Für die Impfung, aber gegen eine Impfpflicht

Covid-19 Die Impfpflicht gegen Covid-19 wird in der gesellschaftlichen Debatte zunehmend als alternativlos und als einziger Ausweg aus der Pandemie bezeichnet. Doch ist dies tatsächlich so? Eine Impfpflicht birgt Risiken und es gibt Alternativen.

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Seit mehr als einem Jahr wird durch Politiker*innen, Wissenschaftler*innen und Journalist*innen die Bedeutung der Impfung für ein Ende der Pandemie und für eine Rückkehr zur Normalität betont. Seit einigen Monaten ist nun das Narrativ der Pandemie der Ungeimpften dazu gekommen: Die Ungeimpften seien daran schuld, dass die Pandemie immer noch nicht beendet ist, die Ungeimpften seien zum allergrößten Teil an den hohen Inzidenzzahlen schuld, wer sich nicht impft, verhält sich egoistisch und unsolidarisch zur Gesellschaft. Dazu kommt, dass Ungeimpfte, die an Corona erkranken, ein höheres Risiko hätten, im Krankenhaus behandelt werden zu müssen und somit stärker zur Überlastung der Intensivstationen beitrügen. „Impfen schützt und ist die einzige Möglichkeit, aus dem Teufelskreis herauszukommen“, sagen Politiker*innen in dieser Debatte. Vor dem Hintergrund dieser dauerhaften Berichterstattung erscheint es nicht weiter verwunderlich, dass immer mehr Menschen einer allgemeinen Impfpflicht zustimmen. Schließlich haben alle die Nase voll von der ewigen Pandemie.

Was ist aber dran an diesem Narrativ? Sind die Ungeimpften tatsächlich zum allergrößten Teil die Treiber der Pandemie? Tragen sie stärker zur Belastung der Intensivstationen bei? Was spricht eigentlich gegen eine Impfpflicht, wenn doch mehr als die Hälfte der Bevölkerung dafür ist? Und gibt es überhaupt Alternativen?

Im Folgenden werden einige Diskussionspunkte zu diesen Fragen vorgestellt, die zu einem kritischen und konstruktiven Diskurs beitragen sollen.

Sind die Ungeimpften tatsächlich zum allergrößten Teil die Treiber der Pandemie?

Um diese Frage zu beantworten, sind zwei Aspekte zu beachten: Wie stark schützt die Impfung vor einer Infektion? Und wie ansteckend sind Geimpfte, die sich mit Covid-19 infiziert haben? Studien zeigen, dass die Effektivität der zweifachen Impfung gegen Ansteckung von verschiedenen Parametern abhängt, wie z.B. vom gewählten Impfstoff, vom Alter der geimpften Personen sowie von der Virusvariante. Ein zentraler Parameter ist dabei der Zeitraum, der seit der letzten Impfung vergangen ist. Je nach Studie wird davon ausgegangen, dass die Effektivität der Impfung gegen Ansteckung (noch im Kontext der Delta-Variante) ungefähr vier Monate nach der zweiten Impfung zwischen 34% und 53% liegt. Das heißt, wenige Monate nach der Impfung können sich die Hälfte bis zwei Drittel der Geimpften wieder anstecken. Und Personen, die sich angesteckt haben, können das Virus weitergeben, wenn auch für einen kürzeren Zeitraum, da die Viruslast bei Geimpften schneller absinkt. Allerdings gibt es Aussagen, zum Beispiel vom Virologen Christian Drosten in einem Interview bei der Zeit, die diesen Effekt als nicht so bedeutsam erscheinen lassen: „Die Viruslast – und ich meine die isolierbare infektiöse Viruslast – ist in den ersten paar Tagen der Infektion durchaus vergleichbar. Dann sinkt sie bei Geimpften schneller. Das Dumme ist, diese Infektion wird gleich am Anfang übertragen. Ich bin überzeugt davon, dass wir nur einen geringen Nutzen von vollständig geimpften Erwachsenen haben, die sich nicht boostern lassen.“ Wie wirksam die Impfung im Kontext von Omikron ist, ist derzeit noch unklar, allerdings weist die Virologin Sandra Ciesek darauf hin, dass selbst die Booster-Impfungen keinen 100%-igen Schutz vor Ansteckung bieten: „Im Moment habe ich das Gefühl, dass vermittelt wird: Lassen Sie sich boostern und die Welt ist wieder gut. Das ist nicht so.“

