Filmreif geht die Welt zugrunde

#FridaysForFuture Greta Thunberg führt heute den Klimastreik in Hamburg an. Ihre Geschichte ist Hollywood-tauglich. Ein Happy End ist aber nicht in Sicht
Ausgabe 09/2019
Solange Schweden seine Klimaziele verfehlt, wird Greta Thunberg weiterhin entschlossen in die Kameras blicken
Solange Schweden seine Klimaziele verfehlt, wird Greta Thunberg weiterhin entschlossen in die Kameras blicken

Foto: Fabrice Coffrini/AFP/Getty Images

Da ist dieses 16-jährige Mädchen mit den langen geflochtenen Zöpfen und dem Asperger-Syndrom, Greta Thunberg. Jeden Freitag trotzt sie Wind und Wetter vor dem schwedischen Parlament, in den Händen das handgeschriebene Schild „Skolstrejk för Klimatet“. Anfangs ist sie ganz allein und gibt für ihren wöchentlichen Streik sogar ihre Hobbys auf. Theater, singen, tanzen, musizieren, reiten, das geht jetzt alles nicht mehr, für das höhere Wohl. Sie sagt, sie gehe erst wieder freitags zur Schule, wenn ihre Regierung das 1,5-Grad-Ziel einhalte. So lange müssten die von ihr herausgeforderten Politiker mit der Gewissheit klarkommen, dass Greta ihretwegen den Unterricht verpasst.

Jetzt sind Gretas schulische und freizeitliche Versäumnisse, gemessen an der Weltpolitik, ungefähr gleichbedeutend mit dem berühmten Sack Reis, der irgendwo in China umfällt, oder eben nicht. Trotzdem weiß die ganze Welt von ihr, die Medien von Großbritannien bis Australien berichten, dass sie lieber Zug fährt, statt zu fliegen, dass ihr Vater natürlich gegen den Streik seiner Tochter sein müsse – außer in den Ferien – und dass es sie mit Hoffnung erfülle, dass nun so viele Kinder ihrem Beispiel folgen.

Wir Journalisten lieben sie, weil sie alles hat, was eine gute Geschichte braucht: die drohende globale Katastrophe, die blinde Masse und die kleine Heldin. Sie ist David gegen Goliath, Momo gegen die grauen Herren, Pippi Langstrumpf gegen das System. Sie darf zur Klimakonferenz und zum Weltwirtschaftsforum, um zwischen all den Anzug- und Kostümträgern für die Zukunft ihrer Generation zu kämpfen. Da steht sie dann, klein und unschuldig, und wirft den alten Damen und Herren vor, sich aufzuführen wie kleine Kinder. Wie zum Beweis behauptete Joke Schauvliege, Flanderns Umweltministerin, der belgische Geheimdienst habe Informationen, dass es sich bei den Schulstreiks um eine Verschwörung gegen sie handele, und musste zurücktreten. Das hätte sich doch auch Hollywood nicht besser ausdenken können.

Das Problem dabei: Wir verlieren uns in der Geschichte. Wir erliegen der Verlockung, zu glauben, dass sie wie jeder Hollywood-Streifen ein Happy End haben wird, bei dem die Kinder triumphierend auf den Konferenztischen der Erwachsenen tanzen. Und draußen scheint die Sonne genau so viel, dass sich das Weltklima um 1,5 Grad erwärmt, und nicht mehr.

Wir sollten uns der Klimakrise zuwenden, statt denen, die auf sie aufmerksammachen. Denn, um es mit Greta Thunbergs eigenen Worten zu sagen: „Wir wiederholen nur, was die Wissenschaftler sagen.“

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