Industrielle Nebelkerzen

Fußabdruck Sollte man Single bleiben, um das Klima zu schützen? Nein. Make love, not CO₂!
Ausgabe 30/2021
Nur zu, bekommen Sie ruhig Kinder, wenn Sie wollen
Nur zu, bekommen Sie ruhig Kinder, wenn Sie wollen

Foto: Zuma Wire/imago

Teile Deutschlands und Chinas werden überflutet, Nordamerika ächzt unter extremer Hitze, Waldbrände wüten dort, auch in Sibirien und Südeuropa, den Olympioniken in Japan droht der Hitzschlag und der britische Wetterdienst gibt zum ersten Mal in seiner Geschichte eine Hitzewellen-Warnung raus. So sieht der Klimawandel aus – nur ein Vorgeschmack auf das, was uns noch bevorsteht.

Eine Studie aus Schweden fand nun heraus: Männer tragen an all dem ein bisschen mehr Schuld als Frauen. Die Forschenden vergleichen das Verhalten von Single-Männern und Single-Frauen – sie finden die größten Unterschiede beim Autofahren mit Verbrennungsmotoren und beim Fleischessen. Weil Männer das – ganz ihrem Stereotyp entsprechend – mehr machen, heizen sie das Klima um genau 16 Prozent mehr an. Um konstruktiv zu sein, rechnen die Forschenden auch noch vor, dass beide Geschlechter ihren CO₂-Fußabdruck um ganze 40 Prozent reduzieren könnten, wenn sie auf eine vegane Ernährung umstellten und statt mit dem Flugzeug oder Auto mit dem Zug in den Urlaub führen.

Was sie unter den Tisch fallen lassen: Für das Klima wäre es außerdem am besten, wenn sie Singles blieben – oder zumindest keine Familie gründeten. Denn der größte Einfluss, den ein Mensch auf seine Treibhausgasemissionen nehmen kann, ist, weniger Kinder zu bekommen. Das fand eine ebenfalls schwedische Studie schon 2017 heraus. Die Forschenden kritisierten damals, dass die meisten Regierungen diese hochwirksame Maßnahme kaum erwähnten, sondern lieber auf Recycling oder Energiesparlampen verwiesen – uns allen dürfte mittlerweile dämmern, dass wir damit das Ruder nicht mehr herumreißen können. Weniger Kinder zu bekommen sei natürlich eine zutiefst persönliche Entscheidung, räumten die Forschenden ein, aber: „Es ist unsere Aufgabe als Wissenschaftler, die Daten ehrlich zu berichten.“

Okay, wenn wir schon dabei sind, die Daten ehrlich zu berichten, dann müssen wir hier fairerweise auch mal sagen: Wir und unsere Kinder sind nicht das Klimaproblem, sondern die fossile Industrie. Die 100 größten Hersteller fossiler Brennstoffe sind für 70 Prozent der Treibhausgase in der Atmosphäre verantwortlich, das belegt ein Report, ebenfalls aus dem Jahr 2017. Es kommt noch viel besser, denn das sind genau jene Kohle-, Öl- und Gaskonzerne, die uns einreden wollen, wir seien das Problem. Wissen Sie, woher der Begriff „CO₂-Fußabdruck“ kommt? Er stammt aus einer Werbekampagne von British Petroleum (BP) aus dem Jahr 2000. Vier Jahre später brachte BP seinen CO₂-Fußabdruck-Rechner raus – mit großem Erfolg: Mittlerweile umarmen Medien und Umweltorganisationen das Konzept, als wäre es ihr eigenes. Einige nennen das „gelungene Propaganda“.Natürlich ist es grundsätzlich nicht schlecht, sich selbst zu analysieren und einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Nur in einem System, das größtenteils durch fossile Energieträger befeuert wird, ist der Spielraum dafür eben sehr klein. Das zeigten Forschende des Massachusetts Institute of Technology eindrücklich, als sie den CO₂-Fußabdruck einer fiktiven obdachlosen Person in den USA berechneten, die in Suppenküchen aß und in Obdachlosenheimen schlief: Er lag immer noch bei 8,5 Tonnen im Jahr. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Durchschnitt bei 10,4 Tonnen, bis 2050 muss er runter auf zwei Tonnen, wenn wir eine starke globale Erwähnung vermeiden wollen.

Ihr „Fußbadruck“ wird darüber nicht entscheiden, sondern die (Un)Vernunft der fossilen Industrie. Mit anderen Worten: Bekommen Sie ruhig Kinder, wenn Sie wollen. Oder mit noch anderen Worten: Make love, not CO₂.

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