Liebe Mitmenschen, die Weltlage sieht finster aus, aber wir können ruhigen Gewissens durchs Leben gehen: Wir können nichts mehr falsch machen. Denn alles ist nun „nachhaltig“: Coffee-to-go-Becher (aus recycelten anderen Bechern), Zahnbürsten (aus Bambus), Müllbeutel (aus Maisstärke), ja sogar Flugreisen (dank CO₂ Ausgleichszahlungen). Schon morgens beim Zähneputzen retten wir also quasi ein bisschen die Welt.
Neu aufgenommen werden auf die Nachhaltigkeitsliste könnten nun auch Gas und Atomkraft, und zwar ganz offiziell per Entscheid der EU-Kommission. Die will nämlich in den nächsten Tagen ihre sogenannte Taxonomie festlegen.
Die Taxonomie soll definieren, was künftig in der Europäischen Union als grüne Investition gilt und deswegen politisch und finanziell unterstützt wird. Und da sollen Gas und Atomkraft nicht fehlen. Klar, ersteres setzt CO₂ frei und Letzteres verursacht jede Menge hochgefährlichen Müll. Deswegen war Deutschland auch lange dagegen, auf dem letzten EU-Gipfel änderte Bundeskanzlerin Angela Merkel aber überraschend ihre Meinung. Sie hat zwar bald nichts mehr zu sagen, Olaf Scholz aber eben noch nicht. Genau durch diese Lücke hindurch will nun EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen diese (Atom-)Bombe schieben.
Jetzt kann man sich fragen: Warum zur Hölle macht Atomausstiegs-Angela das? Man munkelt, sie wolle ihren französischen Freunden damit einen letzten Gefallen tun. Frankreich schreit nämlich am lautesten danach, vor allem Atomkraft in die Taxonomie aufzunehmen (der Freitag 42/2021). Das verwundert wenig: Das Land betreibt nach den USA die zweitmeisten Atomkraftwerke weltweit, chapeau!
Äußerst ungelegen dürfte es Frankreichs Präsident Emmanuel Macron da kommen, dass gerade jetzt ein Whistleblower über vertuschte Zwischenfälle in einem französischen Atomkraftwerk auspackt. Der Mann, von der Zeitung Le Monde „Hugo“ genannt, berichtet von einer internen Überschwemmung im Kraftwerk Tricastin und von anderen nicht gemeldeten Unfällen, er reichte nun Klage gegen den Betreiber, den französischen Staatskonzern EDF, ein, unter anderem wegen „Gefährdung des Lebens anderer“. Stehen wir also viel häufiger als gedacht vor Super-GAUs?
Vor diesem Hintergrund scheint es noch zynischer, die Atomkraft als „nachhaltige“ Energie fördern zu wollen. Wobei: Laut Duden lässt sich das Wort „nachhaltig“ als „sich auf längere Zeit stark auswirkend“ definieren. Und das wäre ein Atomunfall ja schon, Plutonium hat eine Halbwertszeit von 24.000 Jahren – wenn das mal nicht wirklich nachhaltig ist.
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