In Deutschland und Österreich müssen sich Geimpfte nur selten testen lassen, während für Ungeimpfte z.B. am Arbeitsplatz und in der Schule eine Testpflicht besteht (3G Regeln). Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass Infektionen gerade bei Geimpften häufiger symptomlos verlaufen („vaccinated participants were more likely to be completely asymptomatic, especially if they were 60 years or older“) und geimpfte Personen den Virus also unerkannter Weise weitergeben könnten. Vor diesem Hintergrund spricht der Virologe Alexander Kekulé von einer unsichtbaren Welle der Geimpften". Dazu kommt, dass geimpfte Personen, die direkten Kontakt zu einer Covid-19 infizierten Person hatten, zum Beispiel in Österreich nicht in Quarantäne gehen müssen, sondern lediglich als Kontaktpersonen der Kategorie 2 (K2) gelten (Stand: 7.12.2021). Allerdings zeigen Daten, dass beispielsweise in Tirol 400 von 603 geimpften K2-Personen in den Tagen nach dem Kontakt positiv getestet wurden. Außerdem ist es Geimpften erlaubt, an Großveranstaltungen teilzunehmen, z.B. bei Fußballspielen, bei denen teils 50.000 Menschen, überwiegend ohne Masken, zusammenkommen.

Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass doppelt Geimpfte wie Ungeimpfte zum Infektionsgeschehen beitragen, wobei die Geimpften auf individueller Ebene etwas weniger beisteuern. Auch die pharmazeutische Zeitung schreibt: „Mit derzeit verfügbaren Covid-19-Vakzinen lässt sich keine sterile Immunität aufbauen.“ Insgesamt ist unter Berücksichtigung dieser Daten nicht vertretbar, von einer Pandemie der Ungeimpften zu sprechen: Jede*r von uns kann zum Infektionsgeschehen beitragen und sollte das eigene Verhalten entsprechend anpassen.

Tragen die Ungeimpften stärker zur Belastung der Intensivstationen bei?

Betrachten wir hingegen die Belastung der Krankenhäuser, insbesondere der Intensivstationen, verändert sich dieses Bild: „In einem sind sich viele Menschen aus Wissenschaf [sic!], der Intensivmedizin und auch das Robert Koch-Institut (RKI) einig: Die Corona-Impfung schützt effektiv vor schweren Verläufen oder Tod.“ Der Covid-19 Lagebericht des RKI vom 02.12.21 zeigt auf, dass von 1.119 Covid-19 Fällen auf der Intensivstation im Alter von 60 Jahren und älter 498 Menschen vollständig geimpft sind, also der Anteil an Impfdurchbrüchen bei 44,5% liegt: Nur etwas mehr als die Hälfte der Patienten auf der Intensivstation sind in dieser Risikogruppe also ungeimpft. Allerdings geht das RKI bei den Menschen in dieser Altersgruppe davon aus, dass 87,9% geimpft sind: 12,1% der Ungeimpften über 60 führen gemäß diesen Daten also zu 55,5% der Covid-19 Intensivpatienten dieser Altersgruppe. Bei den 598 Intensivpatienten zwischen 18 und 59 Jahren sind sogar 84,3% ungeimpft.

Diese Daten verdeutlichen, dass nicht geimpfte Patienten ein deutlich höheres Risiko haben, wegen Covid-19 auf die Intensivstation gebracht werden zu müssen und somit eher zur Überlastung der Intensivmedizin beitragen. Dennoch zeigt sich, dass auch geimpfte Personen aus den Risikogruppen schwer erkranken können und ein Schutz vor Ansteckung für alle Risikogruppen, ob geimpft oder ungeimpft, wichtig ist.

Was spricht gegen die Einführung einer Impfpflicht, wenn doch über die Hälfte der Bevölkerung dafür ist?

Die WHO führt an, dass eine Impfpflicht das absolut letzte Mittel sein müsse. Aber wurde wirklich schon alles andere versucht?

Wie die oben genannten Daten zeigen, führt die Covid-19 Impfung vor allem zu einem Selbstschutz vor schweren Erkrankungen. Allein dieser Faktor sollte ausreichen, um die Menschen (v.a. die verschiedenen Risikogruppen) zu einer Covid-19 Impfung zu motivieren. Allerdings erscheinen auch weitere Aspekte wichtig, um die Impfquote ohne Impfplicht zu erhöhen.

