Alles Gute!

Digitalisierung Unsere Kolumnistin singt zum 30. Geburtstag eine kritische Lobeshymne auf das Internet
Ausgabe 17/2019
Früher sagte man noch Cyberspace, heute ist es eher die Cloud
Früher sagte man noch Cyberspace, heute ist es eher die Cloud

Foto: Vladimir Simicek/AFP/Getty Images

Juchee, du wirst jetzt 30, liebes Internet! Darauf möchte ich einen Toast ausbringen. Am 30. April 1993 setzte Tim Berners-Lee dich, oh du körperloser Dschinn, in die Welt. Dein Verschwinden kann und will sich niemand mehr vorstellen – nicht einmal diejenigen, die noch eine Welt ohne Suchmaschinen und digitale Freundschaftsbücher kennengelernt haben. Während deiner dreißig Lebensjahre haben wir so gut wie alles in deinen glorreichen Cyberspace verlagert, weil es da einfach besser, schneller und schöner ist. Wir tauschten den Brockhaus gegen Wikipedia ein, Briefe gegen E-Mails, das Telefon gegen Skype, die Plattensammlung gegen Spotify, das Fernsehen gegen Youtube, Lächeln erst gegen *g*, dann gegen lol und :-). Und seit wir zu begreifen beginnen, dass die Welt und ihre Ressourcen endlich sind, haben wir auch das Gefühl, dem Klima damit einen großen Dienst zu erweisen, denn aus materiell wird ja immateriell, also aus etwas: nichts.

Dem liegt der beinahe drollige Irrglaube zugrunde, du, liebes Internet, seist eine diffuse Wolke, welche die Laster der stofflichen Welt auf wundersame Weise überwunden hat. Tja, es ist ein bisschen unglücklich, das jetzt ausgerechnet zu deinem Geburtstag richtigstellen zu müssen, aber das ist natürlich Quatsch. Du bist mit Rechenzentren, Sensoren, Unterseekabeln, Computern, Smartphones und anderen digital vernetzten Geräten wie Autos und Kühlschränken eigentlich gar nicht wolkig, sondern sogar äußerst handfest – und leider ein handfestes Problem.

Letztes Jahr haben deine vier größten Konzerne Google, Amazon, Microsoft und Facebook mehr Geld investiert als die Bad Boys des Klimaschutzes: Shell, Exxon, BP und Chevron. Laut einer neuen Studie der französischen Denkfabrik „The Shift Project“ bist du Dschinn, materialisiert in der Informations- und Kommunikationstechnologie, für 3,7 Prozent der globalen CO₂-Emissionen verantwortlich, das ist fast doppelt so viel wie der Anteil der zivilen Luftfahrt. Und weil wir mit der Digitalisierung längst nicht fertig sind, wächst du stetig. Wir freuen uns ja, dass du schon so groß geworden bist – aber du machst dabei leider zu viel Schmutz: Wenn du so weitermachst, bist du 2025 für acht Prozent der Emissionen verantwortlich.

Zum Hashtag #Flugscham können wir also gleich #Internetscham setzen – ja, wir müssen uns für dich schämen. Besser, schneller, schöner ist an dir leider gar nichts. Du bist dann doch nur ein virtueller Spiegel unserer analogen Welt, mit all ihren Unzulänglichkeiten und all ihrem Schmutz. Bleib also nicht, wie du bist. Noch bist du jung, mach was draus.

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