war bereits von anderen Rettungskräften geborgen worden. Berlins SPD-Innensenatorin Iris Spranger fand trotzdem, die Aktivistengruppe nehme die Bevölkerung in „Geiselhaft“.

Diesen Vorwurf könnte man genau so an die Politik zurückgeben, die uns mehr oder weniger tatenlos in die Klimakatastrophe jagt, weil es ihr zu anstrengend ist, etwas dagegen zu tun. Die Klimabewegung versucht sie seit Langem auf jede erdenkliche Art dazu zu bewegen: Demonstrationen, Blockaden, Appelle, Streiks – da ist es nur verständlich, es auch mal mit unangenehmeren Methoden zu probieren. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin prüft nun den Verdacht, die „Letzte Generation“ habe sich der Bildung einer kriminellen Vereinigung schuldig gemacht. Mehr als 1.300 Menschen haben sich daraufhin bereits selbst angezeigt.

Die Aufmerksamkeit ist also da. Nur liegt sie vor allem auf der „Letzten Generation“, weniger auf der Verhinderung des Klimakollaps.

Das Problem: Die Aktionen haben kaum bis gar nichts mit dem Klima zu tun. „Peinliches Geständnis: Wusste nicht, dass der Klimawandel von französischen Impressionisten verursacht wurde“, brachte das Scott Shapiro auf den Punkt, Professor für Recht und Philosophie in Yale. Es ist schwierig, wenn man die Aktion erst erklären muss – und wenn sie selbst dann unklar bleibt. „Man sollte nicht auf die Sprache der Maler hören, sondern auf die Sprache der Natur“, hatte eine Klimaaktivistin zur Erklärung Van Gogh zitiert.

Ich sag’s jetzt mal, wie es ist: Die Sprache der Natur wird ziemlich unmissverständlich werden, wenn wir klimapolitisch nicht bald aus dem Knick kommen, Kartoffelbrei hin oder her.

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