Zuvorderst wäre dabei die Zulassung eines Totimpfstoffs zu nennen, da viele der ungeimpften Menschen den bisherigen in der EU zugelassenen mRNA und Vektor-Impfstoffen skeptisch gegenüberstehen. Dabei ist seit Mai 2021 ein chinesischer Totimpfstoff von Sinovac Life Sciences im Rolling Review Verfahren der EMA. Dieser Impfstoff erhielt von der WHO bereits im Juni 2021 eine Notfallzulassung und wird in 47 Ländern genutzt, in Europa ist diese Impfung aber nicht anerkannt. Selbst wenn die EU diesen Impfstoff, möglicherweise aus geopolitischen Gründen, nicht kaufen möchte, wäre nicht wenigstens eine Anerkennung möglich? Nun wurde jedoch der proteinbasierte Impfstoff von Novavax in Europa zugelassen, die Zulassung des Totimpfstoffs von Valneva wird voraussichtlich zeitnah erfolgen. Es ist zu erwarten, dass diese Impfstoffe die Impfquote erhöhen werden.

Ein weiterer zentraler Punkt ist, dass Menschen, die eine Impfung ablehnen, häufig kein Vertrauen in den Staat haben. Die Politik hat in der Coronakrise viel Vertrauen verspielt und hat sich nun, obwohl monatelang das Gegenteil zugesichert wurde, zum großen Teil für eine Impfpflicht ausgesprochen. Noch gründlicher als durch gebrochene Versprechen kann Vertrauen wohl kaum zerstört werden. Deshalb sollten vertrauensbildende Maßnahmen einen wichtigen Ankerpunkt einer zielgruppen-spezifischen Kommunikations- und Handlungsstrategie ausmachen. Dazu gehört es, Transparenz herzustellen, da Transparenz zu Vertrauen beiträgt. Im Falle der Impfung wäre deshalb eine offene Berichterstattung über Risiken und Nebenwirkungen wichtig, da dies auch dazu beitragen könnte, dass Betroffene und Ängstliche ihre Informationen nicht vornehmlich in alternativen Medien suchen würden. Da die STIKO nach Abwägung aller Faktoren zu dem Schluss gekommen ist, dass zumindest ab einer gewissen Altersstufe die positiven Effekte der Impfung (mit etwas unterschiedlichen Ergebnissen je nach Impfstoff und Altersstufe) überwiegen, sollte eine offene Berichterstattung nicht zu einer Abnahme der Impfquote führen.

Die meisten Menschen, die sich auch zukünftig nicht impfen lassen wollen (ca. 13% der Bevölkerung in Deutschland), geben in einer repräsentativen Befragung an, dass die Covid-19 Impfung möglicherweise nicht sicher genug sei (74%). Dieses Befragungsergebnis wird durch persönliche Gespräche mit Ungeimpften gestärkt: Viele Menschen fürchten sich vor Langzeitfolgen, andere haben Allergien oder Autoimmunerkrankungen und sehen sich durch die Impfung einem Risiko ausgesetzt. Darüber hinaus haben einige Menschen in ihrem Bekanntenkreis Personen mit teils schweren Nebenwirkungen (in meinem direkten Bekanntenkreis: 1-mal allergischer Schock, 1-mal Myokarditis, 1-mal Guillain-Barré-Syndrom, 2-mal Dyspnoe, 1-mal extrem hohe Entzündungswerte im Blut über 2 Monate, Beginn 3 bis 4 Tage nach der Impfung) oder lesen alternative Medien, in denen echte oder angebliche Gefahren der Impfung betont werden. Es erscheint nahezu naiv zu glauben, dass sich diese Menschen impfen werden, nur weil der Staat sagt, dass die Impfung sicher sei. Dazu kommt, dass 67% der Ungeimpften angeben, dass sie sich zu sehr von den Erwartungen der Politiker/Gesellschaft unter Druck gesetzt fühlen. Dies führt zu Reaktanz und einer Ablehnung der Impfung, was durch eine Impfpflicht sicherlich noch verstärkt würde. Kann hinsichtlich dieser Daten wirklich davon ausgegangen werden, dass durch eine Impfpflicht viele Menschen zu einer Impfung bewegt werden können, die sich nicht auch durch Argumente und positive Bestärkung für eine Impfung entscheiden würden? Höchstens die drohenden Strafen und die Gefahr des Verlustes des Arbeitsplatzes könnte diese Menschen wohl zur Impfung zwingen, aber ist das die Gesellschaft, in der wir leben möchten? Ist nicht vielmehr die Gefahr gegeben, dass Menschen, die sich durch den Staat gefährdet fühlen und Angst haben, ihren Job und damit ihren Lebensunterhalt zu verlieren, sich zunehmend radikalisieren? Dazu kommt, dass es bei Teilen der Impfgegner*innen und sogenannten Querdenker ohnehin schon zu einer Radikalisierung gekommen ist.

