„Klima vor acht“ statt „Börse vor acht“?

ARD Aktivisten schlagen vor, ein verwaistes Nachrichtenformat zu ersetzen. Gute Idee!
Ausgabe 46/2020

Gucken Sie denn im Fernsehen die Börsennachrichten? Falls ja: Wirklich, weil Sie sich für die Börse interessieren? Oder doch eher aus Versehen, weil Börse vor acht in der ARD eben um kurz vor acht und damit kurz vor der Tagesschau läuft? Oder weil Sie es herrlich lustig finden, die Parodie von Martina Hill in dem (längst abgesetzten) Format Switch reloaded mit der originalen Anja Kohl abzugleichen? Aus der Parodie bleiben uns immerhin schöne Weisheiten wie: „Dem ganzen Stress kann man entgehen, vermeidet man es aufzustehen – an der Börse ist das nicht anders.“ Was aber bleibt uns vom Original? Das eingebrannte Bild der immer gleichen, ausgeschalteten Bildschirme im Hintergrund, die vermitteln sollen, dass man ganz nah dran ist, am Geschehen aber eben doch nicht – ist ja niemand da.

Diese tägliche Schalte zum verwaisten Parkett in Frankfurt am Main kann man als beruhigende Beständigkeit empfinden. Für die meisten ist das Treiben an der Börse aber vollkommen irrelevant, denn nur 15 Prozent der Menschen in Deutschland besitzen überhaupt Aktien, Tendenz sinkend. Warum sollten die restlichen 85 Prozent ihnen beim Handel damit zuschauen? Eine Gruppe von Aktivisten findet, sie sollten stattdessen etwas zu sehen bekommen, was sie alle betrifft, nämlich den Klimawandel. In ihrer Vorstellung soll aus Börse vor acht dann Klima vor acht werden. Per Crowdfunding hat die Gruppe schon 46.000 Euro eingesammelt, um die ersten Folgen aufzunehmen. Die ARD, die sich auf Drängen der Gruppe von ihrer 20 Jahre alten Börsentradition verabschieden soll, ist wenig begeistert und weist beflissen darauf hin, dass sich ja auch Börse vor acht regelmäßig mit den Zusammenhängen zwischen Ökonomie und Ökologie befasse.

So ganz unrecht hat die ARD damit nicht, denn die Börse thematisiert den Klimawandel längst – und zwar, indem sie auf ihn wettet. Anfang vergangenen Jahres titelte der US-amerikanische Finanznachrichtendienst Bloomberg: „US-Konzerne bereiten sich darauf vor, den Klimawandel zu monetarisieren“, und die Finanzplattform Marketwatch gibt „5 Tipps, wie Sie mit Ihren Börseninvestitionen vom Klimawandel profitieren“. Ökonomie und Ökologie – da haben wir’s doch.

Liebe ARD, jetzt muss ich vielleicht mal etwas klarstellen: Den 85 Prozent ist es herzlich egal, wie die anderen 15 Prozent selbst aus der nahenden Katastrophe ein Geschäft machen können. Sie würde vielmehr interessieren, wie man diese Katastrophe noch abwenden kann. In dieser Hinsicht ist es nämlich nicht kurz vor acht, sondern fünf vor zwölf, wenn Sie verstehen.

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