Plastikmüll im Meer: Großes Hallo auf dem Great Pacific Garbage Patch

Kolumne Wir Deutschen rühmen uns der Mülltrennerei, dabei haben wir ein echtes Plastikmüllproblem: Trennen ist zwar gut, Recyclen wäre aber besser. Stattdessen wird immer mehr von dem säuberlich getrennten Müll verbrannt oder illegal entsorgt
Ausgabe 18/2023
Bis zu 12 Millionen Tonnen Plastikmüll landen jährlich in unseren Ozeanen
Bis zu 12 Millionen Tonnen Plastikmüll landen jährlich in unseren Ozeanen

Foto: Imago/Markus van Offern

Wir wollen es ja richtig machen, wenn wir vor unseren fünf Mülleimern stehen. Wir wollen unseren Müll in den richtigen davon werfen, auf die richtige Art und Weise, damit es an uns nicht liegt, dass die Meeresschildkröten sich in Plastikbändern verheddern. Wer dabei Nachhilfe braucht, dem habe ich aus den Tiefen des Internets das Video „Was kommt in den Gelben Sack?“ herausgesucht, in dem die „Recycling Brothers“ – fünf Kollegen aus der Verwaltung eines Recycling-Unternehmens – auf einen Ballermann-Beat eben darüber singen, was in den Gelben Sack gehört, und wie. Auch die Bundesregierung gibt online etwas altklug Tipps wie „Statt Papiertücher Wischlappen: Wer damit oder mit einem Schwamm aufwischt, spart Papier und Abfall“ oder „Werfen Sie nichts achtlos weg. Abfall gehört weder auf die Straße noch in die Natur und ganz bestimmt nicht in den Gully.“

Gerade in Deutschland feilen wir also gerne an unserem Ruf als Recycling-Weltmeister. Im Ausland gehört die Analyse des Abfallsystems zum festen Programm, wieder daheim erzählen wir dann entrüstet: Da wird gar nicht getrennt, alles in EINE Tonne! Wie nun aber eine Recherche des Netzwerks Investigate Europe offenlegt, können wir unseren Müll so achtsam wegwerfen, wie wir wollen, die Joghurtbecher ausspülen und die Sichtfenster aus den Briefumschlägen pulen, recycelt wird er trotzdem noch lange nicht. Nur vierzig Prozent des Altplastiks werden recycelt, der Rest wird verbrannt, verklappt, (illegal) gehandelt oder landet im Meer. Zwischen 2010 und 2020 verdoppelte sich der Anteil des vorsortierten Plastiks, der statt zu Neuplastik zu Brenngut wurde – auf gut 23 Prozent.

Und wir verbrauchen immer mehr: Sind es im europaweiten Durchschnitt derzeit 35 Kilogramm Plastik pro Person, könnten es im Jahr 2060 laut OECD-Prognose dreimal so viel werden. Die Antwort darauf ist mehr Feuer: Allein in Polen sollen den Investigate-Europe-Recherchen zufolge vierzig neue Müllverbrennungsanlagen gebaut werden.

Als liefe der Plastikmüll von ganz alleine ins Meer

Elf Millionen Tonnen Plastik landen jedes Jahr im Meer, 2030 könnten es schon doppelt so viel sein. „Vor allem Plastikverpackungen finden den Weg in die Meere“, schreibt die Bundesregierung, so als würden sie da ganz alleine hinlaufen. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass auch unsere ausgespülten Joghurtbecher und herausgelösten Sichtfenster zu Bausteinen der größten Plastikmüllinsel der Welt geworden sind: des Great Pacific Garbage Patch. Die liegt im Nordpazifik und teilt sich auf in einen westlichen Teil in der Nähe von Japan und einen östlichen Teil zwischen den US-Bundesstaaten Hawaii und Kalifornien. Schätzungen zufolge besteht sie aus 79.000 Tonnen Plastik, vieles davon wurde auf seinen Reisen durch die Weltmeere schon zu kleinen Stücken zerrieben.

Forschende haben nun herausgefunden, dass sich auf der Plastikinsel seltsame neue Mischungen von Küsten- und Meerestierarten ansiedeln. Sie identifizierten 484 wirbellose Tiere aus einer überraschenden Bandbreite von Arten auf etwas mehr als hundert Plastikteilen, darunter küstennahe Arten wie Moostierchen, Quallen, Schwämme, Würmer und Arten aus dem offenen Meer. Und diese Arten interagieren miteinander. „Wir schaffen im Grunde neue Gemeinschaften im offenen Ozean“, sagt Linsey Haram, die Leitautorin der Studie. Und die Tiere fühlen sich dort so wohl, dass sie sich fortpflanzen.

Das könnte uns besorgen, denn noch weiß niemand, wie sich diese neue Plastikgemeinschaft auf andere Ökosysteme auswirkt – sie könnte sich ausbreiten, andere Arten verdrängen und in neue Gebiete eindringen. Oder wir können uns damit trösten, quasi ein internationales Meet and Greet für Meerestiere auf hoher See kreiert zu haben.

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