Neutralität in Sachen Klima? Was wir brauchen: Mehr Aktivismus!

Kolumne Klimaforschende sollen „neutral“ sein, heißt es immer – sonst riskieren sie im schlimmsten Fall ihren Job. Doch die gegenwärtige Krise ist zu groß, um nur mit akademischen Floskeln um sich zu werfen. Zeit für Aktivismus!
Ausgabe 10/2023
Geowissenschaftlerin Rose Abramoff fordert mehr Klimaschutzmaßnahmen
Geowissenschaftlerin Rose Abramoff fordert mehr Klimaschutzmaßnahmen

Foto: Scientist Rebellion Turtle Island/Twitter

Die Hauptforderung von Greta Thunberg, als sie ihren Klimaprotest vor viereinhalb Jahren begann, lautete stets: „Hört auf die Wissenschaftler!“ Sie meinte damit vor allem die an den Berichten des Weltklimarats Beteiligten – und die meisten von uns fanden das einleuchtend. Lasst die Forschenden reden, befanden wir, das kann ja nicht schaden.

Am besten sollen sie nur schreiben, und zwar in unzugänglicher Wissenschaftssprache, gerne kompliziert und mit Schachtelsätzen, Fußnoten, Substantivierungen. Sie wissen schon, so was wie: „Der Klimawandel mit den verbundenen Zunahmen der Häufigkeit und Intensität von Extremereignissen hat die Ernährungs- und Wasserversorgungssicherheit verringert, was Bemühungen, die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) zu erreichen, behindert (hohes Vertrauen).“ Ja, das ist ein echtes Zitat des Weltklimarats.

Vor allem aber sollen sie neutral bleiben. Was passiert, wenn sie das nicht tun, haben die amerikanische Geowissenschaftlerin Rose Abramoff und der Klimawissenschaftler Peter Kalmus zu spüren bekommen: Sie hielten auf einer Konferenz der American Geophysical Union im Dezember zu Beginn eines Vortrags ein Banner mit der Aufschrift „Out of the lab & into the streets“ in die Höhe.

In der Folge wurden sie von der Tagung ausgeschlossen, es wurde ein Verfahren wegen beruflichen Fehlverhaltens gegen sie eingeleitet, und im Januar wurde Rose Abramoff von ihrem Arbeitgeber, dem Oak Ridge National Laboratory, gefeuert. Nebenbei: Ist es Zufall, dass die Frau gefeuert wurde und der Mann nicht? „Soweit ich weiß, bin ich die erste Geowissenschaftlerin, die wegen Klimaaktivismus entlassen wurde“, so Abramoff. „Ich fürchte, ich werde nicht die letzte sein.“

Mehr und mehr Forschenden fällt die erzwungene Neutralität angesichts der nahenden Katastrophe schwer. Bei einer Umfrage des Fachmagazins Nature unter mehr als 200 Klimaforschenden gaben zwei Drittel an, dass sie sich für den Klimaschutz einsetzen. Längst haben sich auch in Deutschland Ableger wie Scientists for Future oder Scientist Rebellion gegründet. Das sollte uns nicht aufregen, sondern wachrütteln.

Auch ich als Journalistin werde stets ermahnt, neutral zu bleiben, egal wie groß das Problem (Klimakrise) und wie offensichtlich die Lösung (Dekarbonisierung) auch sein mag. Aber wissen Sie, was? Ich halte es da mit den Forschenden und schreibe: „Raus aus dem Freitag und rauf auf die Straße!“

Falls Sie mich in Zukunft hier nicht mehr lesen sollten, dann wurde ich gefeuert.

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