AKW-Debatte: Atomstaat Deutschland

Kernkraft Laufzeitverlängerung, ja oder nein? Diese Debatte führen wir seit über zehn Jahren. Nach dem Machtwort von Olaf Scholz geht es dann bald wohl wieder los – die reinste Zeitverschwendung
Ausgabe 42/2022
Sie werden uns nicht retten können in der Gaskrise: Atomkraftwerke
Sie werden uns nicht retten können in der Gaskrise: Atomkraftwerke

Foto: Paul Langrock/Zenit/Laif

Diskussionen über den Atomausstieg gehören zur deutschen Seele wie Hackfleischbällchen und Schützenfeste. Zum ersten Mal hat Deutschland den Ausstieg aus der Kernenergie im April 2002 beschlossen. 2010 dann der Ausstieg aus dem Ausstieg, und die Laufzeiten der Atomkraftwerke wurden verlängert. Nur vorübergehend, klar, bis die erneuerbaren Energien so weit sind. Im Jahr darauf dann, hoppla, Fukushima – der Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg kam. Nun, wenige Monate bevor die letzten drei Kraftwerke vom Netz gehen sollten, ging das Geschacher wieder los. Diesmal ist es, hoppla, der zugedrehte russische Gashahn, der eine strahlende Zukunft wieder vorstellbar macht.

Im sogenannten „Doppel-Wumms“-Beschluss hatte die Bundesregierung festgelegt, dass die beiden süddeutschen Kraftwerke Neckarwestheim 2 und Isar 2 für eine begrenzte Zeit weiterlaufen könnten. Dem hatten die Grünen zähneknirschend zugestimmt: Statt Ende Dezember sollen sie Mitte April vom Netz gehen. In Isar 2 wurde ein Ventil-Leck entdeckt, das noch diesen Monat repariert werden müsste. Danach hätte der Reaktorkern nicht mehr genug Reaktivität, um das Kraftwerk noch einmal mit den vorhandenen Brennelementen hochfahren zu können. Die FDP wollte aber, dass alle drei verbliebenen Meiler bis 2024 betrieben werden: Also auch das AKW Emsland, wo noch im Oktober 2017 Teile der Brandmeldeanlage ausgefallen waren. Entschieden hat Kanzler Olaf Scholz (SPD) die Frage nun eine Woche nach der Landtagswahl in Niedersachsen, wo das Emsland liegt: Alle drei AKW laufen weiter, bis 15. April 2023. In den Monaten vorher wird das Ganze dann wohl wieder von vorne losgehen. Hans-Ulrich Rülke jedenfalls, Chef der FDP-Fraktionen in Europa, Bund und Ländern, will die drei verbliebenen Anlagen bis 2026 verlängern.

Greta Thunberg sagte kürzlich über die deutschen AKW: „Wenn sie schon laufen, glaube ich, dass es ein Fehler wäre, sie abzuschalten und sich der Kohle zuzuwenden.“ Ihr machen wohl Aussagen wie die von Finanzminister Christian Lindner (FDP) Angst: „Ich empfehle uns, nicht zu wählerisch zu sein. Was verantwortbar ist, muss getan werden: Alle Kohlekraftwerke unmittelbar aus der Reserve ans Netz, die Kapazität der Kernenergie in Deutschland bis ins Jahr 2024 sichern und auch die heimischen Vorkommen an Öl und Gas in der Nordsee und an Land müssen erschlossen werden. Wir können in dieser Phase, in der alle unter Preisen leiden, nicht wählerisch sein, wenn noch Kapazitäten da sind.“

Auch ich würde Lindner raten, nicht wählerisch zu sein. Mehr als verantwortbar wäre es doch, die erneuerbaren Energien auszubauen. Klar, wir können auch ewig die Atomkraft als „Brückentechnologie“ fördern, aber das tun wir nun schon seit mehr als zehn Jahren. Sollte es diesen Winter eng werden, wird sie uns nicht weiterhelfen. Das haben Umwelt- und Wirtschaftsministerium bereits im Frühjahr festgestellt: „Ein Weiterbetrieb der drei verbliebenen AKW könnte, wenn überhaupt, nur erfolgen, wenn Abstriche bei der Sicherheit in Kauf genommen würden.“ Ach, das bisschen Sicherheit?

Uran aus Russland

Klimaneutral ist Atomenergie übrigens auch nicht. „Atomkraft ist weder CO₂-frei noch ist sie die CO₂-ärmste Art der Energieerzeugung. Denn gerade die energieintensive Brennstofferzeugung ist klimaschädlich. Hinzu kommen massive Umweltschäden und soziale Folgen beim Uranabbau“, so die beiden Ministerien. Fun fact: Woher kommt denn das Uran? Aus Russland! Also aus genau dem Land, von dem wir uns eigentlich mal unabhängig machen wollten.

Die drei noch laufenden deutschen Atomkraftwerke werden laut Preussenelektra „hauptsächlich“ mit Uran aus Russland und Kasachstan betrieben. Ohnehin bekommen wir durch das fehlende Gas (wenn überhaupt) ein Wärme- und kein Stromproblem. Gaskraftwerke produzieren Wärme, Atomkraftwerke nicht. Die drei AKW könnten laut Expertenanalysen nur ein Prozent des jährlichen Gasverbrauchs einsparen. Greenpeace empfiehlt deswegen, an den wenigen Tagen, an denen die Netzstabilität im Winter eventuell unsicher werden könnte, große industrielle Verbraucher stundenweise abzuschalten. Ich bin sicher, die FDP hat für diesen vernünftigen Vorschlag offene Ohren. Denn „was verantwortbar ist, muss getan werden“, nicht wahr, Herr Lindner?

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