Wut ist ein Geschenk

Grundeinkommen Existenzangst macht krank

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„Die Idee des Grundeinkommens geht vom mündigen Bürger aus. Wer das nicht teilt, müsste konsequenterweise auch die Demokratie in Frage stellen.“ Nicht nur Sascha Liebermann macht solche Aussagen. Und es ist ja auch eine Menge Wahres daran. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen wäre wie Aufklärung 2.0, ein emanzipatorischer Schritt, ein Stück Befreiung aus der Knechtschaft der Arbeitgeber.

Doch ich habe auch immer wieder Zweifel an diesem idealisierten Menschenbild. Es kommt mir naiv und verklärt vor angesichts der realen Geschehnisse in unserem Land und auf der ganzen Welt. Ist die Mehrzahl der Bürger wirklich in der Lage, rationale, menschliche und nachhaltige Entscheidungen zu treffen? So viel Egoismus, Dummheit und Missachtung der Mitmenschen kann doch nicht ignoriert werden. Und ja, wenn man den Gedanken weiter verfolgt, dann stellt man die Demokratie tatsächlich auch mit in Frage. Und dann? Wer oder was sollte denn dann die Entscheidungen treffen? Kluge und gute Diktatoren hat es in der Menschheitsgeschichte nicht allzu oft gegeben. Das ist also auch keine Lösung.

Nachdem mich nachts solch pessimistische Gedanken umgetrieben haben, holt mich tagsüber die Realität wieder ein. Ein Patient berichtet davon, wie er im Jobcenter vom Sicherheitsdienst rausgeschmissen wurde. Obwohl er alles richtig gemacht hatte und seine Beschwerde gegen die Leistungskürzung rechtens war und sachlich vorgetragen wurde. Die Wut und Verzweiflung über die Ungerechtigkeit ist quasi noch im Raum, als der nächste Patient lieber den nächsten Suizidversuch riskiert als seinen Job zu gefährden. Eigentlich müsste ich ihn davon überzeugen, die Krankschreibung endlich anzunehmen und seine Gesundheit und sein Leben nicht weiter aufs Spiel zu setzen. Aber ich kann seine Sorge auch verstehen, unberechtigt ist sie nicht. Das Sozialsystem hat zu viele Lücken, um wirksam vor existenzieller Bedrohung zu schützen.

Die Patientin danach bleibt in ihrer zerrütteten Ehe, eine Scheidung können ihr Partner und sie sich nicht leisten. Auch wenn das Kind unter dem ständigen Streit leidet, Armut ist keine bessere Alternative. Eine Patientin am Nachmittag musste das Gegenteil machen. Sie wollte sich aus den Fängen des Jobcenters befreien. Ihr Partner war arbeitslos, ihr blieb nur die Trennung, um sich aus der Bedarfsgemeinschaft zu lösen. Eine Andere muss nach einem Jahr Arbeitslosigkeit plötzlich ihren Ehemann um Geld bitten. Die bislang gleichberechtigte Beziehung auf Augenhöhe wird plötzlich auf den Kopf gestellt. Einen eigenen Anspruch auf Sozialleistungen hat sie nicht, zumindest nicht ohne Trennung. Ein Burnout hat ihr die bisherige Erwerbstätigkeit genommen, nun auch noch die Ehe?

Das macht mich wütend. Ich bin wütend auf den Gesundheitsminister Jens Spahn, der suggeriert, die Patienten würden sich ihre Probleme nur einbilden, und gleichzeitig mit der Politik einen wesentlichen Beitrag dazu leistet, dass sie überhaupt entstehen. Ich bin wütend über ein Sozialsystem, das mir die Arbeit als Psychotherapeutin noch zusätzlich schwer macht. Und darüber, dass ich immer mehr Patienten aus Zeitmangel Absagen erteilen muss, obwohl die Versorgung in Hannover noch besser ist als anderenorts.

Und dann ist es mir egal, ob ein paar Leute nicht mit der Freiheit umgehen können werden. Ob das Grundeinkommen ausgenutzt werden würde. Dann möchte ich nicht mehr, dass meine Steuergelder dazu genutzt werden, Bedürftige zu schikanieren. Dann möchte ich einfach nur, dass diese scheiß Existenzangst endlich aus der Gesellschaft verschwindet. Na klar, würde es was kosten. Aber das, was wir jetzt machen, kostet uns eine Menge Geld, Gesundheit, Menschlichkeit und irgendwann den kompletten gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Ich habe kürzlich das Buch “Wut ist ein Geschenk” vom Enkel Gandhis gelesen. Darin wird gesagt, Wut gibt die Kraft, sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren. Das ist es, was mich immer wieder antreibt, mich für ein Bedingungsloses Grundeinkommen einzusetzen.

Die Autorin ist ärztliche Psychotherapeutin aus Hannover und schreibt regelmäßig über das Bedingungslose Grundeinkommen. Dieser und viele weitere Artikel finden sich auch auf ihrem Blog.

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