Auf der anderen Seite scheinen sich auch die Geimpften teilweise zu radikalisieren. Zum einen haben sie selbst die Impfung auf sich genommen (inkl. der ggfls. auftretenden Impfreaktionen) und fordern dies nun auch von den Ungeimpften ein. Zum anderen gibt es das Narrativ der Pandemie der Ungeimpften, mit der Aussage, dass diese am Andauern der Pandemie schuld seien. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Angst vor aber auch die Wut auf die Ungeimpften und damit auch eine gewisse Radikalisierung immer weiter zunimmt. Zwei beispielhafte Leserkommentare aus der österreichischen Tageszeitung Der Standard sollen dies verdeutlichen: Da wird die Forderung gestellt „Wer ab 1. Februar immer noch nicht geimpft ist, der bekommt im Falle einer Infektion keine Behandlung unabhängig von der Auslastung“ oder geschrieben „Mir wäre es auch völlig egal, wenn es die Ungeimpften reihenweise wegputzt“. Die oben beschriebenen medial-vermittelten Narrative scheinen diese Wut der Geimpften zu stärken. Im Zusammenhang mit der Impfpflicht erläutert der stellvertretende FDP-Parteivorsitzende und Vizepräsident des Bundestages Wolfgang Kubicki dazu: „Ich bin entsetzt über das jakobinerhafte Verhalten vieler in diesem Land, deren Freude an 2G und Impfpflicht ja nicht mehr rational ist. Vielen Impfpflichtbefürwortern scheint es um Rache und Vergeltung [an den Ungeimpften] zu gehen.“

Vor diesem Hintergrund der beiderseitigen Spannungen befürchtet beispielweise der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, dass eine Impfpflicht zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft beitragen würde: „Eine allgemeine Impfpflicht wäre nicht durchzusetzen. Das würde unser Land zerreißen.“ Dagegen erscheint es geradezu zynisch, wenn Wissenschaftler*innen erläutern, dass eine Impfpflicht auch einen Beitrag gegen eine gesellschaftliche Spaltung liefern könne: eine Impfpflicht würde die Impfbereitschaft erhöhen und „das nimmt auch diesem Konflikt zwischen Ungeimpften und Geimpften die Grundlage, weil sich die Gesellschaft dann nicht mehr in diese zwei Gruppen teilt“. Überspitzt dargestellt lautet die Idee: Wenn die Mehrheitsgemeinschaft die Minderheitsgemeinschaft dazu zwingt, sich so zu verhalten, wie die Mehrheitsgemeinschaft möchte, dann gibt es ja keine Minderheitsgemeinschaft mehr. Und somit auch keine Spaltung. Wo bleiben Werte hier wie Toleranz, Respekt und gegenseitiges Verständnis? Seit wann führt der Zwang der Minderheit zu einer sozialen Integration? Sollten wir nicht eher darüber nachdenken, wie wir ohne Zwang wieder zu einer echten gesellschaftlichen Integration beitragen können?

Gibt es Alternativen zu einer Impfpflicht?

Die Impfung soll dazu beitragen, eine Basisimmunität in der Bevölkerung zu erreichen, wie der Virologe Florian Krammer erläutert: „Sobald die Bevölkerung eine Basisimmunität aufgebaut hat (hoffentlich durch Impfung, leider oft durch Infektion), werden Sars-CoV-2-Infektionen zum Großteil sehr mild verlaufen, es wird auch weniger davon geben.“ Somit kann auch durch eine Infektion eine entsprechende Immunität aufgebaut werden, allerdings kann dies zu einer Überlastung des Gesundheitssystems führen, wenn sich zu viele Menschen zeitgleich anstecken. Eine Durchseuchung der Bevölkerung scheint langfristig allerdings nicht vermeidbar, wie Jens Spahn mit seiner AussageWahrscheinlich wird am Ende dieses Winters so ziemlich jeder in Deutschland geimpft, genesen oder gestorben sein“ verdeutlichte. Deshalb sollte einerseits die Impfquote erhöht werden (s.o.), andererseits eine langsame Durchseuchung der Ungeimpften zugelassen werden. Dabei müssen insbesondere Risikogruppen so geschützt werden, dass das Gesundheitssystem nicht überlastet wird, um die bestmögliche Gesundheitsversorgung für alle zu ermöglichen. Dieser Schutz ist dabei nicht nur für Ungeimpfte sinnvoll, sondern auch für geimpfte Risikogruppen, bei denen häufiger Durchbruchinfektionen auftreten. Außerdem muss darüber diskutiert werden, wie auch ein verbesserter und altersgerechter Schutz für Kinder umgesetzt werden kann, da die Impfung für Menschen unter 12 Jahren in Deutschland nicht generell empfohlen wird.

