Keiner weiß warum

Umwelt Zum neunten Mal soll in Hamburg die Elbe vertieft werden. Das Sterben des drittgrößten Hafens Europas wird damit nur hinausgezögert
Ausgabe 24/2020

Ein recht unscheinbares Gewächs ist der Schierlings-Wasserfenchel. Die krautige Pflanze trägt bescheidene weiße Blüten, ihre rautenförmigen Blätter werden als wenig individuell beschrieben, sondern eher verwechselbar, sie gleichen denen des Schwarzstieligen Streifenfarns. Kurzum: Würden Sie den Schierlings-Wasserfenchel sehen, so liefen Sie höchstwahrscheinlich achtlos an ihm vorbei. Damit hätten Sie seinen wahren Glanz jedoch verkannt, denn der ist rein historischer Natur, also für das Auge unsichtbar. Das unscheinbare Gewächs aus der Familie der Doldenblütler hätte nämlich beinahe der Stadt Hamburg ihre Identität gekostet, genauer gesagt ihren Hafen – und ohne Hafen ist Hamburg nichts.

Denn der Schierlings-Wasserfenchel war es, an dem sich die letzte juristische Auseinandersetzung um die Elbvertiefung aufhängte. Ja, auf dieser schnöden Pflanze ruhte die ganze Hoffnung der Umweltschützer von BUND, Nabu und WWF, die neunte Vertiefung der Elbe am Ende doch noch verhindern zu können.

Denn der Schierlings-Wasserfenchel wächst außer in der Tideelbe nirgendwo sonst auf der Welt, er ist laut der Roten Liste der Farn- und Blütenpflanzen Deutschlands vom Aussterben bedroht, und die EU-Fauna-Flora-Habitat-Richtline gebietet der Bundesregierung, ihn zu schützen. BUND, Nabu und WWF klagten deshalb gegen das geplante Abbaggern seines Habitats – doch vergebens. Ende vergangener Woche wies das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig die Klage ab und beendete damit einen 18 Jahre währenden Streit, in dem sich die Baggergegner zuletzt verzweifelt an den letzten Fenchelhalm geklammert hatten. Nun muss der Schierlings-Wasserfenchel in zwei alte Absetzbecken der Hamburger Wasserwerke umziehen – und einer sündhaft teuren Vertiefung Platz machen, von der äußerst fraglich ist, ob sie der Hansestadt den ersehnten Geldregen bescheren wird. Für 700 bis 800 Millionen Euro – in etwa so viel wie die Kosten der Elbphilharmonie – soll die Fahrrinne so weit vertieft werden, dass auch Containerschiffe mit einem Tiefgang von bis zu 13,50 Metern den Hafen erreichen können. Blöd nur, dass im Verlauf des 18-jährigen Streits die Schiffe längst größer geworden sind, als man sich das damals ausgemalt hatte. Und zwar nicht tiefer, sondern länger und breiter.

Schiffe, die zusammen 90 Meter breit sind, passen auf der Elbe nicht aneinander vorbei. Das derzeit größte Handelsschiff der Welt ist 61 Meter breit. Also wird es eng auf der Elbe. Die ist und bleibt nun mal ein Fluss, sie wird niemals ein Meer. Genau aus dieser Überlegung heraus ist 2012 denn auch der Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven eröffnet worden. Wilhelmshaven liegt am Meer. Schiffe können da so groß sein, wie sie wollen. Hamburg wollte sich ursprünglich sogar an dem Hafen beteiligen – bis der CDU-Politiker Ole von Beust 2001 Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt wurde und lieber einen eigenen großen Hafen wollte.

Seitdem setzt der Jade-Weser-Port Staub an. 2018 schlug er gerade mal knapp 656.000 Container um, statt 2,7 Millionen, für die er gebaut wurde. Die Wilhelmshavener werden den Hamburgern jetzt einfach noch ein paar Jahre lang zuschauen müssen, wie sie ihren Fluss zum neunten und voraussichtlich letzten Mal ausbaggern, um das Unvermeidliche noch ein bisschen weiter hinauszuzögern: das Ende des drittgrößten Hafens Europas.

Das ist bitter für Hamburg, zu dem das Ankertattoo auf dem Oberarm gehört wie zu keiner anderen Stadt. Immerhin für den Schierlings-Wasserfenchel aber sind das doch rosige Aussichten: Von seiner neuen Heimat aus wird er sich bald ungestört über den gesamten Hamburger Hafen ausbreiten können. Und als Tattoo sähe er vielleicht gar nicht so schlecht aus.

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