Wir Menschen sind sinnsuchende Wesen, und so verwundert es nicht, dass wir auch bei einer globalen Pandemie verzweifelt nach dem positiven Dreh fahnden. Wie schön wäre das, wenn das grassierende Virus SARS-CoV-2 nicht einfach nur unser aller Leben anhielte und mehr als drei Millionen davon beendete, sondern wenn es auch für irgendwas gut wäre, oder?
Wie wir den Ausnahmezustand anfangs romantisierten: Mutter Erde gibt uns zu verstehen, dass sie mal eine Pause braucht; die Menschheit wird daraus lernen und danach endlich alles besser machen; schau, die Delfine kehren sogar nach Venedig zurück – und mit heruntergefahrener Wirtschaft und eingeschränktem Flugverkehr bremsen wir immerhin den Klimawandel!
Falls Sie sich an einer dieser Ideen festgehalten haben, dann muss ich Ihnen nun mitteilen: leider alles Quatsch. Die Delfine in Venedig wurden in Wahrheit auf Sardinien gefilmt, das Klima hat sich nicht erholt, und es scheint auch niemand vorzuhaben, aus dem Ganzen irgendwas zu lernen. Moment mal, mögen Sie jetzt denken, aber hat die Europäische Union ihr Klimaziel für 2030 nicht gerade um 15 Prozent angezogen? Und hat nicht auch Hoffnungsträger Joe Biden am Earth Day international für mehr Klimaschutz geworben und sich im Namen der USA zu ambitionierten Emissionsreduktionen verpflichtet? Und hat Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem von ihm einberufenen Klimagipfel nicht folgende Worte gesagt: „Wir wollen die notwendige wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Pandemie auch für innovatives Wachstum nutzen, und das gerade im Bereich des Klimas“?
Alles richtig, leider verkündete aber gleichzeitig die Weltwetterorganisation: 2020 war eines der drei wärmsten je aufgezeichneten Jahre – 1,2 Grad über dem vorindustriellen Niveau. Auch die CO₂-Emissionen stiegen fröhlich weiter, und, halten Sie sich fest, wir peilen Rekorde an! Laut der Internationalen Energieagentur werden wir dieses Jahr voraussichtlich den zweitgrößten CO₂-Emissionsanstieg der Geschichte verzeichnen, nur noch getoppt von dem massiven Aufschwung vor zehn Jahren nach der Finanzkrise. Schuld daran ist der Kohlestrom, mit dessen Hilfe nun alle die Wirtschaft ankurbeln wollen – obwohl erneuerbare Energieträger längst günstiger wären. „In Deutschland ist Kohle heute noch ein wichtiger Energieträger“, sagte Merkel dann auch in ihrer Rede.
Vielleicht ist der Sinn der Pandemie also, uns zu zeigen, dass wir lernunfähig sind, selbst wenn die Lektion denkbar einfach ist. Schade eigentlich.
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