Für eine entsprechende Verlangsamung der Durchseuchung und den Schutz insbesondere der Risikogruppen erscheint eine angemessene Teststrategie außerordentlich wichtig. Dafür sollten verschiedene Szenarien modelliert werden, um die sinnvollste Strategie auszuwählen. Darüber hinaus muss bei der Wahl der Maßnahmen auch darauf geachtet werden, eine weitere Spaltung der Gesellschaft möglichst zu vermeiden.

Als wichtiger Parameter erscheint 1G (Getestet!) am Arbeitsplatz, in Krankenhäusern und Pflegeheimen sowie in Schulen. Dadurch könnte die Ansteckungsrate voraussichtlich stark vermindert werden. Um die Akzeptanz für eine solche Vorgehensweise zu erhöhen, sollten die Testangebote kostenlos sein und möglichst angenehm sowie einfach gestaltet werden. Österreich bietet mit den beobachteten Selbsttests (Nasenbohrertests) und den Gurgel-PCR-Tests hier viele positive Erfahrungen. Beispielsweise gibt es die Möglichkeit, morgens von zuhause einen Antigen-Selbststest durchzuführen, der videoüberwacht wird und somit nur wenige Minuten Aufwand bedeutet. Die Kosten sind dabei sicherlich niedriger als bei einem erneuten Lockdown. Darüber hinaus könnte durch 2G (oder 2G+) in Restaurants, Hotellerie, Kino und Theater ein weiterer Impfanreiz für Ungeimpfte und ein politisch erwünschter Vorteil für Geimpfte gegeben und gleichzeitig die Ansteckung der Ungeimpften reduziert werden. Die Einhaltung der bekannten Hygieneregeln in weiteren öffentlichen Innenräumen sollte ebenso zur Strategie gehören. Wäre dies nicht ausreichend, um die Durchseuchung zu verlangsamen? Und könnten solche Maßnahmen nicht auch an die jeweilige Inzidenz- oder Hospitalisierungsrate angepasst werden (mit einer Abschaffung insbesondere von 2G bei niedrigen Zahlen, um eine Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen)? Natürlich würde eine entsprechende Strategie kein sofortiges Ende aller Maßnahmen bedeuten, aber selbst beim Impfeuropameister Portugal mit einer Covid-19 Impfquote von fast 100% bei Menschen ab 12 Jahren wurde für die Zeit nach den Feiertagen ein erneuter Lockdown angekündigt (und das schon vor dem Auftreten von Omikron).

Ein weiterer zentraler Punkt ist die Stärkung des Gesundheitssystems. Wie kann es sein, dass 4824 Covid-19 Intensivpatienten (Stand 05.12.21 gemäß sueddeutsche.de) in Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt mit 83,1 Millionen Einwohner*innen, das Gesundheitssystem an den Rand des Kollapses zu bringen scheinen? Dabei hat sich die Situation im Laufe der Pandemie sogar verschlechtert, wie Wolfgang Kubicki ausführt: „Es fehlen uns doch mittlerweile zwischen 5.000 und 9.000 Plätze auf Intensivstationen im Vergleich zum Beginn der Pandemie. Was müssen wir tun, um die wieder aufzubauen? Erstens müssen wir die Kliniken finanziell ertüchtigen. Und zweitens müssen wir ins Personal investieren, und zwar deutlich.“ Darüber hinaus sind auch präventive Ansätze sowie Medikamente und effektive Therapien gegen Covid-19 wichtig. Solche Maßnahmen würden auch bei zukünftigen Varianten von Covid-19, die der Immunität durch Impfung womöglich noch stärker entkommen könnten, einen wichtigen Dienst erweisen.

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